Immunreaktion lässt Lunge vernarben |
Das SARS-Coronavirus-2 löst offenbar eine Vernarbung der Lunge aus, zeigen zwei aktuelle Studien. / Foto: Adobe Stock/Chinnapong
Bei einem schweren Verlauf von Covid-19 entwickelt sich bei vielen Patienten ein akutes Lungenversagen, kurz ARDS genannt (Acute Respiratory Distress Syndrome). Eine Forschergruppe der Berliner Charité ging jetzt in einer Studie der Vermutung nach, dass dabei das Lungengewebe der Patienten vernarbt, verdickt und unelastisch wird. Ganz ähnliche Vorgänge laufen bei einer bisher unheilbaren Form der Lungenvernarbung ab, der idiopathischen Lungenfibrose.
Bei der mikroskopischen Untersuchung des Lungengewebes verstorbener Covid-19-Patienten fanden die Wissenschaftler charakteristische Merkmale einer schweren Fibrose. »Bei fast allen Betroffenen haben wir enorme Schäden entdeckt: Die Lungenbläschen waren weitgehend zerstört, die Wände deutlich verdickt. Außerdem fanden wir ausgeprägte Ablagerungen von Kollagen, welches ein Hauptbestandteil von Narbengewebe ist«, erklärt Professor Dr. Peter Boor vom Institut für Pathologie an der RWTH Aachen, der an der Studie beteiligt war, in einer Pressemitteilung der Charité.
Typischerweise entwickele sich das Lungenversagen erst zwei bis drei Wochen nach Auftreten der ersten Symptome, so Professor Dr. Leif-Erik Sander von der Charité, Seniorautor der im Fachjournal »Cell« veröffentlichten Studie. »Das weist darauf hin, dass nicht die unkontrollierte Virusvermehrung zum Versagen der Lunge führt, sondern nachgeschaltete Reaktionen, beispielsweise des Immunsystems, eine Rolle spielen.« Das Team um Erstautor Daniel Wendisch untersuchte deshalb die Immunzellen in Lungenspülungen und Lungengewebe von schwer erkrankten oder verstorbenen Covid-19-Patienten.
Die Forschenden fanden, dass sich vor allem Makrophagen in der Lunge betroffener Patienten ansammeln. Diese Fresszellen des Immunsystems beseitigen normalerweise Erreger oder Zellabfälle, sind aber auch an der Wundheilung beteiligt. Bei schwerem Covid-19 scheinen sie mit bestimmten Zellen des Bindegewebes in Kontakt zu treten, die für Narbenbildung zuständig sind. Diese vermehren sich daraufhin stark und bilden große Mengen Kollagen.
Die Einzelzell-Transkriptomanalyse der Makrophagen ergab, dass bei ihnen Gene aktiv waren, die die Bildung von Bindegewebe fördern. Dieser profibrotische Phänotyp ähnelte den Makrophagen, die bei Patienten mit idiopathischer Lungenfibrose zu finden sind. Nachfolgende Untersuchungen in Zellkulturen mit Vorläuferzellen der Makrophagen zeigten, dass SARS-CoV-2 diesen profibrotischen Phänotyp induzierte. Grippeviren taten dies hingegen nicht.
»Unsere Daten zeigen also eindeutig Parallelen zwischen Covid-19 und der chronischen Lungenfibrose auf«, sagt Dr. Antoine-Emmanuel Saliba vom Helmholtz-Institut für RNA-basierte Infektionsforschung in Würzburg. »Das erklärt vielleicht, warum einige Risikofaktoren für Covid-19 auch Risikofaktoren für die idiopathische Lungenfibrose sind – zum Beispiel Grunderkrankungen, Rauchen, ein männliches Geschlecht und ein Alter über 60 Jahre.« Die Vernarbung scheint auch der Grund zu sein, warum Covid-19-Patienten außergewöhnlich lange unterstützend mit Sauerstoff versorgt oder sogar über eine künstliche Lunge – die ECMO – beatmet werden müssen.
Anders als bei der idiopathischen Lungenfibrose, deren Ursache unbekannt ist, sind die Vernarbungen bei Covid-19-Patienten reparabel, berichten die Forschenden weiter. Im Verlauf der Genesung lösen sich bei ihnen die Verdickungen und Vernarbungen zumindest zum Teil wieder auf. Eine genauere Untersuchung der Rückbildungsprozesse soll nun dazu beitragen, mögliche Behandlungsmöglichkeiten für beide Erkrankungen zu entwickeln, beziehungsweise die Vernarbungen von vornherein zu verhindern, heißt es in der Pressemitteilung.
Dass die Vernarbung des Lungengewebes auch für Long-Covid-Symptome mit verantwortlich sein kann, zeigt eine Untersuchung von Forschenden der University of Michigan, USA. Sie untersuchten Lungenbiopsien von 18 Patienten mit anhaltenden respiratorischen Symptomen nach einer überstandenen Coronainfektion. Die Hälfte von ihnen wies eine idiopathische Lungenfibrose auf, berichten die Forscher im Fachjournal »E Clinical Medicine«. Dabei waren Genesene mit Lungenfibrose im Durchschnitt älter und litten bereits vor der Infektion häufiger an chronischen Lungenerkrankungen als Genesene ohne diese Vernarbung.
Vor dem zunehmenden Problem der Post-Covid-Lungenfibrose warnten indische Forscher bereits im März diesen Jahres im Fachjournal »Lung India« und bezeichneten die Lungenvernarbung als »Tsunami, der dem Erdbeben nachfolgen wird«. Während die allermeisten SARS-CoV-2-Infizierten nach der Genesung keine Lungenschäden zurückbehielten, entwickelten 5 bis 10 Prozent der Infizierten ARDS, heißt es in der Publikation. Diese Patienten hätten nach bisherigen Erkenntnissen ein Risiko für eine Post-Covid-Lungenfibrose.
Wie hoch dieses Risiko genau sei, müsse in großen Kohortenstudien untersucht werden. Angesichts des Ausmaßes der Coronapandemie mit inzwischen mehr als 260 Millionen Infizierten weltweit sei mit einer hohen Zahl an Patienten mit Post-Covid-Lungenfibrose zu rechnen.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.