Zielscheibe Faktor XI |
Sven Siebenand |
23.07.2021 16:52 Uhr |
Neue Arzneistoffkandidaten zielen darauf ab, den Blutgerinnungsfaktor XI beziehungsweise dessen aktivierte Form zu treffen und damit zu hemmen. / Foto: Adobe Stock/whitewizzard
Die Antikoagulanzien Rivaroxaban und Edoxaban wirken als Faktor-Xa-Hemmer und inhibieren die Aktivierung von Prothrombin zu Thrombin. Den Faktor XIa und damit die Aktivierung von Gerinnungsfaktor IX hemmt der Antikörper Osocimab. Bereits im vergangenen Jahr wurde in »JAMA« über positive Effekte des Antikörpers bei der Verhinderung venöser Thromboembolien (VTE) berichtet. Abelacimab wirkt ähnlich. Es ist ein hochselektiver monoklonaler Antikörper mit dualer Aktivität sowohl gegen den Faktor XI als auch gegen dessen aktivierte Form, den Faktor XIa. Letzter sorgt in der Gerinnungskaskade wie beschrieben dafür, dass Faktor IX zu Faktor IXa umgewandelt wird. Die Blockade von Faktor XI durch Abelacimab führt zudem dazu, dass vom Faktor XIa weniger gebildet wird.
Das Pharmaunternehmen Anthos Therapeutics wies bei einer virtuellen Pressekonferenz auf Ergebnisse aus der Phase-II-Studie ANT-005 hin. Diese sind auch im »New England Journal of Medicine« publiziert. Die Daten zeigen, dass eine einzelne postoperative Dosis von Abelacimab nach einer elektiven Knietotalendoprothese die Rate an VTE im Vergleich zu Enoxaparin sehr deutlich reduzierte.
In der Studie erhielten 412 Teilnehmer entweder postoperativ eine einmalige intravenöse Dosis von Abelacimab (150 mg, 75 mg oder 30 mg) oder sie wurden nach der Operation für zehn Tage mit subkutan appliziertem Enoxaparin (40 mg/Tag) therapiert. Im primären Wirksamkeitsendpunkt wurde auf die Rate an VTE geschaut. Dieser Endpunkt trat bei 4, 5 und 13 Prozent der Patienten in der 150-mg-, 75-mg- und 30-mg-Abelacimab-Gruppe auf, verglichen mit 22 Prozent der Patienten in der Enoxaparin-Gruppe. Die 75 mg und 150 mg Abelacimab-Schemata waren beide Enoxaparin statistisch gesehen überlegen, während die 30-mg-Dosis immerhin nicht unterlegen war.
Nach einer Hüft- oder Kniegelenkersatzoperation besteht ein erhöhtes Thromboserisiko. / Foto: Adobe Stock/Henadzy
»Die Ergebnisse dieser Studie liefern aufregende neue Beweise dafür, dass die Hemmung von Faktor XI ein effektiver Weg zu sein scheint, um das Risiko einer pathologischen Thrombose zu reduzieren - in diesem Fall mit einer einzigen postoperativen Dosis von Abelacimab«, so einer der Studienautoren, Professor Dr. Jeffrey I. Weitz von der McMaster University in Hamilton, Kanada.
Abelacimab wird auch in anderen Indikationen getestet: In der laufenden Phase-II-Studie ANT-006 wird die langfristige einmal monatliche subkutane Verabreichung von Abelacimab zur Schlaganfallprävention bei Patienten mit Vorhofflimmern untersucht. Sie richtet ihr Augenmerk auf Blutungsereignisse und vergleicht Abelacimab direkt mit Rivaroxaban.
Alle gegenwärtigen Antikoagulanzien beeinflussen sowohl die physiologische Hämostase als auch die pathologische Thrombose und bergen somit ein Blutungsrisiko, so Dr. Dan Bloomfield von Anthos Therapeutics. Wie das Unternehmen mitteilt, sieht es bei Abelacimab jedoch das Potenzial, einen wirksamen Schutz vor thromboembolischen Ereignissen bei gleichzeitig geringem Risiko für Blutungen zu bieten. Dabei bezieht man sich auf ein in den »Journals of the American College of Cardiology« beschriebenes neuartiges Modell der Blutgerinnungskaskade. Demnach spielt Faktor XI eine wichtige Rolle bei der Entstehung von pathologischen Thrombosen, bei der physiologischen Hämostase wird ihm jedoch nur eine geringe Bedeutung beigemessen. Weitz erinnerte daran, dass Personen mit einem schweren vererbten Faktor-XI-Mangel ein reduziertes Thromboserisiko aufweisen mit geringem oder keinem Risiko schwerer oder spontaner Blutungen. »Hemmt man Faktor XI, entkoppelt man effektiv den physiologischen Weg der Blutstillung von pathologischen Thrombosen«, so Weitz.
Ob Abelacimab oder auch Osocimab die großen Erwartungen erfüllen werden, müssen zukünftige Studien zeigen. Bis zur möglichen Marktreife der Antikörper wird es in jedem Fall noch dauern. Ebenso muss man warten, ob auch noch Faktor-XII-Hemmer einen Weg Richtung Wirkstoff einschlagen. Weitz informierte, dass auch Menschen mit einem starken Faktor-XII-Mangel kein erhöhtes Blutungsrisiko haben. Allerdings wisse man nicht, wie wichtig Faktor XII bei der Entstehung von Thrombosen überhaupt ist.