Alles Wichtige zu den pharmazeutischen Dienstleistungen |
Apothekenteams können ihren Kunden nun vergütete pharmazeutische Dienstleistungen anbieten. Was müssen die Apotheker zum Start der Dienstleistungen wissen? / Foto: imago images/Westend61
Welche pharmazeutischen Dienstleistungen können die Apotheken anbieten?
Der Deutsche Apothekerverband und der GKV-Spitzenverband konnten sich zu den Inhalten der pharmazeutischen Dienstleistungen lange nicht einigen. Die Schiedsstelle hat dann die folgenden fünf Leistungen festgelegt:
> Erweiterte Medikationsberatung von Patienten mit Polymedikation
> Pharmazeutische Betreuung von Patienten nach Organtransplantation
> Pharmazeutische Betreuung von Patienten unter oraler Antitumortherapie
> Standardisierte Risikoerfassung bei Bluthochdruck-Patienten, die mindestens ein antihypertensives Medikament einnehmen
> Standardisierte Einweisung in die korrekte Arzneimittelanwendung und Üben der Inhalationstechnik für Patienten ab einem Alter von sechs Jahren
Was ist die gesetzliche Grundlage?
Im Oktober 2020 hat der Bundestag das Apotheken-Stärkungsgesetz (VOASG) beschlossen. Darin enthalten ist ein Passus, der die Krankenkassen verpflichtet, den Apotheken pro Jahr 150 Millionen Euro für die Erbringung pharmazeutischer Dienstleistungen zur Verfügung zu stellen. Näheres zu den Dienstleistungen und zur Vergütung sollten der Deutsche Apothekerverband und der GKV-Spitzenverband innerhalb von sechs Monaten aushandeln. Beide Parteien konnten sich aber nicht einigen, es kam zu einem Schiedsverfahren. Der schriftliche Schiedsspruch liegt seit Mitte Juni dieses Jahres vor.
Wann kann ich starten?
Rein theoretisch sofort. Der Schiedsspruch ist in Kraft, die darin festgelegten Dienstleistungen können sofort erbracht werden, wenn alle im Schiedsspruch festgehaltenen Qualitätskriterien von den Apotheken erfüllt werden (zum Beispiel fachliche Qualifikation, Ausstattung (Inhalator-Dummys, Blutdruckmessgerät mit Prüfsiegel etc.). Auch das Vergütungs- und Abrechnungsverfahren ist bereit – die beiden Verhandlungsparteien hatten dieses schon vor längerer Zeit außerhalb der Schiedsstelle vereinbart.
Wer hilft inhaltlich beim Start?
Umfassende Arbeitshilfen wie Gesprächsleitfäden, Checklisten, Standardarbeitsanweisungen und Vereinbarungen sind im Mitglieder-Bereich der ABDA-Website unter www.abda.de/pharmazeutische-dienstleistungen zu finden (die Zugangsdaten sind jede Woche im Impressum unserer Printausgabe abgedruckt). Mehr Informationen sollen peu à peu hinzukommen. Die Apothekerkammern bereiten entsprechende Fortbildungsangebote vor. Bei Abrechnungsfragen sind die Apothekerverbände und -vereine zuständig.
Wer aus meinem Team darf welche Leistungen anbieten?
Die standardisierte Risikoerfassung bei Bluthochdruck darf vom gesamten pharmazeutischen Personal erbracht werden, inklusive Pharmazeuten im Praktikum (PhiP) und PTA im Praktikum. PhiP und PTA im Praktikum dürfen aber keine Inhalativa-Schulung durchführen. Dazu ist nur pharmazeutisches Personal mit abgeschlossener Berufsausbildung berechtigt. Für diese beiden Leistungen ist keine Zusatzqualifikation erforderlich. Die anderen drei Dienstleistungen basieren auf einer Medikationsanalyse, die nur von approbierten Apothekern mit entsprechender Zusatzqualifikation durchgeführt werden darf (siehe nächste Frage).
