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Phytopharmaka und Co.

Was ist präoperativ zu beachten?

Viele Patienten nehmen Phytopharmaka, Nahrungsergänzungsmittel und andere Präparate der komplementären und alternativen Medizin ein. Diese müssen erfasst, beurteilt und gegebenenfalls rechtzeitig abgesetzt werden, um unerwünschte Effekte vor und bei Operationen zu vermeiden.
Dorothea Strobach
29.08.2021  08:00 Uhr

Phytopharmaka, Nahrungsergänzungsmittel und andere Präparate der sogenannten komplementären und alternativen Medizin (complementary and alternative medicine, CAM) werden von vielen Patientinnen und Patienten als Selbstmedikation angewendet. Die Begriffe sind oft nicht genau abgegrenzt und werden in verschiedenen Ländern unterschiedlich interpretiert.

Weltweit nimmt die Verwendung entsprechender Präparate, im Folgenden unter CAM zusammengefasst, deutlich zu, da sie gegenüber sogenannten »konventionellen« Arzneimitteln von Patienten als »natürlicher«, besser verträglich und sicherer angesehen werden (8, 17, 20). Mehrere Studien haben gezeigt, dass 44 bis 80 Prozent der Patienten, die sich einer Operation unterziehen, präoperativ Präparate der CAM einsetzen (22–24).

Trotz des Nutzens, den pflanzliche Präparate oder Nahrungsergänzungsmittel wie Vitamine oder Mineralstoffe haben können, sind Präparate der CAM im Umfeld von (geplanten) Operationen nicht pauschal als harmlos einzustufen. Da Patienten aber oft keine Risiken erwarten, teilen sie die Einnahme dem Arzt nicht mit. Sofern sie es doch tun, erwähnen sie es eher beim Hausarzt als im Krankenhaus, wie eine Untersuchung aus Israel zeigt: 70 Prozent nannten ihre CAM-Präparate dem Hausarzt, aber nur 34 Prozent dem Arzt im Krankenhaus (5). Dementsprechend können deren mögliche Wechselwirkungen oder unerwünschte Effekte bei der stationären Behandlung nicht berücksichtigt werden. Jedoch unterschätzen auch die Ärzte, dass die Kenntnis der Einnahme von Präparaten der CAM wichtig ist (20).

Potenzielle Risiken vor Operationen

Präparate der CAM können aus ganz verschiedenen Gründen Risiken bergen. Dazu zählen direkte Nebenwirkungen und toxische Effekte, Interaktionen mit der Arzneimitteltherapie oder medizinischen Maßnahmen, Verunreinigungen, zum Beispiel mit Schwermetallen, oder nicht deklarierte Inhaltsstoffe (17). Auch ihre erwünschte Wirkung, zum Beispiel eine verminderte Blutgerinnung oder die Blutdrucksenkung, kann perioperativ problematisch sein.

Wesentliche Risiken, die durch Präparate der CAM perioperativ von Bedeutung sein können, sind im Kasten aufgelistet. Dabei geht es sowohl um pharmakodynamische als auch pharmakokinetische Effekte. So spielt eine Beeinflussung der Blutgerinnung bei vielen Phytopharmaka eine Rolle, denn viele Pflanzen enthalten Vitamin K und können die Wirkung von Cumarinen abschwächen, zum Beispiel Kapuzinerkresse, Kelp-Extrakt (Braun- oder Grünalgenextrakt) oder Liebstöckel (13). Andere Präparate beeinflussen die Plättchenaggregation, darunter zum Beispiel Grüntee, Glucosamine, Chondroitin und Carnitin in höheren Dosen (12, 13, 34). Auch Kamille, die als Tee harmlos ist, kann bei Einnahme als Kapseln oder Tropfen die Thrombozytenaggregation hemmen; bei gleichzeitiger Einnahme von Cumarinen sind Blutungen beschrieben (25).

