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Covid-19

Immunreaktion lässt Lunge vernarben

Bei einer SARS-CoV-2-Infektion werden Immunzellen aktiviert, die die Lunge angreifen und eine Fibrose bewirken. Diese Vernarbung des Lungengewebes kann vermutlich die langen Beatmungszeiten bei schwer Erkrankten und auch einen Teil der Beschwerden bei Long Covid erklären.
Christina Hohmann-Jeddi
dpa
02.12.2021  18:00 Uhr

Bei einem schweren Verlauf von Covid-19 entwickelt sich bei vielen Patienten ein akutes Lungenversagen, kurz ARDS genannt (Acute Respiratory Distress Syndrome). Eine Forschergruppe der Berliner Charité ging jetzt in einer Studie der Vermutung nach, dass dabei das Lungengewebe der Patienten vernarbt, verdickt und unelastisch wird. Ganz ähnliche Vorgänge laufen bei einer bisher unheilbaren Form der Lungenvernarbung ab, der idiopathischen Lungenfibrose.

Bei der mikroskopischen Untersuchung des Lungengewebes verstorbener Covid-19-Patienten fanden die Wissenschaftler charakteristische Merkmale einer schweren Fibrose. »Bei fast allen Betroffenen haben wir enorme Schäden entdeckt: Die Lungenbläschen waren weitgehend zerstört, die Wände deutlich verdickt. Außerdem fanden wir ausgeprägte Ablagerungen von Kollagen, welches ein Hauptbestandteil von Narbengewebe ist«, erklärt Professor Dr. Peter Boor vom Institut für Pathologie an der RWTH Aachen, der an der Studie beteiligt war, in einer Pressemitteilung der Charité.

Typischerweise entwickele sich das Lungenversagen erst zwei bis drei Wochen nach Auftreten der ersten Symptome, so Professor Dr. Leif-Erik Sander von der Charité, Seniorautor der im Fachjournal »Cell« veröffentlichten Studie. »Das weist darauf hin, dass nicht die unkontrollierte Virusvermehrung zum Versagen der Lunge führt, sondern nachgeschaltete Reaktionen, beispielsweise des Immunsystems, eine Rolle spielen.« Das Team um Erstautor Daniel Wendisch untersuchte deshalb die Immunzellen in Lungenspülungen und Lungengewebe von schwer erkrankten oder verstorbenen Covid-19-Patienten.

Die Forschenden fanden, dass sich vor allem Makrophagen in der Lunge betroffener Patienten ansammeln. Diese Fresszellen des Immunsystems beseitigen normalerweise Erreger oder Zellabfälle, sind aber auch an der Wundheilung beteiligt. Bei schwerem Covid-19 scheinen sie mit bestimmten Zellen des Bindegewebes in Kontakt zu treten, die für Narbenbildung zuständig sind. Diese vermehren sich daraufhin stark und bilden große Mengen Kollagen.

Die Einzelzell-Transkriptomanalyse der Makrophagen ergab, dass bei ihnen Gene aktiv waren, die die Bildung von Bindegewebe fördern. Dieser profibrotische Phänotyp ähnelte den Makrophagen, die bei Patienten mit idiopathischer Lungenfibrose zu finden sind. Nachfolgende Untersuchungen in Zellkulturen mit Vorläuferzellen der Makrophagen zeigten, dass SARS-CoV-2 diesen profibrotischen Phänotyp induzierte. Grippeviren taten dies hingegen nicht.

»Unsere Daten zeigen also eindeutig Parallelen zwischen Covid-19 und der chronischen Lungenfibrose auf«, sagt Dr. Antoine-Emmanuel Saliba vom Helmholtz-Institut für RNA-basierte Infektionsforschung in Würzburg. »Das erklärt vielleicht, warum einige Risikofaktoren für Covid-19 auch Risikofaktoren für die idiopathische Lungenfibrose sind – zum Beispiel Grunderkrankungen, Rauchen, ein männliches Geschlecht und ein Alter über 60 Jahre.« Die Vernarbung scheint auch der Grund zu sein, warum Covid-19-Patienten außergewöhnlich lange unterstützend mit Sauerstoff versorgt oder sogar über eine künstliche Lunge – die ECMO – beatmet werden müssen.

Anders als bei der idiopathischen Lungenfibrose, deren Ursache unbekannt ist, sind die Vernarbungen bei Covid-19-Patienten reparabel, berichten die Forschenden weiter. Im Verlauf der Genesung lösen sich bei ihnen die Verdickungen und Vernarbungen zumindest zum Teil wieder auf. Eine genauere Untersuchung der Rückbildungsprozesse soll nun dazu beitragen, mögliche Behandlungsmöglichkeiten für beide Erkrankungen zu entwickeln, beziehungsweise die Vernarbungen von vornherein zu verhindern, heißt es in der Pressemitteilung.

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