Welche Mindestqualifikationen müssen die Approbierten mitbringen?
Für die erweiterte Medikationsberatung bei Polymedikation sowie die pharmazeutische Betreuung nach Organtransplantation oder unter oraler Antitumortherapie ist eine Zusatzqualifikation nötig. Apotheker müssen eine Fortbildung auf Basis des Curriculums der Bundesapothekerkammer »Medikationsanalyse, Medikationsmanagement als Prozess« absolviert haben, die mindestens acht Stunden umfasst.
Anerkannt werden auch mindestens gleichwertige Fort- oder Weiterbildungen, darunter ATHINA, ARMIN, Apo-AMTS, Medikationsmanager BA KlinPharm, Weiterbildung Geriatrische Pharmazie und Weiterbildung Allgemeinpharmazie, nicht aber der Fachapotheker für klinische Pharmazie.
Wo muss ich meine Qualifikation vorlegen?
Nirgendwo. Der gültige Fortbildungsnachweis für approbierte Apotheker ist lediglich bereit zu halten und der Krankenkassen des Versicherten nur auf Aufforderung vorzuweisen.
Muss ich es irgendwo melden, wenn ich mit den pharmazeutischen Dienstleistungen beginnen will?
Nein. Anders als bei den Impfungen in der Apotheke ist es nicht notwendig, eine Selbstauskunft bei der Apothekerkammer zu erteilen. Auch die zuständigen Behörden oder jeweiligen Krankenkassen müssen nicht vorab informiert werden. Um abrechnen zu können, muss der Apothekenbetrieb jedoch Verbandsmitglied sein oder dem Rahmenvertrag beigetreten sein.
Was muss ich bei der Durchführung beachten?
Die Dienstleistungen müssen ins Qualitätsmanagementsystem der Apotheke eingepflegt werden. Eine genaue Dokumentation ist auch für die Abrechnung wichtig, die quartalsweise über den Nacht- und Notdienstfonds erfolgen soll. Apotheke und Patient müssen einen Behandlungsvertrag vor der Durchführung schließen. Abschließend muss der Patient den Erhalt der Dienstleistung quittieren und erhält eine Kopie der Vereinbarung. Die ABDA empfiehlt, vor Beginn die Verantwortlichkeiten und Arbeitsabläufe mit dem Apothekenteam festzulegen (wer macht was wann und wie, wer spricht potenzielle Patienten an etc.) und die Dienstleistungen mit Terminvergabe anzubieten. Dabei sollten Stoßzeiten vermieden werden.
Die genaue Durchführung der einzelnen pharmazeutischen Dienstleistungen haben wir hier genauer beschrieben:
Gibt es Software-Hilfe?
Für die Durchführung von Medikationsanalysen, insbesondere die sogenannte pharmazeutische AMTS-Prüfung, gibt es bereits Software-Unterstützung, zum Beispiel mit Hilfe des »MediCheck« von Pharma4u.
Gibt es Anforderungen an die Räumlichkeiten?
In jedem Fall gilt, dass pharmazeutische Dienstleistungen in einem diskreten Setting stattfinden sollen. Ein separater Beratungsraum ist optimal, aber nicht zwingend vorgeschrieben. Möglich ist auch ein abgeschirmter Bereich in der Offizin.
Wie häufig darf ich die einzelnen Dienstleistungen pro Patient anbieten?
Das kommt auf die Dienstleistung an.
> Standardisierte Risikoerfassung bei Bluthochdruck-Patienten: Bei mindestens einem verordneten Antihypertensivum ab zwei Wochen nach Therapiebeginn einmal alle zwölf Monate oder bei Änderung der antihypertensiven Medikation ab zwei Wochen nach Einlösung einer Neuverordnung. Dann beginnt die Frist von zwölf Monaten erneut.