Bei der Frage, wann diese Präparate präoperativ abgesetzt werden sollten, kommen pharmakokinetische Überlegungen hinzu. Sind die Metabolisierung und Elimination unklar oder gibt es große interindividuelle Unterschiede, wird in der Regel pauschal ein Absetzen zwei bis drei Wochen vor der geplanten Operation empfohlen. Hinsichtlich des Blutungsrisikos betrifft dies zum Beispiel Aloe und Arnika oral, Teufelskralle, Knoblauch und Ingwer (8). Für Chondroitin und Glucosamin reicht wahrscheinlich ein Absetzen 48 Stunden präoperativ, da sie eine kürzere Eliminationshalbwertszeit haben (8).

Ein konkretes Beispiel für pharmakokinetische Interaktionen mit perioperativ eingesetzten Arzneistoffen ist der Goldsiegelwurz (Hydrastis canadiensis, Goldenseal). Der Pflanzenextrakt wirkt hemmend auf die Cytochrom-P-Isoenzyme 3A4 und 2D6, über die viele andere Arzneistoffe abgebaut werden (8, 37). So wurde der Abbau von Midazolam über CYP3A4 klinisch relevant vermindert, vergleichbar dem Effekt des bekannten CYP3A4-Inhibitors Clarithromycin (32). Außerdem kann es zu einer gesteigerten Natriumausscheidung kommen, die vor allem bei Patienten mit Diuretika-Einnahme Elektrolytstörungen begünstigt (6). Präparate mit Goldsiegelwurz sollten deshalb zwei Wochen vor Operationen abgesetzt werden (8).

Wie oft Interaktionen von CAM mit perioperativ eingesetzten Arzneimitteln von Bedeutung sind, zeigt eindrücklich eine Untersuchung aus Israel. In einer Studie mit chirurgischen Patienten nahmen 44 Prozent Präparate der CAM ein; für 18 Prozent dieser Mittel waren potenzielle Interaktionen mit Anästhetika und für 10 Prozent Wechselwirkungen mit der antithrombotischen Therapie beschrieben (23).

► Aufgrund der zahlreichen und ständig neuen Präparate kann es keine erschöpfende Übersicht über perioperative Risiken von Präparaten der CAM geben. Vielmehr ist es nötig, bei Fragen zu einem Präparat selbst nach den im Kasten dargestellten potenziellen Risiken zu recherchieren.

Eine kurze Übersicht

Die Vielzahl der national und international eingesetzten Präparate der CAM macht es quasi unmöglich, eine vollständige Übersicht zu erstellen. Zudem erscheinen immer wieder neue Substanzen, Phytopharmaka und andere Naturprodukte in diesem Bereich.

Die Tabelle 1 zeigt einen Überblick über eine Auswahl von 20 Phytopharmaka und Nahrungsergänzungsmitteln mit Angaben zu möglichen perioperativen Risiken aus der Literatur und Empfehlungen zum perioperativen Umgang. Die Beispiele stammen alle aus Medikationsprofilen von Patienten, die präoperativ zu ihren Arzneimitteln von Apothekern im Klinikum der Universität München befragt wurden. Auf die Darstellung allgemein bekannter Vertreter wie Ginkgo, Ginseng und Johanniskraut, die präoperativ abzusetzen sind, wurde verzichtet (lesen Sie dazu den Beitrag »Hochbetagt zur Operation«). Die in Tabelle 1 aufgeführten perioperativen Risiken und Empfehlungen sind als Orientierung zu verstehen, die an die jeweilige Situation des Patienten angepasst werden müssen.

