Wenn Medikamente das Leben bedrohen |
Für die Risikoeinschätzung von suizidalem Verhalten als Nebenwirkung von Arzneimitteln werden häufig kleinere, teils wirkstoffspezifische Untersuchungen eingeleitet. Dies geschieht in der Regel dann, wenn in nationalen und internationalen Melderegistern eine gewisse Menge an Fallzahlen eingegangen ist, die bewertet werden müssen.
Kürzlich wurden in einer explorativen Studie aus den USA 20 Wirkstoffe identifiziert, bei denen in den letzten zehn Jahren sehr häufig suizidales Verhalten als Nebenwirkung gemeldet wurde. Die Daten stammen aus der FAERS-Datenbank der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA. Darunter befinden sich Vertreter verschiedener Wirkstoffklassen wie Antiepileptika, Antipsychotika, Analgetika und Antidepressiva.
Bereits 2008 stellte ein Fachausschuss der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) in einer groß angelegten Metaanalyse fest, dass Antidepressiva substanzklassenübergreifend bei jungen Menschen unter 25 Jahren das Risiko für suizidale Gedanken im Vergleich zu Placebo fördern können. Bei selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI) wie Fluoxetin, Citalopram, Sertralin, Duloxetin oder Paroxetin und dem SNRI Venlafaxin könnte dies mit der zuvor beschriebenen anregenden Wirkung zusammenhängen – wobei sich in der Regel nicht sagen lässt, ob das suizidale Verhalten ein Resultat der Depression oder eine Nebenwirkung des Arzneimittels ist. Der Wirkstoff Bupropion, welcher zur Behandlung von Depressionen und zur Rauchentwöhnung eingesetzt wird, hat in beiden Indikationen diese Nebenwirkung. Typischerweise treten die suizidalen Gedanken innerhalb der ersten vier Wochen nach Therapiebeginn auf. Auch bei den Antipsychotika Aripiprazol, Quetiapin, Clozapin und Olanzapin tauchte in der Vergangenheit der Verdacht auf einen Zusammenhang auf.
Für das Asthmamedikament Montelukast konnten psychiatrische Nebenwirkungen inklusive suizidaler Handlungen sowie -gedanken festgestellt werden. Dieses Phänomen tritt insbesondere bei Kindern auf und wurde als sehr seltene Nebenwirkung aufgrund gemeldeter Fallzahlen in die Fachinformation aufgenommen. In Studien konnte aber bislang kein direkter Zusammenhang nachgewiesen werden.
Bei den Immunmodulatoren Interferon-α-2b und -β-1b, die beispielsweise zur Behandlung von Hepatitis B und C sowie bei Tumorerkrankungen eingesetzt werden, können suizidale Gedanken gelegentlich auftreten. Auch systemische Glucocorticoide werden aufgrund ihrer Wirkung auf das Immunsystem mit einem Risiko für psychiatrische Nebenwirkungen in Verbindung gebracht, die auch in suizidalem Verhalten münden können. Vermutet wird bei beiden Wirkstoffgruppen eine Beteiligung der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse, die unter anderem für die Freisetzung von Cortisol verantwortlich ist.
Auch bei der Wirkstoffgruppe der Antiepileptika lässt sich ein leicht erhöhtes Risiko für suizidales Verhalten feststellen, worauf das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) schon 2008 hingewiesen hat. Grund könnte eine Wirkung im GABA-ergen System sein, wodurch Stimmung und Impulsivität beeinflusst werden. Die Höhe des Risikos kann derzeit aber nicht an konkreten Zahlen festgemacht werden, weshalb sich in den Produktinformationen von Antiepileptika ein allgemeiner Hinweis darauf findet. Am häufigsten wurde suizidales Verhalten als Nebenwirkung bei Gabapentin, Pregabalin und Lamotrigin gemeldet.
Ein Zusammenhang mit suizidalem Verhalten besteht auch bei der Antibiotikagruppe der Fluorchinolone, etwa Ciprofloxacin, Ofloxacin, Moxifloxacin oder Levofloxacin. Hier wird die Nebenwirkung als sehr selten (<1/10.000) aufgeführt und stellt die Folge einer starken psychischen Störung dar, die im Voraus häufig auftritt. Auch für das Tetrazyklin Doxycyclin wurden Fälle gemeldet, insbesondere in Zusammenhang mit einer Akne-Therapie. Gleichermaßen verhält es sich mit Isotretionin in derselben Indikation, hier ist das suizidale Verhalten als seltene Nebenwirkung in der Fachinformation aufgenommen.
Weitere Wirkstoffe, bei denen suizidales Verhalten in der Vergangenheit beobachtet wurde, sind das zur Malariaprophylaxe eingesetzte Mefloquin, der NMDA-Antagonist Amantadin, das HIV-Medikament Efavirenz sowie 5-α-Reduktasehemmer wie Finasterid und Dutasterid. Zu Letzteren gab die EMA erst im Mai dieses Jahres eine erneute Warnung heraus. Als Mechanismus hinter der Nebenwirkung wird hier eine Reduktion der Bildung verschiedener neuroaktiver Steroide im ZNS vermutet.