Wer Abstinenz anstrebt, hält besser durch |
Brigitte M. Gensthaler |
27.12.2018 09:00 Uhr |
Bitte nicht! Wenn sich Personen mit Alkoholproblematik vornehmen, gar keinen Alkohol mehr anzurühren, bleiben sie länger trocken als solche, die sich kontrolliertes Trinken als Ziel setzen. Foto: Shutterstock/AndreyCherkasov
Der Psychologieprofessor Dr. Martin Sieber aus Zollikon bei Zürich befragte 450 Alkoholabhängige in der Schweiz am Ende der ambulanten Therapie nach ihrem Ziel und ein Jahr später nach dem aktuellen Alkoholkonsum sowie Rückfällen. Die kürzlich in der Fachzeitschrift »Suchttherapie« publizierte Analyse umfasst 116 Personen mit komplettem Datensatz.
Rund 70 Prozent der Personen, die sich für kontrolliertes Trinken entschieden hatten, berichteten dem Suchtforscher, dass sie den reduzierten Alkoholkonsum beibehalten oder sogar vermindern konnten. Die Hälfte erklärte, an 20 Tagen pro Monat gar nicht zu trinken.
Patienten mit dem Ziel der kompletten Abstinenz schnitten insgesamt jedoch besser ab. Fast neun von zehn (89 Prozent) gelang es, im ersten Jahr nach der Behandlung auf problematischen Alkoholkonsum zu verzichten. Mit dem kontrollierten Trinken waren es nur knapp 45 Prozent. Ein problematischer Alkoholkonsum liegt vor, wenn die Person mehrmals in der Woche Alkohol trinkt und es bei einzelnen Gelegenheiten mehr als sechs Getränke werden. Auch die Zahl derer, die aufgrund von Alkoholexzessen erneut in ambulanter oder stationärer Therapie waren, war deutlich geringer bei den Patienten, die Abstinenz angestrebt hatten.
Das kontrollierte Trinken sei weniger erfolgversprechend und kostenintensiver für das Gesundheitswesen als das Abstinenzziel, konstatiert Sieber in seiner Analyse. Jedoch solle Personen, die dazu nicht bereit sind, die Möglichkeit des kontrollierten Trinkens nicht verwehrt werden.
Die Strategie des kontrollierten Trinkens ist unter Suchtexperten umstritten. Einige sehen darin eine gute Option für Menschen, die nicht zu einer völligen Abstinenz bereit sind. Andere halten sie für verfehlt, da sie Alkoholabhängige in der falschen Hoffnung bestärke, ihren Konsum konstant auf niedrigem Niveau halten zu können.