Pflanze, Substanz (Synonyme) Mögliche perioperative Risiken Empfehlungen
Acerola
(Malphigia glabra, M. emarginata)
in hohen Dosen Durchfall, keine weiteren unerwünschten Effekte bekannt (14) kein Handlungsbedarf
Aloe vera (interne Anwendung) bei chronischem Gebrauch Hypokaliämie möglich, vor allem in Kombination mit Diuretika, Corticosteroiden, Süßholz, cave Interaktion mit Herzglykosiden, Antiarrhythmika, QT-Zeit-verlängernden Arzneimitteln (13, 14)
erhöhtes Risiko für Hypoglykämie, vor allem bei Einnahme oraler Antidiabetika (8)
kann Gefahr perioperativer Blutungen erhöhen in Kombination mit Sevofluran oder Plättcheninhibitoren (8)
in vitro Absorption von Arzneistoffen erhöht (7)
schwacher Inhibitor von CYP2D6 und CYP3A4 (37)
zwei Wochen vor OP absetzen (8)
Baldrian
(Valeriana officinalis)
Sedierung durch Beeinflussung der GABA-Ausschüttung und Rezeptormodulation (2, 29)
Beeinflussung der Wirkung von Narkotika, kann sedative Wirkung von Benzodiazepinen und Barbituraten erhöhen, gleichzeitige Gabe vermeiden (2, 29)
im Tierversuch muskelrelaxierend (1)
Vorsicht bei plötzlichem Absetzen, Gefahr von Benzodiazepin-ähnlichen Entzugserscheinungen (2), lt. anderen Quellen keine Entzugserscheinungen zu erwarten (1)
Fallbericht über kardiale Störungen, Zittern nach Absetzen (17)
einige Wochen vor der OP schrittweise absetzen (2, 24, 29)
falls Dosisreduktion nicht möglich, kann zur Einnahme bis zum OP-Tag geraten werden (2)
zwei Wochen vor OP absetzen (38)
Bockshornklee
(Fenugreek, Trigonella foenum-graecum)
als Gewürz und Ballaststoffzusatz: keine unerwünschten Wirkungen zu erwarten (14)
beeinflusst Glucosemetabolismus, Risiko für Hypoglykämie (8, 14)
estrogene Wirkung möglich, nicht in der Schwangerschaft oder bei hormonsensitiven Hormonen einnehmen (30)
Verdacht auf Beeinträchtigung der Koagulation bei Einnahme großer Mengen, hemmt Plättchenaggregation (8)
Veränderungen von T3 und T4 in Tierversuchen berichtet, Vorsicht bei Einnahme von Schilddrüsenhormonen (30)
zwei Wochen vor OP absetzen (8)
Bromelain erhöhte Herzfrequenz berichtet unter sehr hohen Dosen (14, 30)
erhöhtes Blutungsrisiko bei gleichzeitiger Gabe von Antikoagulanzien oder NSAR (8, 14)
laut Fachinformation kontraindiziert bei gleichzeitiger Einnahme von Antikoagulanzien oder Thrombozytenaggregationshemmern (13)
zwei Wochen vor OP absetzen, wenn andere Blutverdünner eingesetzt werden (38)
zwei Wochen vor OP absetzen (8)
vor OP absetzen (13}
Chondroitin signifikante Nebenwirkungen unwahrscheinlich (34)
kann über CYP-System Metabolisierung anderer Substanzen beeinflussen (36)
verstärkte Wirkung von Cumarinen möglich (8, 12)
48 Stunden vor OP absetzen (8)
Danshen
(Salvia miltiorrhiza, Rotwurzel-Salbei, TCM)
erhöhtes Blutungsrisiko bei gleichzeitiger Gabe mit Antikoagulanzien (31), hemmt Plättchenaggregation (8)
im Tierversuch verstärkte Wirkung von Cumarinen (14)
potenziert antihypertensive Wirkungen (8)
