Steckbrief Pregabalin |
Annette Rößler |
23.12.2020 10:00 Uhr |
Neuropathische Schmerzen sind für Patienten sehr belastend, weil man »nichts sieht«. Pregabalin kann den Schmerz lindern, allerdings um den Preis möglicher zentraler Nebenwirkungen. / Foto: Photocase/kallejipp
Wie wirkt Pregabalin?
Pregabalin ist strukturell ein Analogon des inhibitorischen Neurotransmitters γ-Aminobuttersäure (GABA). Es wirkt ähnlich wie GABA, also GABA-erg, aber nicht über die Interaktion mit GABA-Rezeptoren, sondern durch die Blockade von spannungsabhängigen Calciumkanälen im zentralen Nervensystem (ZNS). Die Bindung von Pregabalin an die α2δ-Untereinheit dieser Kanäle verhindert den Calciumeinstrom und moduliert so die Freisetzung verschiedener erregender Neurotransmitter.
Was sind die Einsatzgebiete von Pregabalin?
Indikationen für Pregabalin sind periphere und zentrale neuropathische Schmerzen, die Zusatztherapie von partiellen epileptischen Anfällen mit und ohne sekundäre Generalisierung und generalisierte Angststörungen. Für Kinder und Jugendliche ist Pregabalin nicht zugelassen.
Wie wird Pregabalin dosiert?
Die übliche Dosis von Pregabalin liegt zwischen 150 und 600 mg, verteilt auf zwei oder drei Einzeldosen mit oder ohne Nahrung. Die Therapie sollte ein- und ausgeschlichen werden. Die Startdosis von 150 mg täglich kann im Wochenrhythmus gesteigert werden, bis eine zufriedenstellende Wirkung erreicht wird. Bei neuropathischen Schmerzen kann bereits nach drei Tagen mit der Dosiserhöhung begonnen werden, in den anderen Indikationen erst nach sieben Tagen. Beim Absetzen sollte die Dosis in jedem Fall über den Zeitraum von mindestens einer Woche langsam verringert werden. Auch kleine Dosisabstufungen sind möglich: Es stehen Hartkapseln in verschiedenen Stärken und Lösungen zum Einnehmen zur Verfügung.
Pregabalin wird nahezu unverändert renal ausgeschieden. Daher ist bei eingeschränkter Leberfunktion keine Dosisanpassung notwendig, bei Niereninsuffizienz dagegen schon. Fachinformationen von Pregabalin-haltigen Präparaten enthalten eine Formel zur Berechnung der Kreatinin-Clearance und eine Tabelle mit den entsprechenden Pregabalin-Dosierungen.
Welche Nebenwirkungen kann Pregabalin haben?
Sehr häufige Nebenwirkungen von Pregabalin sind Benommenheit, Schläfrigkeit und Kopfschmerzen. Häufig kommt es unter anderem zu gesteigertem Appetit und Gewichtszunahme, psychischen Symptomen wie Euphorie, Verwirrtheit, Reizbarkeit, Desorientierung und Schlaflosigkeit, Ataxie, Koordinationsstörungen, Par- und Hyperästhesie, verschwommenem Sehen, Schwindel, Übelkeit, Verdauungsproblemen und Blähungen, Muskelkrämpfen, erektiler Dysfunktion und Ödemen. Durch die zentralen Nebenwirkungen kann die Fähigkeit zum Bedienen von Maschinen und zum Autofahren beeinträchtigt sein. Zudem steigt das Sturzrisiko, insbesondere bei älteren Patienten.
Was ist in Schwangerschaft und Stillzeit zu beachten?
Laut Fachinformation darf Pregabalin während der Schwangerschaft nicht angewendet werden, es sei denn, der Nutzen für die Mutter ist deutlich größer als ein mögliches Risiko für das Kind. Auf embryotox.de, der Website des Pharmakovigilanz- und Beratungszentrums für Embryonaltoxikologie der Berliner Charité, findet sich eine differenziertere Einschätzung. Demnach besteht bei Anwendung im ersten Schwangerschaftsdrittel möglicherweise ein leicht erhöhtes Fehlbildungsrisiko, das eine weiterführende Ultraschalldiagnostik rechtfertigen kann. Nach einer Anwendung im zweiten und dritten Trimenon kann es beim Neugeborenen zu Anpassungsstörungen kommen, weshalb die Entbindung in einer Klinik mit Neonatologie angeraten wird.
Da Pregabalin in die Muttermilch übergeht, muss in der Stillzeit laut Fachinformation eine Entscheidung darüber getroffen werden, ob die Behandlung oder das Stillen unterbrochen werden sollen. embryotox.de hierzu: »Volles Stillen ist bei hohen Dosierungen und insbesondere bei Früh- oder Neugeborenen eher kritisch zu beurteilen. Im Einzelfall kann das Stillen bei eher niedrig dosierter Monotherapie und guter Beobachtung des Kindes akzeptabel sein.«
Welche Wechselwirkungen mit Pregabalin sind möglich?
Da Pregabalin nicht an Plasmaproteine bindet und so gut wie nicht metabolisiert wird, wurden keine relevanten pharmakokinetischen Interaktionen mit anderen Arzneimitteln beschrieben. Allerdings kann die Substanz die Wirkung von Ethanol, Lorazepam und Opioiden wie Oxycodon verstärken.
Seit wann gibt es Pregabalin?
Pregabalin ist eine Weiterentwicklung von Gabapentin, die 2004 von der Firma Pfizer als Lyrica® auf den Markt gebracht wurde. Verglichen mit seinem Vorgänger bindet Pregabalin stärker an die α2δ-Calciumkanal-Untereinheit und hat eine höhere Bioverfügbarkeit. Deshalb wird Pregabalin niedriger dosiert. Die Indikationen der beiden Arzneistoffe unterscheiden sich geringfügig: Gabapentin besitzt keine Zulassung bei Angststörungen, darf dafür aber in der Indikation Epilepsie bereits ab einem Alter von sechs Jahren eingesetzt werden.
Ein Wort zum Missbrauchspotenzial von Pregabalin
Wie bei allen zentral wirkenden Arzneistoffen besteht auch bei Pregabalin die Möglichkeit einer missbräuchlichen Anwendung, zumal es nach dem Absetzen zu unangenehmen Entzugssymptomen kommen kann. Die US-Arzneimittelbehörde FDA verpflichtete voriges Jahr die Hersteller von Gabapentinoid-haltigen Präparaten dazu, das Missbrauchspotenzial in einer Studie zu untersuchen. Laut FDA nahm die missbräuchliche Anwendung der Wirkstoffe zuletzt zu, insbesondere in Kombination mit zentral dämpfenden Arzneistoffen. Aus Deutschland gab es ähnliche Signale. In der Studie soll auch ermittelt werden, wie häufig es unter Gabapentinoiden zu Atemdepression kommt – eine Nebenwirkung, die derzeit zwar in den Fachinformationen von Gabapentin-haltigen Präparaten, nicht aber in denen Pregabalin-haltiger Präparate genannt ist.
Strukturformel Pregabalin / Foto: Wurglics