Zwei Extreme in der Immunonkologie |
Theo Dingermann |
12.04.2019 11:00 Uhr |
Krebstherapeutika müssen nicht immer den Tumor im Visier haben. Sie können auch das Immusystem mobilisieren, das dann den Tumor attackiert. / Foto: Fotolia/psdesign1
Heutzutage, wo rund 400 000 Euro teure CAR-T-Zell-Therapien Todkranken berechtigte Hoffnung auf ein neues Leben geben, ist der Begriff Immunonkologie kein Fremdwort mehr. Durch ein sorgfältiges, langsames Herantasten auf Basis plausibler Überlegungen und deren empirischer Abklärung hat man inzwischen klar aufzeigen können, dass das Immunsystem ein unverzichtbarer Verbündeter ist, wenn man Krebs erfolgreich und nachhaltig bekämpfen will. Zwei Meilensteine auf dieser Erfahrungsstrecke repräsentieren die Wirkstoffe Mifamurtid und Nivolumab. Nicht zuletzt wurden sie aus diesem Grund in den Jahren 2010 beziehungsweise 2016 jeweils mit dem PZ-Innovationspreis ausgezeichnet.
Obwohl Mifamurtid und Nivolumab beides Vertreter der Immunonkologika sind, präsentieren sie sich in ihren Portraits geradezu diametral. Mifamurtid konnte wirtschaftlich nicht reüssieren, wohingegen Nivolumab laut Arzneiverordnungs-Report 2018 bei den Gesetzlichen Krankenkassen im Jahr 2017 mit knapp 320 Millionen Euro zu Buche schlug. Während es selbst Kennern des Arzneimittelschatzes schwerfallen dürfte, spontan Auskunft zu Mifamurtid zu geben, kennen die meisten Nivolumab als einen Vertreter der Immun-Checkpoint-Inhibitoren. Mifamurtid ist ein Aktivator des angeborenen (unspezifischen) Immunsystems. Nivolumab wirkt auf das spezifische Immunsystem und reaktiviert T-Zellen, die durch eine perfide Aktivität von Tumorzellen in einen fatalen Ruhezustand gezwungen wurden.
Doch damit nicht genug der Unterschiede: Mifamurtid ist ein vollsynthetisches Muramyldipeptid (MDP)-Analogon, der kleinsten immunstimulierenden Teilstruktur der Zellwand von Mycobacterien, das eine therapeutisch gewollte systemische Entzündungsreaktion induziert. Nivolumab dagegen ist ein gentechnisch hergestellter monoklonaler Antikörper, der die immuninhibierende Interaktion zwischen dem Rezeptor Programmed Death-1 (PD-1) und seinen Liganden PD-L1 und PD-L2 aufhebt.
Im Gegensatz zu Mifamurtid, das bei einer sehr kleinen Patientenpopulation von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen zur Behandlung nicht metastasierter, resezierbarer, hochmaligner Osteosarkome im Rahmen einer postoperativen Chemotherapie eingesetzt wird, wurde Nivolumab breit für so unterschiedliche Tumorerkrankungen wie fortgeschrittenes Melanom, fortgeschrittenes nicht kleinzelliges Lungenkarzinom, fortgeschrittenes Nierenzellkarzinom, rezidivierendes oder refraktäres klassisches Hodgkin-Lymphom, Plattenepithelkarzinom des Kopf-Hals-Bereiches sowie für das lokal fortgeschrittene nicht resezierbare oder metastasierte Urothelkarzinom zugelassen.
Mifamurtid und Nivolumab sind Lehrbeispiele dafür, dass Tumortherapeutika keineswegs immer den Tumor als Ziel vor Augen haben müssen. Im Immunsystem steckt ein riesiges Potenzial im Kampf gegen Tumorleiden, das allerdings für den Kampf gegen die Tumorzellen gezielt aktiviert werden muss, wozu sich etliche, ganz unterschiedliche Zielstrukturen anbieten.
Seit fast einem Vierteljahrhundert vergibt die Pharmazeutische Zeitung den PZ-Innovationspreis und würdigt damit das jeweils innovativste Arzneimittel eines Jahres. Beim diesjährigen Pharmacon-Kongress in Meran wird der Preis zum 25. Mal verliehen. Das Jubiläum nimmt die PZ zum Anlass, alle bisherigen Preisträger Revue passieren zu lassen und sie kritisch zu beleuchten. Ließen sie sich in den Therapiealltag integrieren? Haben sie neue Therapierichtungen induziert? Als Autoren fungieren die Professoren Dr. Theo Dingermann und Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz, Mitglieder der externen PZ-Chefredaktion, sowie der stellvertretende PZ-Chefredakteur Sven Siebenand.