moderater Inhibitor von CYP1A2, 2C9, 3A4, 3A5 (37)
zwei Wochen vor OP absetzen (8)
Dong Quai
(Angelika sinensis)
erhöhtes Blutungsrisiko bei gleichzeitiger Gabe mit Antikoagulanzien (31)
Hypertonie und Fieber berichtet (14)
induziert CYP2D6 und CYP3A4 mit Risiko für Interaktionen mit darüber abgebauten Substanzen (zum Beispiel Midazolam, Fentanyl) (14, 37)
zwei Wochen vor OP absetzen (8, 38)
Fieberkraut
(Tanacetum parthenium, auch Chrysanthemum parthenium, Falsche Kamille, Zierkraut, Mutterkraut, Feverfew)
erhöhte Herzfrequenz beschrieben (14)
Absetzen nach mehrjähriger Einnahme: zentralnervöse Reaktionen (u. a. Fatigue, Kopfschmerz, Schlafstörungen), Muskel- und Gelenkbeschwerden berichtet (14, 30)
Post-Feverfew-Syndrom bei ca. 10 Prozent der Patienten (38)
erhöhtes Blutungsrisiko bei gleichzeitiger Einnahme von Antikoagulanzien, Plättcheninhibitoren oder NSAR
hemmt Lipoxygenase und Cyclooxygenase (8, 14, 38)
multiple CYP-Interaktionen (8)
vier Wochen vor OP beginnend über zwei Wochen schrittweise absetzen, keine Einnahme zwei Wochen vor OP (38)
zwei Wochen vor OP absetzen (8)
Glucosamin blutverdünnende Eigenschaften (17)
kann die Wirkung von Thrombozytenaggregationshemmern und Cumarin-Antikoagulanzien (Beispiel Warfarin) verstärken, erhöhtes Blutungsrisiko (8, 13, 34)
kann zu Hypoglykämie führen (13, 17, 34), klinische Wirkung auf Glucosespiegel unklar (12)
periphere Ödeme und Tachykardie berichtet (12)
zwei bis drei Wochen vor OP absetzen (17)
wegen guter Verträglichkeit erst am Abend vor OP absetzen (38)
48 Stunden vor OP absetzen (8)
Guarana Arrhythmien, Hypertonie, kardiovaskuläre Probleme möglich (12, 14, 36)
in vitro Inhibition der Plättchenaggregation (14)
aufgrund des Koffeingehalts Interaktion möglich mit Clozapin, Lithium, Anxiolytika, Antihypertensiva (14)
24 Stunden vor OP absetzen (36)
zwei Wochen vor OP absetzen (8)
Inositol keine spezifische Rolle für die menschliche Ernährung nachgewiesen
keine Nebenwirkungen beschrieben (12, 14)
kein Handlungsbedarf
Kamille
(Matricaria chamomilla/recutita)
bei Einnahme von Kapseln, Tropfen usw. (nicht Tee): kann Plättchenfunktion inhibieren und Blutungsrisiko erhöhen, Fallberichte über Blutungen bei gleichzeitiger Warfaringabe (27)
Interaktion mit Ciclosporin berichtet (30)
kann sedativen Effekt von Anästhetika verstärken
kann Metabolisierung von Opioiden, Blutdruckmedikation, Blutverdünnern beeinflussen über CYP-System (36)
schwacher Inhibitor von CYP1A2 und 3A4 (37)
vor OP absetzen (27)
sieben Tage vor OP absetzen (36)
Kelp-Extrakt
(Braunalgenextrakt, Grünalgenextrakt)
Vitamin-K-haltig, veränderter INR bei gleichzeitiger Gabe von Cumarinen (14)
stark jodhaltig, TSH-Anstieg experimentell gezeigt (12, 14)
bei hohem Konsum Gelbfärbung der Haut möglich (12, 14)
keine Empfehlung ermittelbar, bei Patienten unter Cumarinen Absetzen erwägen
Kreatin
(Creatin)
Verschlechterung der Nierenfunktion möglich bei hohen Dosen oder bestehender Niereninsuffizienz (12, 14)
