Zwischen Analgetika und Antibiotika |
Eine Otoskopie bringt Klarheit über den Grund der Ohrenschmerzen. Bei Kindern ist meistens eine akute Mittelohrentzündung der Urheber. / Foto: Getty Images/KatarzynaBialasiewicz
Es ist nur eine äußerst kleine Entzündung, die sich auf engstem Raum abspielt. Aber sie weckt viele Kinder nachts jäh aus dem Schlaf. Durch die nächtliche Bettwärme kommt das Entzündungsgeschehen erst richtig zur Entfaltung. Stark pochende oder pulsierende Schmerzen quälen die kleinen Patienten. Besonders die Stelle hinter der Ohrmuschel ist extrem druckempfindlich. Sekret, das sich angestaut hat, drückt auf das Trommelfell und wirkt wie ein Dampfkessel. Das Hörvermögen ist beeinträchtigt. Säuglinge und kleine Kinder sind unruhig, schreien viel, trinken schlecht und fassen sich auffällig oft ans Ohr. Ältere Kinder sind zum Teil extrem abgeschlagen, manchmal begleitet von hohem Fieber. Auch Durchfall und Kopfschmerzen können sich hinzugesellen.
Am Anfang einer akuten Otitis media steht meistens eine virale Rhinitis oder Nasopharyngitis, die dann auf die Schleimhaut im Mittelohr übergreift. Da die Viren die Mucosabarriere schädigen und den Bakterien so die Adhäsion erleichtern, kann sich aus einer zunächst viral bedingten Entzündung relativ schnell eine bakterielle Superinfektion entwickeln. Befinden sich doch die Bakterien in unmittelbarer Nachbarschaft: Ohrpathogene Keime wie Streptococcus pneumoniae oder pyogenes, Hämophilus influenzae oder Moraxella catarrhalis sitzen häufig während der Erkältungssaison im Nasen-Rachen-Raum.
Dass es hauptsächlich kleine Patienten sind, die von einer akuten Otitis media geplagt werden, hat vor allem anatomische Gründe: Die meisten Mittelohrentzündungen gehen von der Ohrtrompete aus, sind also tubogen bedingt. Nur in seltenen Fällen sind sie hämatogen, also über die Blutbahn, initiiert. Die Ohrtrompete, auch Eustachische Röhre genannt, ist bei kleinen Kindern kürzer als bei Erwachsenen und verläuft horizontal. Zudem erkranken Kinder per se häufiger an Atemwegsinfektionen und aufgrund der anatomischen Gegebenheiten manifestieren sich diese dann leichter am Ohr.
Ohrenschmerzen können in jedem Lebensalter auftreten. Aber die Urheber dafür ändern sich mit den Jahren. Während bei Kindern die akute Mittelohrentzündung der häufigste Grund von Ohrerkrankungen ist – fast 70 Prozent der Kinder erkranken bis zum sechsten Lebensjahr wenigstens einmal daran –, sind es im Jugend- und Erwachsenenalter Entzündungen des Gehörgangs, die die Ohren zumeist schmerzen lassen.
Ohrenschmerzen, besonders wenn sie von anderen Beschwerden begleitet werden, bedürfen immer der Abklärung durch den Arzt. Mittelohrentzündungen dürfen nicht in Eigenregie behandelt werden, auch wenn sie in vielen Fällen selbstlimitierend sind. Rein rechnerisch geht man – besonders bei Kindern über zwei Jahren – von einer Selbstheilungsquote von 80 Prozent innerhalb von zwei bis sieben Tagen aus. PTA und Apotheker sollten dennoch zum Arztbesuch raten. Dieser erkennt bei der Otoskopie eine Otitis media an Veränderungen des Trommelfells. Es ist rosa verfärbt und ein bestehender wässriger Erguss schimmert hindurch. Hat sich eitriges Sekret, ein Paukenerguss, gebildet, wölbt sich das Trommelfell vor.
Die Autoren der Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM) empfehlen bei einer unkomplizierten akuten Mittelohrentzündung ohne eitrigen Erguss zunächst eine rein symptomatische Behandlung der Schmerzen. Die Strategie, den Krankheitsverlauf somit vorsichtig zu beobachten, sei für Kinder ohne Grunderkrankungen vertretbar. Es sei nur schwer vorhersehbar, ob und wie schnell die noch viral bedingte Entzündung einen bakteriellen Verlauf nimmt und damit Antibiotika indiziert seien.
Paracetamol und Ibuprofen systemisch nehmen schnell den oft unerträglichen Schmerz. Da Ibuprofen zusätzlich über eine antiphlogistische Wirkkomponente verfügt, wird es bei diesem Krankheitsbild häufiger eingesetzt. Für Kinder unter sechs Monaten ist nur Paracetamol zugelassen. Eine alternierende Gabe der beiden Arzneistoffe ist abzulehnen, zu hoch wäre das Risiko für mögliche Überdosierungen.
