Zwischen extremen Emotionen |
Die Gefühlsbalance halten: Das ist für Menschen mit Borderline-Persönlichkeitsstörung extrem schwer. / Foto: Adobe Stock/Alex from the Rock
Nachtschwarz oder strahlend weiß. Für Menschen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) gibt es nichts dazwischen. Gerade war die Welt noch in schönster Ordnung, plötzlich gerät sie aus den Fugen. Euphorie wandelt sich in abgrundtiefe Verzweiflung. Die Auslöser für den extremen Stimmungswandel sind oft Kleinigkeiten wie ein unbedachtes Wort.
Zentrales Merkmal der BPS ist eine schwerwiegende Störung der eigenen Emotionsregulation. Die Betroffenen erleben sich dabei als Opfer ihrer überbordenden Gefühle. Dieser als sehr quälend empfundene innere Spannungszustand entlädt sich oft in selbstschädigendem Verhalten, zum Beispiel indem sich die Patienten mit einem Messer schneiden, mit einer Zigarette brennen oder mit dem Kopf gegen eine Wand schlagen. Die Selbstverletzung beschreiben viele als eine Art Ventil, durch das die unerträgliche Anspannung entweichen kann. Es handelt sich also um eine Bewältigungsstrategie, bei der der »Erfolg« im Sinn der Lerntheorie als negativer Verstärker des Verhaltens wirkt. Viele Menschen mit Borderline-Störungen flüchten sich darüber hinaus in Hochrisikoverhalten, Alkoholexzesse, Drogenkonsum oder ein ausschweifendes Sexualleben, um der inneren Leere zu entkommen.
Oft ist das Erregungsniveau so hoch, dass es zu Dissoziationen kommt: Die Betroffenen erleben ein ausgeprägtes Gefühl der Unwirklichkeit, sehen sich selbst von außen wie eine andere Person und können sich hinterher manchmal nicht mehr an diesen Zustand erinnern. Auch wesentliche Anteile der zentralen sensorischen Reizverarbeitung, etwa die Schmerzwahrnehmung, können gestört sein.
Die meisten Menschen mit Borderline-Persönlichkeitsstörung haben ein sehr geringes Selbstwertgefühl. Sie suchen deshalb ständig Bestätigung von außen. Verlassen zu werden erscheint ihnen als existenzielle Bedrohung. Dennoch haben sie aufgrund ihres impulsiven Verhaltens oft große Schwierigkeiten in zwischenmenschlichen Beziehungen. Die Gefühle gegenüber engen Bezugspersonen wechseln oft zwischen extremer Verehrung und bodenloser Verachtung.
An einer Borderline-Persönlichkeitsstörung leiden weltweit 3 Prozent der Bevölkerung, schätzen Experten. Im Vergleich zu anderen psychischen Erkrankungen wie Depressionen und generalisierten Angststörungen sind das relativ wenige. Und dennoch gehört die BPS zu den häufigsten Aufnahmediagnosen in psychiatrischen Kliniken. Aufgrund des hohen Leidensdrucks und der Angst, sich selbst etwas anzutun, begeben sich viele Betroffene in psychiatrische oder psychotherapeutische Behandlung. Viele Patienten haben über Jahre hinweg Suizidgedanken. Mehr als die Hälfte versucht mindestens einmal – meist aber wiederholt –, sich das Leben zu nehmen. Bis zu 5 Prozent der Betroffenen sterben durch Selbsttötung.
Am höchsten ist die BPS-Prävalenz mit mindestens 6 Prozent bei jungen Erwachsenen. Obwohl in Therapieeinrichtungen die Mehrzahl der Hilfesuchenden weiblich ist, gehen Experten davon aus, dass beide Geschlechter etwa gleich häufig erkranken.
Oft lassen sich erste Anzeichen der Persönlichkeitsstörung bereits in der Kindheit erkennen. Etwa ein Drittel der erwachsenen Patienten berichtet, dass das selbstschädigende Verhalten schon im Grundschulalter begonnen habe. Meist manifestiert sich das klinische Bild der Erkrankung in der Pubertät. Das erschwert die Diagnose, weil impulsives Verhalten und Stimmungsschwankungen in dieser Phase zur normalen Entwicklung gehören können. Mit zunehmendem Alter verblassen die Symptome häufig: Unter den 45-Jährigen erfüllen nur noch etwa 0,6 Prozent die diagnostischen Kriterien.
Der Begriff Borderline (englisch für Grenzlinie) stammt aus einer Zeit, in der Mediziner die Erkrankung im Grenzgebiet zwischen Psychose und Neurose ansiedelten. Heute gilt sie als eigenes Krankheitsbild und wird in der Internationalen Klassifikation psychischer Störungen (ICD-10) den emotional instabilen Persönlichkeitsstörungen zugeordnet. Die Bezeichnung hat man dennoch beibehalten. Viele Betroffene empfinden sich selbst als »Borderliner«, als Grenzgänger zwischen extremen Gefühlen.
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Als Persönlichkeitsstörung gilt eine extreme Ausprägung eines Persönlichkeitsstils mit unflexiblen, starren und unzweckmäßigen Zügen. Das Erlebens- und Verhaltensmuster weicht merklich von den Erwartungen des soziokulturellen Umfelds ab, ist stabil, tief verwurzelt und mit erheblichem Leidensdruck für den Betroffenen verbunden. In Deutschland leiden etwa 10 Prozent der Bevölkerung an einer Persönlichkeitsstörung. Das DSM-5 (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders) teilt die Persönlichkeitsstörungen in drei Gruppen ein, die durch verschiedene Merkmale charakterisiert sind.
Hauptgruppe A: »sonderbar, exzentrisch«
Hauptgruppe B: »dramatisch, emotional«
Hauptgruppe C: »ängstlich, vermeidend«