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Coronavirus-Pandemie

Wie hoch muss die Herdenimmunität sein?

60, 70 oder doch mehr als 90 Prozent? Wie viele Menschen müssen gegen Corona geimpft sein oder nach einer Infektion auf natürliche Weise eine Abwehr entwickelt haben, damit die Corona-Ausbreitung zum Erliegen kommt? Die Antwort auf diese Frage hat viele Unbekannte.
dpa
13.01.2021  07:00 Uhr

Bei einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur gaben etwa zwei Drittel der Deutschen an, sich gegen das Coronavirus impfen lassen zu wollen. Aber reicht das? Bei der Antwort auf diese Frage ist noch vieles ungewiss. So ist bislang nicht klar, ob die zugelassenen Impfstoffe auch davor schützen, das Virus an andere weiterzugeben.

Generell könnten Viren, die sich wie SARS-CoV-2 unmittelbar auf der Nasenschleimhaut oder in den oberen Atemwegen befinden, schnell wieder ausgehustet oder -geniest und damit weitergegeben werden, sagt Professor Dr. Luka Cicin-Sain vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig. Auch gebe es Einzelfälle, in denen sich schon einmal Erkrankte rasch erneut mit dem Virus ansteckten. Wie lange der Impfschutz halten werde, könne bislang niemand wirklich sagen. Der Schutz nach einer Infektion könnte aber kürzer sein als der durch eine Impfung, erklärt Cicin-Sain.

Mutation erhöht Prozentsatz für Herdenimmunität

Ein weiterer Faktor ist, dass sich das Coronavirus stetig verändert. Die zunächst in Großbritannien und dann auch in Deutschland und anderen Ländern nachgewiesene Mutation B.1.1.7 zum Beispiel ist nach derzeitigem Kenntnisstand deutlich ansteckender – das heißt, ein Infizierter steckt im Schnitt mehr Menschen an, was wiederum die Ausbreitung des Erregers beschleunigt.

Der Anteil an Geimpften in der Bevölkerung müsse dann steigen, um eine Herdenimmunität erreichen zu können, erklärt der Mediziner Cicin-Sain. Mit dem Begriff wird ein Zustand bezeichnet, bei dem ein großer Teil der Gesellschaft durch Infektion oder Impfung immun gegen eine ansteckende Krankheit ist. Der Erreger findet dann immer weniger Menschen, in denen er sich vermehren kann, seine Ausbreitung wird deutlich vermindert.

Für eine Herdenimmunität bei Corona galt anfangs eine Durchseuchungs- oder Impfquote von 60 bis 70 Prozent als nötig. Wegen all der Unwägbarkeiten jedoch scheint dieser Wert manchen Experten zu gering. So erklärt Professor Dr. Hajo Zeeb vom Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie in Bremen, dass bei der neuen Virusvariante nach den bisher vorliegenden Daten 80 Prozent der Bevölkerung immun sein müssten, «um die weitere Ausbreitung im Sinne der Herdenimmunität zu verhindern».

Zu beachten sei darüber hinaus, dass die Ausbreitung sehr variabel verlaufe, beispielsweise punktuell recht gewaltig durch sogenannte Superspreading-Ereignisse. Warum Herdenimmunität wichtig ist, macht Cicin-Sain deutlich: Es gebe Menschen, die nicht geimpft werden können, etwa weil sie an Leukämie erkrankt seien oder ihnen ein Organ transplantiert worden sei und sie immunhemmende Medikamente nehmen müssten. «Sie können nur durch Herdenimmunität geschützt werden», sagt der Wissenschaftler. Den Anteil Betroffener schätzt er auf 1 bis 2 Prozent.

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