Angriff auf die Lunge |
Die Diagnose einer medikamentös induzierten Lungenschädigung ist sehr komplex, weil Laborparameter, radiomorphologische Befunde und klinische Manifestationen meistens sehr unspezifisch sind und Arzneistoffe ein sehr breites Spektrum an bronchopulmonalen Krankheitsbildern auslösen können. Häufige Symptome sind Husten, Fieber, Atemnot und Hypoxämie.
Am Anfang einer Diagnose stehen der klinische Verdacht und eine entsprechende Medikamentenanamnese. Bereits dokumentierte Fälle (www.pneumotox.com) geben einen ersten Anhaltspunkt. Auch der zeitliche Zusammenhang zwischen Arzneistoffapplikation und Krankheitsmanifestation ist essenziell. Allerdings kann die Latenzzeit zwischen der Exposition und dem Auftreten von Symptomen von wenigen Minuten, beispielsweise bei allergischen Reaktionen, bis zu mehreren Jahren betragen.
Bei der Diagnostik werden klinisches Erscheinungsbild, radiomorphologische Untersuchungen sowie Lungenfunktionstests mit einer plausiblen Arzneistoffexposition in Zusammenhang gebracht (9). Eine bronchoalveoläre Lavage kann wertvolle kompatible Informationen hinsichtlich immunologischer Reaktionen liefern und eine mögliche Infektion ausschließen.
Von Bedeutung ist der Effekt einer Arzneistoffkarenz. Allerdings führt diese nicht immer zur Verbesserung der Symptomatik, da manche medikamentös ausgelösten Schädigungen, beispielsweise Lungenfibrosen, nicht reversibel sind.
Medikamentös induzierte Nebenwirkungen an der Lunge treten besonders häufig bei Tumorpatienten auf. Man geht davon aus, dass etwa 10 Prozent aller Patienten bei ihrer Chemotherapie einen Lungenschaden entwickeln (10).
Nahezu alle Zytostatika können pneumotoxisch wirken (Tabelle 1). Diese Effekte können bereits während der Therapie, beispielsweise in Form eines Lungenödems, oder erst einige Monate bis Jahre nach der Behandlung, oft als fibrotische Veränderung, auftreten. Da häufig mehrere Zytostatika kombiniert werden, kann es schwierig sein, den ursächlichen Arzneistoff zu identifizieren (11).
Klinisches Bild | Beispiele ursächlicher Arzneistoffe | |
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Alveolitis | Bleomycin, fast alle Zytostatika (Cyclophosphamid, Lomustin, Carmustin et cetera), Immun-Checkpoint-Inhibitoren, Tyrosinkinase-InhibitorenAmiodaron, Carbamazepin, Cotrimoxazol, Nitrofurantoin, NSAID, Phenytoin, Sirolimus, Sulfasalazin | |
Lungenfibrose | Bleomycin, Busulfan, Carmustin, Mitomycin C und viele weitere Zytostatika, Tyrosinkinase-InhibitorenAmiodaron, Amphotericin B, Bromocriptin, Hydrochlorothiazid, Nitrofurantoin, Sulfasalazin | |
akutes Atemnotsyndrom (ARDS) | Bleomycin, Busulfan, Carmustin, Chlorambucil, Cyclophosphamid, Docetaxel, Gefitinib, Gemcitabin, Mitomycin C, PaclitaxelAmiodaron, Carbamazepin, Cotrimoxazol, Nitrofurantoin, SirolimusCAR-T-Zell-Therapie |
Unter Bleomycin ist das Risiko einer pulmotoxischen Nebenwirkung drastisch erhöht. Der Wirkstoff ist in vielen Kombinationstherapien enthalten, zum Beispiel bei Hodenkrebs, den Lymphdrüsenkrebs-Formen Hodgkin-Lymphom und Non-Hodgkin-Lymphom sowie dem Plattenepithelkarzinom.
Der zytostatische Wirkmechanismus ist gut untersucht. Bleomycin dient als Chelatbildner für Eisen-Ionen, was die Bildung eines reaktiven Sauerstoffkomplexes ermöglicht. Gleichzeitig hat Bleomycin eine DNA-Bindungsstelle, sodass es durch den aktiven Komplex zur radikalischen Abstraktion eines Wasserstoffatoms an einem Desoxyribose-Rest kommt: Ein DNA-Strangbruch ist die Folge (12).
Die hohe Lungentoxizität ist jedoch auch ein pharmakokinetisches Problem. Denn die Inaktivierung von Bleomycin erfolgt durch Deamidierung mittels einer Bleomycin-Hydrolase. Gerade dieses Enzym ist aber in der Lunge kaum vorhanden. Noch Jahre nach einer Therapie können als Spätfolge unter anderem Lungenfibrosen auftreten. Jährliche Vorsorgeuntersuchungen einschließlich Röntgenaufnahmen und Lungenfunktionstests sind daher dringend zu empfehlen (13).
Auch bei vielen anderen Zytostatika, beispielsweise Cisplatin, Cyclophosphamid, Busulfan, Carmustin oder Gemcitabin, sind Lungenschäden möglich. Risikofaktoren sind neben höherem Lebensalter vor allem die kumulative Medikamentendosis, eine zusätzliche Strahlentherapie, bestehende Lungenerkrankungen und hohe Sauerstoffgehalte in der Atemluft, beispielsweise beim Sporttauchen.