Zurückhaltung beim Koffeinkonsum für Schwangere |
Theo Dingermann |
26.08.2020 18:00 Uhr |
Schwangere sollten Koffein am besten ganz meiden. Zu diesem Fazit kommt eine aktuelle Studie. / Foto: Adobe Stock/Lightfield Studios
Frauen, die schwanger sind oder die eine Schwangerschaft anstreben, sollten so weit wie möglich Koffein meiden. Diesen weitreichenden Rat gibt Jack E. James, Professor für Psychologie an der Universität Reykjavik, Island, auf Basis einer Datenbankanalyse von 1261 Beobachtungsstudien, die jetzt im Fachjournal »BMJ Evidence-Based Medicine« publiziert wurde.
Demnach gibt es erhebliche kumulative Hinweise darauf, dass ein Zusammenhang zwischen dem mütterlichem Koffeinkonsum und verschiedenen negativen Effekten im Laufe einer Schwangerschaft sehr wahrscheinlich sind. Bekräftigt wird dieser Schluss dadurch, dass in mehreren Metaanalysen Dosis-Wirkungs-Effekte beschrieben werden. Und in einigen Studien wird zudem darauf hingewiesen, dass kein Konzentrationsschwellenwert festzustellen ist, unter dem ein Koffeinkonsum ohne negative Effekte bleibt.
Mindestens fünf Risiken für den Verlauf einer Schwangerschaft werden hervorgehoben: Fehlgeburt, Totgeburt, geringeres Geburtsgewicht beziehungsweise eine abnormale Entwicklung des Fetus, akute Leukämie im Kindesalter sowie Übergewicht und Adipositas im Kindesalter. Von diesen Risiken ist nach Aussage des Autors nur das Risiko einer Frühgeburt als »nicht zuverlässig« einzustufen. Im Umkehrschluss kommt die Arbeit zu dem Ergebnis, dass die vier anderen Risiken als höchst relevant einzustufen sind.
Entsprechend radikal sind demzufolge auch die Forderungen des Autors. Er fordert eine substanzielle Überarbeitung der aktuellen Empfehlungen zum Koffeinkonsum während der Schwangerschaft verschiedener Fachgruppen und Fachgesellschaften, darunter die ACOG (American College of Obstetricians and Gynecologists), des Dietary Guidelines Advisory Committee (DGAC) und der European Food Safety Authority (EFSA). Nach seiner Meinung rechtfertigen es die kumulativen wissenschaftlichen Beweise, schwangeren Frauen und Frauen mit Kinderwunsch zu empfehlen, Koffein generell zu meiden.
Nach den gängigen Empfehlungen wird ein Koffeinkonsum von 200 mg pro Tag für vertretbar gehalten. Dies entspricht in etwa zwei Tassen Kaffee mittlerer Stärke. Diese Empfehlung findet man auch in einer großen, im »New England Journal of Medizin« publizierten Übersichtsarbeit, über die die PZ kürzlich erst berichtete.
Bei allen Studien, die in die vorliegende Analyse eingeflossen sind, handelt es sich um Beobachtungsstudien. Von solchen Studien lassen sich prinzipiell keine Kausalzusammenhänge ableiten. Darauf weist auch der Autor hin. So ist nicht auszuschließen, dass durch Störfaktoren, zum Beispiel Rauchen oder Alkoholkonsum, der Einfluss des Koffeinkonsums fehlinterpretiert wird. Andererseits spricht die häufig beobachtete Dosisabhängigkeit der Koffeineffekte dafür, dass die Schlüsse begründet sein könnten.
Ob es gerechtfertigt ist, von »substanziellen kumulativen Beweisen« für einen Zusammenhang zwischen mütterlichem Koffeinkonsum und verschiedenen negativen Schwangerschaftsproblemen zu sprechen, wird die wissenschaftliche Diskussion zeigen, die diese Arbeit mit Sicherheit entfachen wird.
Diese Publikation könnte Schwangere stark verunsichern. Das sollte jedoch nicht sein. Denn bei kritischer Betrachtung kann man schon hinterfragen, wie der Autor auf Basis eines Blumenstraußes an Beobachtungsstudien und gegen einen allgemeinen wissenschaftlichen Konsens, der von namhaften Fachgesellschaften und Fachkommissionen vertreten wird, so weitgehende Schlüsse ziehen kann.
Natürlich kann man den Standpunkt vertreten, die Exposition mit Xenobiotika, und dazu gehört auch das Koffein, in der besonderen Situation einer Schwangerschaft so weit wie möglich zu minimieren. Wenn dies jedoch bei Schwangeren ein schlechtes Gewissen oder gar Angst induziert, ist dieser Rat kontraproduktiv. Nach dem aktuellen Stand des Wissens begeht man keinen Fehler, wenn man einer Schwangeren nicht das Kaffeetrinken verbietet, sondern ihr empfiehlt, eine Konzentration von 200 mg Koffein pro Tag nicht zu überschreiten.
Professor Theo Dingermann
Chefredakteur Pharmazeutische Zeitung