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Covid-19

Womöglich mildere Verläufe durch Masken

Stoff- und OP-Masken schützen ihren Träger nicht immer vor einer Infektion mit SARS-CoV-2, können aber einer neuen Theorie zufolge die Menge an aufgenommenen Viruspartikeln so stark reduzieren, dass es nur zu einem milden Verlauf kommt.
Annette Rößler
10.09.2020  17:30 Uhr

Als die Pocken grassierten und es noch keinen Impfstoff gab, griffen manche Ärzte zu einer ungewöhnlichen Maßnahme: Sie nahmen das Sekret aus den Pusteln von genesenen Pockenpatienten und brachten es Gesunden über kleine Ritzen in die Haut ein. Ziel dieser Prozedur, die in Anlehnung an den lateinischen Namen der Pocken, Variola, als Variolation bezeichnet wurde, war es, eine milde Pockenerkrankung zu provozieren – und vor allem eine daraus resultierende Immunität gegen den Erreger. Im Prinzip handelte es sich bei der Variolation um eine attenuierte Lebendimpfung, die zwar erstaunlich oft das gewünschte Resultat zeigte, aber aufgrund der Dosierungenauigkeit auch mit einem erheblichen Risiko für eine schwere Pockenerkrankung verbunden war. Aus diesem Grund wurde sie aufgegeben, als der »richtige« Pockenimpfstoff verfügbar war.

Was hat nun die alte Geschichte von der Variolation mit dem Coronavirus zu tun? Sehr viel, schreiben die Infektiologin Professor Dr. Monica Gandhi und der Epidemiologe Professor Dr. George Rutherford, beide von der University of California in San Francisco, in einem Meinungsbeitrag im »New England Journal of Medicine«. Sie argumentieren, dass Mund-Nase-Bedeckungen, die mittlerweile in vielen Bereichen obligatorisch sind, die Träger zwar nicht in jedem Fall vor einer Infektion mit SARS-CoV-2 schützen könnten. Die Menge an aufgenommenem Virus würde aber so stark reduziert, dass der Betreffende nur leicht an Covid-19 erkranke und anschließend – ganz im Sinne der Variolation – immun sei.

Für ihre Theorie finden die beiden viele Belege. So sei in den USA die Rate an asymptomatischen Covid-19-Verläufen Schätzungen zufolge nach Einführung der Maskenpflicht von zuvor rund 40 Prozent auf mehr als 80 Prozent gestiegen. Länder, in denen eine Maskenpflicht früher und konsequenter eingeführt worden sei als in den Vereinigten Staaten, seien bislang mit deutlich weniger schweren Covid-19-Fällen durch die Pandemie gekommen – auch nachdem der Lockdown gelockert worden sei. Auf einem Kreuzfahrtschiff, auf dem bei einem SARS-CoV-2-Ausbruch die Passagiere mit OP-Masken und das Personal mit FFP2-Masken versorgt worden seien, habe der Anteil asymptomatisch Infizierter 81 Prozent betragen, während er auf einem anderen Kreuzfahrtschiff ohne Masken lediglich bei 20 Prozent gelegen habe. Nicht zuletzt hätten Experimente mit Hamstern gezeigt, dass die Schwere des Verlaufs von Covid-19 von der Virusmenge abhängt, der die Tiere ausgesetzt sind, und dass diese sich drastisch senken lässt, wenn die Atemluft durch eine OP-Maske gefiltert wird.

Alles in allem sehen Gandhi und Rutherford die Variolation in der jetzigen Situation, in der die Menschheit mit einem sich schnell verbreitenden viralen Erreger konfrontiert ist, ohne spezifisch wirksame Arzneistoffe oder einen Impfstoff zur Verfügung zu haben, als Möglichkeit, die Pandemie einzudämmen. Sie räumen zwar ein, dass noch nicht eindeutig erwiesen sei, dass eine niedrige Virusmenge tatsächlich zu Infektionen mit milden Verläufen führt und dass die so Infizierten auch eine genügend starke Immunreaktion zeigen, um vor einer erneuten Infektion geschützt zu sein, halten das aber für wahrscheinlich. Die von ihnen aufgestellte Hypothese könnte auch eine mögliche Erklärung dafür sein, dass derzeit in einigen Ländern, darunter Deutschland, die Infektionszahlen wieder ansteigen, aber keine Zunahme der Fälle von Covid-19-Patienten in den Kliniken zu beobachten ist.

Prinzipiell plausibel, aber …

Von anderen Experten wird der Artikel mit Interesse, aber auch einer gewissen Skepsis aufgenommen. Professor Dr. Maria Vehreschild vom Universitätsklinikum Frankfurt am Main betonte, dass es sich um eine Expertenmeinung und keine Originalarbeit handele. »Die Hypothese an sich ist aus meiner Sicht plausibel, allerdings gibt es bisher keine Studien, die diesbezüglich ganz eindeutige Evidenz für eine Ursache-Wirkungs-Beziehung liefern würden.«

Inzwischen gilt es als belegt, dass ein MNS auch das Infektionsrisiko des Trägers senkt. Insofern stelle sich ihr die Frage nach den Konsequenzen, so die Infektiologin: »Es ist bereits belegt, dass Masken schützen, und aus diesem Grunde sind sie Teil weltweiter Hygienekonzepte. Bei Einhaltung dieses grundsätzlich sinnvollen Hygienekonzepts entsteht nun potenziell ein weiterer positiver Effekt. Die Frage, ob man in Risikosituationen eine Maske tragen sollte oder nicht, ist aber längst beantwortet und sollte jetzt nicht neu gestellt werden.«

Eine solche Diskussion wollen auch Gandhi und Rutherford nicht vom Zaun brechen, im Gegenteil. Ihr Anliegen ist es, für das Tragen von Masken ein weiteres Argument zu liefern. Auf die Art der Maske – einfache Mund-Nasen-Bedeckung aus Stoff, OP-Maske oder FFP-Maske – kommt es ihnen dabei nicht an. Sie propagieren das Tragen in der gesamten Bevölkerung »von jeder Art von Maske, die die Akzeptanz und Adhärenz erhöht«.

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