> Erweiterte Einweisung in die korrekte Arzneimittelanwendung mit Üben der Inhalationstechnik: Bei Neuverordnung von Devices oder Device-Wechsel sowie wenn der Patient laut Selbstauskunft in den vergangenen zwölf Monaten keine Einweisung mit praktischer Übung mit seinem Device in einer Arztpraxis oder Apotheke erhalten hat und laut Selbstauskunft nicht in ein Disease-Management-Programm (DMP) Asthma oder COPD eingeschrieben ist.
> Erweiterte Medikationsberatung bei Polymedikation: Grundsätzlich einmal alle zwölf Monate oder bei erheblicher Umstellung der ärztlich verordneten Medikation (definiert als mindestens drei neue oder andere systemisch wirkende Arzneimittel/Inhalativa innerhalb von vier Wochen als Dauermedikation). Damit ist kein wirkstoffgleicher Austausch gemeint. Die 12-Monatsfrist beginnt bei erheblichen Umstellungen nach der Leistungserbringung erneut.
> Pharmazeutische Betreuung von Organtransplantierten: Einmalig im ersten halben Jahr nach Organtransplantation, wenn eine immunsuppressive Therapie ambulant begonnen wird oder sich die immunsuppressive Behandlung aufgrund einer Neuverordnung ändert (einmalig im ersten halben Jahr nach Therapieänderung). Um eine Neuverordnung eines Immunsuppressivums handelt es sich, wenn laut Selbstauskunft der versicherten Person dieser Arzneistoff in den vergangenen sechs Monaten nicht angewendet wurde.
> Pharmazeutische Betreuung bei oraler Antitumortherapie: Einmalig im ersten halben Jahr nach Beginn einer ambulanten oralen Antitumortherapie oder wenn eine weitere ärztlich verordnete orale Antitumortherapie als ambulante Folgetherapie begonnen wird (Neuverordnung eines Antitumortherapeutikums) einmalig im ersten halben Jahr nach Beginn der Folgetherapie.
Bei paralleler Erst-/Neuverordnung mehrerer Immunsuppressiva nach Organtransplantation beziehungsweise mehrerer oraler Antitumortherapeutika kann der Apotheker für jeweils alle dieser Arzneimittel nur eine gemeinsame pharmazeutische Dienstleistung anbieten und abrechnen. Wendet der Patient aber unabhängig von Organtransplantation oder oraler Antitumortherapie zusätzlich weitere Medikamente dauerhaft systemisch/inhalativ an und kommt insgesamt, also inklusive Immunsupressiva/Onkologika auf mindestens fünf Arzneimittel, kann zusätzlich die erweiterte Medikationsberatung Polymedikation angeboten werden.
Wie hoch ist die Vergütung?
Für die fünf vereinbarten Dienstleistungen hat die Schiedsstelle die folgenden, abrechenbaren Netto-Beträge festgesetzt:
> für die erweiterte Medikationsberatung von Patienten mit Polymedikation 90 Euro,
> für die pharmazeutische Betreuung von Patienten nach Organtransplantation 90 Euro plus 17,55 Euro für ein Follow-up-Gespräch,
> für die pharmazeutische Betreuung von Patienten unter oraler Antitumortherapie 90 Euro plus 17,55 Euro für ein Follow-up-Gespräch,
> für die standardisierte Risikoerfassung bei Bluthochdruck-Patienten, die mindestens ein antihypertensives Medikament einnehmen 11,20 Euro
> sowie für die standardisierte Einweisung in die korrekte Arzneimittelanwendung und Üben der Inhalationstechnik für Patienten ab einem Alter von sechs Jahren 20 Euro.
Was ist, wenn die 150 Millionen Euro pro Jahr aufgebraucht sind?
