Woher kommt SARS-CoV-2? |
Theo Dingermann |
24.04.2022 08:00 Uhr |
Am 2. Januar 2020 um 5.30 Uhr morgens lagen die Sequenzrohdaten der ersten Patientenproben vor, die zweieinhalb Tage zuvor an das WIV zur dringenden Analyse geschickt worden waren. Sie stammten von sieben Patienten in ernstem Zustand, die kürzlich wegen einer mysteriösen Lungenentzündung ins Krankenhaus eingeliefert worden waren. Eine Sequenz, die jetzt als WIV04 bekannt ist, war fast vollständig und von hoher Qualität: ein Coronavirus.
Beim Abgleich der Sequenzen mit Sequenzen, die in internationalen Datenbanken gespeichert waren, zeigte sich, dass die charakterisierten Viren am auffälligsten dem 4991-Isolat glichen, das Shis Team 2013 aus Mojiang mitgebracht hatte.
Dieses Virus, von dem es keine Probe, sondern nur noch einen Sequenzfile gab, verdiente plötzlich einen offiziellen Namen: RaTG13 – Ra für die Fledermausart Rhinolophus affinis, in der es gefunden wurde, TG für Tongguan, die Stadt in der Nähe der Kupfermine und 13 für das Jahr seiner Entdeckung. RaTG13 war, wie die Forscher einen Monat später in »Nature« berichteten (14), zu 96 Prozent identisch mit dem Coronavirus, das bei den sieben Patienten gefunden wurde.
Die Tatsache, dass sich RaTG13 und SARS-CoV-2 auf Genomebene so ähneln, ist wissenschaftlich spannend, für kritische Beobachter aber auch verdächtig.
Nun ist eine Ähnlichkeit zwischen den beiden Viren RaTG13 und SARS-CoV-2 noch lange kein Beweis dafür, dass RaTG13 die Quelle von Covid-19 ist. Dies unterstrichen im vergangenen September führende Virologen und Experten für Infektionskrankheiten. In einer Publikation in »Cell« (15) betonten sie unter anderem, dass die beiden Viren zwar verwandt sein mögen, aber auf unterschiedlichen Evolutionszweigen sitzen, die sich vor etwa einem halben Jahrhundert auseinanderentwickelt haben. Das vom WIV isolierte Fledermausvirus RaTG13 unterscheidet sich von der Wuhan-Hu-1-Referenzsequenz von SARS-CoV-2 in etwa 1100 Nukleotiden, die über das gesamte Genom verteilt sind. Niemand hätte RaTG13 als Basis für die Entwicklung von SARS-CoV-2 verwenden können, schreiben die Autoren.
Die Pandemie hat bislang weltweit mindestens 6 Millionen Todesopfer gefordert. Hier der Rorotan-Friedhof für Covid-19-Verstorbene in Jakarta, Indonesien / Foto: Adobe Stock/syahrir
Zudem berichtete »Nature« (16) in einem News-Beitrag über eine Studie, die als Preprint publiziert wurde (17). Danach hatten Wissenschaftler in Laos drei Viren aus Fledermäusen (BANAL-52, BANAL-103 und BANAL-236) isoliert, die dem SARS-CoV-2-Virus ähnlicher sind als alle anderen bekannten Viren.
Bemerkenswert an diesen Isolaten ist, dass hier erstmals Rezeptor-Bindedomänen (RBD) identifiziert wurden, die sich nur in einem oder zwei Aminosäureresten von denen des SARS-CoV-2 unterscheiden. Diese RBD binden ebenso effizient an das humane ACE2-Protein wie der ursprüngliche SARS-CoV-2-Stamm aus Wuhan. Allerdings verfügt keines dieser Isolate über eine Furin-Spaltstelle im Spike-Protein. Diese Bindestelle ist jedoch eine wichtige Funktionseinheit von SARS-CoV-2. Während RaTG13 eine Sequenzidentität von 96,1 Prozent zu SARS-CoV-2 aufweist, stimmen BANAL-52 und SARS-CoV-2 auf Genomeben zu 96,8 Prozent überein. Aber einen Beweis für einen natürlichen Ursprung von SARS-CoV-2 liefern auch diese Isolate nicht.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.