bei Diabetes: Blutzucker intensiv überwachen (14)
Gewichtszunahme und Wassereinlagerungen, aber auch Dehydrierung möglich (12)
keine Empfehlung ermittelbar, Nierenfunktion überwachen, ggf. auf nicht-kreatininbasierte Bestimmung umstellen
Lakritze
(Süßholz, Glycyrrhiza glabra)
negative Effekte nur in hohen Dosen zu erwarten (> 20 g Extrakt täglich oder > 50 g Süßholzwurzel) (38)
kann die Wirkung von Antikoagulanzien, Thrombolytika, Salicylaten und Thrombozytenaggregationshemmern verstärken, erhöhtes Blutungsrisiko (14, 31)
kann zu Hypertonie, Flüssigkeitsretention (Pseudohyperaldosteronismus) und Arrhythmien bei höheren Dosen über längere Zeiträume führen (14)
kann Hypokaliämie verursachen, insbesondere bei gleichzeitiger Gabe von Diuretika (14)
zwei Wochen vor OP absetzen, Nebenwirkungen nur bei hohen Dosen zu erwarten (38)
Mariendistel
(Silybum marianum)
Wechselwirkungen über CYP 3A4 und p-Glykoprotein können nicht ausgeschlossen werden
antiarrhythmische Wirkung von Amiodaron möglicherweise verstärkt (13)
moderater CYP2C8-Inhibitor (37)
dosisabhängig Durchfall mit Flüssigkeitsverlust möglich (17)
senkt möglicherweise den Blutzuckerspiegel (21)
zwei bis drei Wochen vor OP absetzen (17)
Sägepalme
(Serenoa repens)
perioperative Blutungen, Tachykardie, Angina, Wasser- und Elektrolytstörungen (17)
kann die Wirkung von blutgerinnungshemmenden Arzneimitteln wie Phenprocoumon, Warfarin, Clopidogrel verstärken (13, 14, 31)
in Kombination mit Acetylsalicylsäure und anderen NSAR steigt das Risiko für Blutungen im Magen-Darm-Bereich (14)
zwei bis drei Wochen vor der OP absetzen (17)
zwei Wochen vor OP absetzen (8, 38)
sieben Tage vor OP absetzen (36)
Teufelskralle
(Harpagophytum procumbens, Devils Claw)
erhöhtes Blutungsrisiko. Vorsicht bei gleichzeitiger Gabe anderer Gerinnungshemmer (8, 14)
kann den Blutzuckerspiegel erniedrigen (14)
hypotensive Effekte berichtet (1)
gleichzeitige Gabe mit antiarrhythmischen oder positiv inotropen und chronotropen Medikamenten kontraindiziert, da im Tierversuch verringerte Herzfrequenz und milde positiv inotrope Effekte beobachtet (14)
erhöht Magensäureproduktion (8)
zwei Wochen vor OP absetzen (8)
Traubenkernextrakt
(Grape seed extract, Proanthocyanidine, OPC: oligomere Proanthocyanidine)
Plättcheninhibierende Eigenschaften, bei gleichzeitiger Gabe anderer Gerinnungshemmer oder NSAR erhöhtes Blutungsrisiko (14)
Vorsicht bei erhöhter Blutungsneigung, Einnahme von Antikoagulanzien oder vor Operationen (30)
im Tierversuch nach sehr hohen Dosen Nierenschädigung (14)
keine Empfehlung in der Literatur ermittelbar
vor OP mit Blutungsrisiko oder bei Blutungsneigung Absetzen zwei bis drei Wochen vorher erwägen
Tabelle 2: Übersicht zum perioperativen Umgang mit ausgewählten Präparaten der CAM; je nach Literaturstelle können sich die Empfehlungen widersprechen oder sind nicht ganz kongruent.