Grundsätzlich ist ein zweistufiges Vergütungsmodell für das 150-Millionen-Euro-Budget vereinbart worden: Wenn die Summe der von allen Apotheken abgerechneten Dienstleistungen dem insgesamt zu verteilenden Betrag pro Quartal entspricht (oder kleiner ist), wird je nach Dienstleistung voll vergütet. Bleibt etwas übrig, wird das restliche Geld mit ins nächste Quartal genommen und steht dann zur Verfügung. Rechnen die Apotheken insgesamt eine größere Summe ab, als pro Quartal vorgesehen ist, erhalten die Apotheken in einer ersten Stufe eine Garantiezusage in Höhe von 1000 Euro pro Quartal. Die über diesem Betrag liegenden Forderungen werden proportional gekürzt und dann ausgezahlt.
Wie rechne ich ab?
Die Abrechnung erfolgt quartalsweise, zunächst über die Rechenzentren und dann über den Nacht- und Notdienstfonds. Die Dienstleistungen müssen dafür dokumentiert und vom Patienten quittiert werden. Die Apotheke muss dann einen Sonderbeleg bedrucken, den sie über ihr Rechenzentrum beim Nacht- und Notdienstfonds abrechnen kann. Dabei hat jede Leistung ein eigenes Sonderkennzeichen. Alle Details zur Abrechnung und Bedruckung dieses Sonderbelegs finden Sie hier.
Darf ich die Dienstleistungen auch PKV-Versicherten anbieten?
Ja. Das VOASG sieht vor, dass die Verhandlungen rund um die Dienstleistungen in Einvernehmen mit dem Verband der Privaten Krankenversicherungen stattfinden mussten. Die Privatversicherten müssen die Leistungen in der Apotheke also nicht selbst bezahlen. Vielmehr können die Apotheken sie über den oben genannten Sonderbeleg beim Nacht- und Notdienstfonds abrechnen.
Könnte eine Klage der Krankenkassen das Projekt wieder zum Stoppen bringen?
Eine Klage der Krankenkassen ist nach wie vor im Bereich des Möglichen. Klagen müsste der GKV-Spitzenverband, da nur dieser am Schiedsverfahren beteiligt war. Beklagt werden könnte der gesamte Schiedsspruch, aber auch nur Teile davon. Der AOK-Bundesverband hat bereits mitgeteilt, dass er die im Schiedsspruch angesetzte Vergütung für zu hoch hält. Zu möglichen Klagen wollten sich die Kassenverbände jedoch bislang nicht äußern – die Abstimmungen dazu seien noch nicht abgeschlossen. Wichtig für die Apotheker: Eine Klage hätte keine aufschiebende Wirkung. Heißt konkret: Der Schiedsspruch bleibt in Kraft, die Apotheken können die Leistungen vergütet anbieten, bis ein mögliches Gerichtsurteil dazwischen käme.
Warum sind die Ärzte verärgert?
Kurz nach Bekanntwerden des Schiedsspruches meldeten sich mehrere Ärzteverbände und -kammern zu Wort und beschwerten sich über die pharmazeutischen Dienstleistungen. In wenigen Fällen ging es den Medizinern um Versorgungsaspekte, wie beispielsweise eine angeblich mangelnde Qualifikation der Pharmazeuten. In erster Linie thematisierten die Standesvertreter der Ärzte die Vergütung der Dienstleistungen. Der NAV-Virchowbund rechnete beispielsweise vor, dass Kassenärzte für Medikationschecks und Blutdruckmessungen weitaus weniger abrechnen können als die Apotheken. Die PZ hat diese Aussagen in einem Faktencheck überprüft. Richtig ist, dass die Apothekenhonorare von der Schiedsstelle mit Absicht niedriger angesetzt wurden als die im EBM festgesetzten Ärztehonorare. Kassenärzte haben zudem die Möglichkeit, immer mehrere Leistungen gleichzeitig abzurechnen. Außerdem gibt es in vielen Fällen Selektivverträge, in denen beispielsweise für die Medikationsberatung deutlich höhere Honorare gelten.
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