Neben den Analgetika empfehlen HNO-Ärzte zusätzlich α-Sympathomimetika in Form von Nasentropfen oder -sprays – auch wenn Studien bislang keinen Behandlungsvorteil dokumentieren konnten. Dadurch schwillt die Schleimhaut in der Nase und der Ohrtrompete ab. Sekret, das sich in der Paukenhöhle gebildet hat, kann dann besser abfließen. Die Belüftung des Mittelohrs wird verbessert, so die Theorie. Schmerzstillende Ohrentropfen sind keine Behandlungsoption. Abgesehen davon, dass sie die Beurteilung des Trommelfells erschweren, können sie dieses nicht durchdringen und das Mittelohr nicht erreichen.
Die Leitlinienautoren verfolgen bezüglich des Einsatzes von Antibiotika die Strategie des vorsichtigen Abwartens (»wait and watch«). Diese Vorgehensweise setzt allerdings eine gute Aufklärung und Absprache mit den Eltern voraus. So sei es vertretbar, bei Kindern von einem halben Jahr bis zu zwei Jahren die ersten 24 Stunden, bei Kindern ab zwei Jahren bis zu 48 Stunden beobachtend abzuwarten. Erst wenn danach keine Besserung eintritt oder sich der Gesundheitszustand gar verschlechtert, kommen Antibiotika zu Einsatz. Um eine Wiedervorstellung in der Praxis zu vermeiden, schlägt die Leitlinie ein Reserve-Rezept vor: Der Pädiater verordnet vorsorglich ein Antibiotikum, das die Eltern erst dann einlösen, wenn die Ohrenschmerzen nach den genannten Zeitspannen noch anhalten.
Diese abwartende Strategie gilt nicht für Säuglinge unter sechs Monaten oder Kinder mit Begleit- oder Grunderkrankungen, wie Diabetes oder Immunschwäche oder früheren Komplikationen einer Otitis media. Auch bei Patienten unter zwei Jahren mit beidseitigen Beschwerden oder mit immer wiederkehrenden Infekten sollte der Arzt leitliniengemäß sofort eine antibiotische Therapie einleiten. Mittel der Wahl ist dabei Amoxicillin. Bei Erregern mit erhöhter Betalactamase-Aktivität wie Hämophilus, Streptococcus pneumoniae oder Moraxella ist mit Clavulansäure zu kombinieren. Bei Penicillinallergie sollte der Arzt auf Makrolide wie Erythromycin oder Azithromycin ausweichen. Neben den Breitbandpenicillinen bieten sich orale Cephalosporine wie Cefuroxim oder Cefaclor an.
Bei der Beratung sollten PTA und Apotheker Eltern darüber informieren, dass auch die sofortige Gabe eines Antibiotikums die Analgetika nicht ersetzen kann. Die begleitenden Schmerzmittel sind deshalb angezeigt, da sich die Schmerzdauer durch Antibiotika nicht wesentlich verkürzen lässt, lediglich von 3,3 auf 2,8 Tage, wie eine Studie ergeben hat. Auf keinen Fall hat eine Antibiotikabehandlung Einfluss auf die Schmerzstärke in den ersten 24 Stunden.
Drei bis vier Wochen nach Therapiebeginn sollten die Eltern einen Nachsorgetermin wahrnehmen, bei dem auch die Überprüfung des Hörvermögens auf dem Programm steht. Der Erguss, der sich hinter dem Trommelfell gebildet hat, braucht etwa drei bis vier Wochen, um abzufließen. Solange bleibt auch die Hörminderung bestehen.
| Arzneimittel | Dosierung |
|---|---|
| Paracetamol | maximal 60 mg/kg KG (= Körpergewicht)/Tag, entspricht drei- bis viermal 10 bis 15 mg/kg KG/Tag |
| Ibuprofen | maximal 20 bis 30 mg/kg KG/Tag, verteilt auf drei bis vier Gaben pro Tag |
| 1. Wahl: Amoxicillin (eventuell kombiniert mit Clavulansäure) | 50 mg/kg KG/Tag in zwei bis drei Einzeldosen, 7 Tage lang |
| 2. Wahl: orales Cephalosporin der Gruppe 2, zum Beispiel Cefuroximaxetil | 20 bis 30 mg/kg KG/Tag für 5 bis 10 Tage |
| Bei Allergie gegen Penicilline oder Cephalosporine: Makrolide, zum Beispiel Erythromycin | 40 mg/kg KG/Tag über 7 Tage |