Wer verfolgt welche Ziele? |
Insgesamt befindet sich der Markt in Bewegung. Vieles dürfte sich noch ändern, bis in der TI flächendeckend E-Rezepte versendet werden können. Auffällig ist, dass es zwischen den Kooperationen viele Schnittstellen gibt. So nutzt Pro AvO eine Optica-Technologie, der Zur-Rose-Spezialist E-Health-Tec ist im TK-Projekt beteiligt und die TK wiederum ist auch am MORE-Projekt aktiv. Auch deswegen ist nicht auszuschließen, dass es noch zu einer Megafusion kommen könnte.
Die Marktteilnehmer Zukunftspakt, Pro AvO und der DAV wollen allesamt die Apotheken gegenüber dem Versandhandel stärken. Aus Patientensicht stellt sich daher die Frage, warum es keine gemeinsame Handy-App mit einem Apotheken-A geben könnte, an der die wichtigsten Institutionen der Branche beteiligt sind?
Natürlich könnte es auch noch Überraschungen geben. Die Compugroup zum Beispiel ist sowohl im Bereich Arztpraxis-Software als auch bei den Apotheken-Warenwirtschaften prominent marktbeteiligt. Bislang betreibt der Konzern aber kein E-Rezept-Projekt. Eine Sprecherin erklärte, dass man sich mit dem Thema beschäftige, dies sei aber noch nicht »spruchreif«. Da dürfte also noch etwas kommen. Zu erwarten ist auch, dass die Shop-Apotheke noch ins Plattform-Geschäft einsteigt. Der Versandkonzern hatte dies angekündigt.
Mit Spannung werden zudem zwei Ausschreibungen der Gematik verfolgt. Die Gematik sucht einerseits einen Dienstleister, der den E-Rezept-Fachdienst entwickelt. Andererseits will sie einen »Help Desk« für Versicherte zum E-Rezept entwickeln, also eine Institution, die Patienten bei Fragen zur E-Rezept-Anwendung weiterhilft. Aus Apothekersicht käme es einer Katastrophe gleich, wenn etwa die Zur-Rose-Tochter E-Health-Tec mit der Entwicklung des E-Rezept-Fachdienstes beliehen wird. Mit Blick auf die beschriebene Modellstruktur wäre auch ein Zuschlag für Optica kritisch. Die Gematik wollte sich nicht dazu äußern, wann die Zuschläge vergeben werden.
Immer wieder hört man auch Gerüchte, dass das BMG auf die Teleclinic-Übernahme durch Zur Rose reagieren will und die Weiterleitungsfunktion aus der Gematik-App streicht. Politisch denkbar wäre dies – schließlich hatten sich mehrere Unionspolitiker mit Prüfaufträgen ans BMG gewandt, weil sie die Trennung zwischen Verordnung (Teleclinic) und Abgabe (Zur Rose) verletzt sehen. Entscheidet sich das BMG zu einer solchen Regelung, würde jeglicher App-Wettbewerb im Keim erstickt. Schließlich gäbe es dann nur noch eine werbe- und interessenfreie staatliche Anwendung zur E-Rezept-Belieferung.
Die Erkenntnisse aus dieser Recherche sind sowohl für Apotheker als auch für Patienten ernüchternd. Beim TK-Modell müssen sich die teilnehmenden Apotheken bei der Zur-Rose-Tochter E-Health-Tec registrieren. Dass der Versandkonzern die Apothekendaten dafür nutzt, um seine eigene E-Rezept-Welt aufzubauen, ist nicht bestätigt – aber denkbar. Dass der apothekereigene Konzern Noventi ebenfalls an diesem Projekt beteiligt ist und dies somit duldet, ist enttäuschend. Auch die Datennutzung im MORE-Projekt in Hessen ist besorgniserregend: Über einen eigenen Zugang zum E-Rezept-Portal der Patienten können die beteiligten Kassen TK, AOK und DAK anonymisiert die Arzneimittel-Verordnungen einsehen. Wenn dies der erste Versuch der Kassen ist, wie in der Heil- und Hilfsmittelversorgung Rezepte vor der Belieferung einzusehen und diese freizugeben, muss dies verhindert werden. Auch für Patienten wäre das insbesondere in intimen und Notfallsituationen eine Katastrophe. Und schließlich könnte auch das Pro AvO-Bündnis zu einer Enttäuschung für Apotheker werden, wenn die Apotheker pro erhaltenem E-Rezept eine Gebühr zahlen müssen – obwohl es sich hierbei bislang nur um unbestätigte Marktgerüchte handelt. In jedem Fall muss sich Pro AvO die Frage gefallen lassen, warum sie für ihre E-Rezept-App unbedingt die Software aus dem MORE-Projekt verwenden wollen…
Im Markt der Apotheken-Apps bilden sich derzeit also gefährliche Auswüchse – und das, obwohl es das E-Rezept noch nicht einmal gibt! Die Politik sollte diesen Warnschuss hören und sich nochmals fragen: Warum muss es im E-Rezept-Markt überhaupt Wettbewerb geben? Reicht nicht die staatliche Anwendung der Gematik, um Patienten interessenfrei zu versorgen? Denn klar ist auch: Mit einer steigenden Zahl von Anbietern steigt auch die Fehleranfälligkeit im System. Ebenso sollte sich die Gematik gut überlegen, welchen Konzern sie mit dem Bau des E-Rezept-Fachdienstes beauftragt. Dass renditeorientierte Versandkonzerne, die auch eine Übernahme durch Amazon nicht ausschließen, im Auftrag der Gematik das deutsche E-Rezept-System entwickeln, sollte allein schon aus Sicherheitsgründen ausgeschlossen werden.
Letztlich bleibt der fromme Wunsch, dass sich all die Bündnisse, Kooperationen und Unternehmen, die diese Entwicklungen kritisch sehen, zusammentun, um den Patienten ein gemeinsames, diskriminierungs- und werbefreies Angebot zu machen: eine Apotheken-App, die das rote Apotheken-A trägt und hinter der sich die gesamte Branche verbündet.
Benjamin Rohrer, PZ-Chefredakteur
Benjamin Rohrer studierte in Berlin, Manchester und Perugia Englisch und Italienisch. Nach dem Studium absolvierte er ein journalistisches Volontariat beim Nachrichtendienst Apotheke Adhoc. Später arbeitete er in einer PR-Agentur für den AOK-Bundesverband, bevor er zu DAZ.online, dem Nachrichtenportal der Deutschen Apotheker Zeitung, wechselte, wo er zuletzt als Chefredakteur tätig war. Bei der PZ ist Rohrer als Chefredakteur insbesondere für die Themen Politik und Wirtschaft zuständig.
Das Papier-Rezept ist ein Auslaufmodell. Mit dem E-Rezept sollen alle Arzneimittel-Verordnungen über die Telematikinfrastruktur abgewickelt werden. Wir berichten über alle Entwicklungen bei der Einführung des E-Rezeptes. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite E-Rezept.