Steckbrief Gabapentin |
Daniela Hüttemann |
09.08.2022 11:30 Uhr |
Gabapentin wurde 1976 patentiert und kam 1993 als Antiepileptikum unter dem Namen Neurontin® in Großbritannien und den USA erstmals auf den Markt. / Foto: Adobe Stock/Cloudy Design
Wann wird Gabapentin eingesetzt?
Gabapentin (Neurontin® und Generika) ist wie das ebenfalls häufig verordnete Pregabalin (Lyrica® und Generika) ursprünglich als Antiepileptikum auf den Markt gekommen. Zugelassen ist es zur Monotherapie (ab zwölf Jahren) oder Zusatztherapie (ab sechs Jahren) bei Epilepsie-Patienten mit partiellen Anfällen mit und ohne sekundäre Generalisierung. Gabapentin ist nicht bei primär generalisierten Anfällen wie Absencen wirksam und kann diese sogar verstärken, daher darf es hier nicht eingesetzt werden.
Dagegen ist es indiziert zur Behandlung peripherer neuropathischer Schmerzen, schmerzhafter diabetischer Neuropathie sowie neuropathischen Schmerzen nach einer Gürtelrose (postherpetische Neuralgie/Post-Zoster-Neuralgie). Es darf laut G-BA-Beschluss von 2014 auch off Label zur Behandlung von Spastiken bei MS-Patienten eingesetzt werden, wenn mit für diese Indikation zugelassenen Substanzen bei angemessener Dosierung und Anwendungsdauer keine ausreichende Linderung erzielt werden kann oder Unverträglichkeit vorliegt. Off Label wird es noch anderweitig eingesetzt, zum Beispiel bei refraktärem Husten, vasomotorischen Beschwerden in den Wechseljahren oder dem Restless-Legs-Syndrom.
Wie wirkt Gabapentin?
Wie der Name bereits verrät, handelt es sich um ein Strukturanalogon der Gamma-Aminobuttersäure (GABA), allerdings wirkt es nicht wie GABA. Der genaue Wirkmechanismus ist unklar. Vermutet wird eine Hemmung der glutamatergen Erregungs-Übertragung sowie eine Blockade zentraler Calcium-Kanäle vom L-Typ. Der Effekt ist antikonvulsiv und analgetisch.
Darüber hinaus wirkt Gabapentin aber auch euphorisierend, was das Missbrauchspotenzial erklärt, das in den vergangenen Jahren zunehmend diskutiert wurde. Entsprechende Hinweise wurden bereits in die Fachinformation übernommen. Erst Anfang des Jahres warnte die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein vor einem möglichen Missbrauch von Gabapentin und Pregabalin, vor allem bei suchtkranken Menschen und gleichzeitiger Einnahme von Opioiden. Besonders bei unbekannten Patienten wie etwa im Notdienst sollten diese Medikamente daher nur zurückhaltend verordnet werden. Apotheker sollten ein Auge auf mögliche Rezeptfälschungen haben.
Wie wird Gabapentin dosiert?
An den ersten drei Behandlungstagen wird schrittweise von 300 mg bis auf 900 mg pro Tag (verteilt auf drei Einzeldosen) hochdosiert. Die Dosis kann dann alle zwei bis drei Tage in 300-mg-Schritten gesteigert werden. Als Maximaldosierung werden 3600 mg pro Tag angegeben; Langzeitstudien weisen auf eine gute Verträglichkeit auch von bis zu 4800 mg/Tag hin. Bei Absetzen muss ausgeschlichen werden.
Kinder ab zwölf Jahren erhalten die Erwachsenen-Dosis. Kinder zwischen sechs und zwölf Jahren erhalten anfangs 10 bis 15 mg pro Kilogramm Körpergewicht am Tag. Als wirksame Dosis gelten 25 bis 35 mg/kg/Tag, aber auch Dosierungen bis zu 50 mg/kg/Tag haben sich in einer Langzeitstudie als gut verträglich erwiesen.
Bei Menschen im hohen Lebensalter sollte die Dosis aufgrund der erhöhten Gefahr einer Atemdepression angepasst werden. Gleiches gilt für Patienten mit beeinträchtigter Atemfunktion, Atemwegs- oder neurologischen Erkrankungen. Auch bei einer eingeschränkten Niereninsuffizienz muss die Dosis erniedrigt werden.
Gabapentin kann mit oder ohne Nahrung eingenommen werden. Die gesamte Tagesdosis sollte so auf drei Einzeldosen aufgeteilt werden, dass nicht mehr als zwölf Stunden zwischen zwei Einnahmezeitpunkten liegen.
Welche Wechselwirkungen sind möglich?
Schwerwiegende, potenziell lebensbedrohliche Interaktionen in Form von Atemdepression und Sedierung sind mit Opioiden möglich. Im Kontext der Opioid-Krise wurden in den USA Todesfälle beobachtet. Die Dosierungen sind gegebenenfalls zu verringern und der Patient sorgfältig zu überwachen. Bei Missbrauchsrisiko sollten diese Arzneistoffe nicht kombiniert werden (die Kombination verstärkt nicht nur die Analgesie, was therapeutisch genutzt wird, sondern auch die von Opioid-Abhängigen gewünschten Effekte). Auch auf Alkohol sollte wegen der sedierenden Wirkung unter Gabapentin-Therapie verzichtet werden.
Antazida und Heilerde können die Wirksamkeit von Gabapentin vermindern (mindestens zwei Stunden Einnahme-Abstand einhalten). Gabapentin beeinflusst nicht das Cytochrom-System.
Welche Nebenwirkungen können auftreten?
Sehr häufig kommt es zu Virusinfektionen, Fieber, Schläfrigkeit, Ermüdung, Schwindel und Ataxie. Gabapentin kann den Appetit steigern oder mindern und führt häufig zu Feindseligkeit, Verwirrtheit, Affektlabilität, Depressionen, Angst, Nervosität und Denkstörungen. Zahlreiche weitere Nebenwirkungen wie gastrointestinale Beschwerden, Sehstörungen, Kopf-, Muskel-, Gelenk- und Rückenschmerzen, Ödeme und Hautreaktionen sind möglich.
Wann darf Gabapentin nicht angewendet werden?
Absolute Kontraindikation gibt es nicht (bis auf eine Überempfindlichkeit). Vorsicht ist geboten, wenn ein Missbrauchspotenzial vorhanden ist, bei beeinträchtigter Atemfunktion, neurologischen Erkrankungen, Niereninsuffizienz und der Einnahme anderer zentral wirksamer, dämpfender Arzneimittel. Frauen mit Epilepsie und Kinderwunsch oder bestehender Schwangerschaft sollten sich von ihrem Arzt beraten lassen.
Was gibt es noch über Gabapentin zu wissen?
Gabapentin wurde in den 1970er-Jahren vom US-Unternehmen Warner-Lambert synthetisiert und patentiert. Die Firma wurde von Parke-Davis übernommen, die wiederum von Pfizer aufgekauft wurde. Erstmals zugelassen wurde der Arzneistoff als Antiepileptikum unter dem Namen Neurontin® 1993 in Großbritannien und den USA. Es soll in den Folgejahren einige Zeit illegal von Parke-Davis auch off Label vermarktet worden sein, zum Beispiel bei bipolaren Störungen und Migräne. Es folgte ein Rechtsstreit in den USA mit Zahlungen in Millionenhöhe.
Strukturformel Gabapentin / Foto: Wurglics