Was ist relevant?

Diese Frage ist oft schwer zu beantworten. Gründe dafür sind vor allem mangelnde Daten und die Frage der tatsächlich verwendeten Dosis. Zusätzlich bergen nicht alle Operationen die gleichen Risiken, zum Beispiel hinsichtlich der Blutungsgefahr.

Klinische Studien zum perioperativen Einfluss von Präparaten der CAM liegen im Prinzip nicht vor. Viele Informationen beziehen sich auf Fallberichte oder Fallserien, In-vitro-Daten sowie pharmakologische und pharmakokinetische Überlegungen. Sehr häufig handelt es sich nicht um zugelassene Arzneimittel, sodass die sonst erforderlichen Daten zu Nebenwirkungen, Interaktionen und anderen wichtigen Kenngrößen sowie eine offizielle Fachinformation nicht vorliegen. Abbauwege und ein möglicher Einfluss auf metabolisierende Systeme sind nicht bekannt.

Pflanzliche Präparate sind zudem Vielstoffgemische, die je nach Sorte, Anbauart und Verarbeitungsverfahren Unterschiede in der Zusammensetzung aufweisen können. Informationen sind nur schwer von einem Präparat auf das andere übertragbar (4, 31).

Curcuma: Die Dosis macht’s

Ein interessantes Beispiel für die Bedeutung der tatsächlich eingenommenen Dosis ist Curcuma. Als Gewürz ist es beliebt und über einen verdauungsfördernden Effekt hinaus als harmlos anzusehen. Dagegen sind bei höheren Dosen verschiedene perioperativ wichtige Effekte beschrieben.

Es kann zu Wechselwirkungen mit Antikoagulanzien, Thrombolytika und Thrombozytenaggregationshemmern kommen und der Blutzuckerspiegel kann sinken (13, 35). Curcuma ist ein moderater Inhibitor an den metabolisierenden CYP-Isoenzymen 2C19, 2C9 und 3A4. Die gleichzeitige Anwendung mit Arzneimitteln, die ebenfalls über das CYP-System und p-Glycoprotein metabolisiert werden, erfordert eine Nutzen-Risiko-Abwägung und Therapieüberwachung (12, 37).

In verschiedenen Indikationen werden Dosen bis zu 6 g täglich beschrieben (13). Zusätzlich spielt auch die Formulierung eine Rolle. An sich wird Curcumin schlecht resorbiert; Zubereitungen mit Emulgatoren oder lipidbasierten Mizellen erreichen hingegen eine bis zu neunfach höhere Bioverfügbarkeit (13).

Die klinische Relevanz kann also nur patientenindividuell abgeschätzt werden. Verwendet der Patient das Gewürz in üblichen Mengen oder nimmt nur gelegentlich eine Curcuma-Kapsel ein, ist nicht von klinisch bedeutsamen Effekten auszugehen. Werden jedoch höher dosierte Kapseln längerfristig eingenommen, wäre vorsichtshalber ein Absetzen zwei Wochen vor der Operation empfehlenswert (8). Dabei sollte der Apotheker den Patienten nach dem Grund der Einnahme befragen und über den Hintergrund der Absetzempfehlung aufklären, um möglicherweise unbehandelte Erkrankungen erfassen und Absetzfolgen abschätzen zu können. Außerdem ist nur so die Adhärenz an die Empfehlung sicherzustellen.

Homöopathika und TCM-Präparate

Für Homöopathika sind stoffbezogene Interaktionen mit anderen Substanzen nicht zu erwarten.

Problematisch sind oft Präparate der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM), die in der Regel komplex zusammengesetzt sind. Namen und Zusammensetzungen können variieren, was die Recherche erschwert (3). Wiederholt wurde über Verunreinigungen mit Schwermetallen und nicht deklarierte Inhaltsstoffe berichtet (10, 16). TCM-Präparate können relevante unerwünschte klinische Effekte haben. So weist die American Heart Association in einem Statement zu Arzneimitteln bei Herzinfarkt ausdrücklich auf potenzielle Risiken verschiedener TCM hin. Sie rät zum Beispiel vom Einsatz von Danshen und Dong Quai ab, da das Blutungsrisiko bei gleichzeitiger Einnahme von Cumarinen klinisch relevant steigt (29).

Zusätzlich ist immer zu bedenken, dass die Evidenz für einen Nutzen für viele Präparate der CAM fraglich ist. Häufig wird deshalb in der Literatur pauschal empfohlen, alle Präparate der CAM zwei bis drei Wochen präoperativ abzusetzen. Allerdings muss der Patient diese Empfehlung oder ärztliche Anordnung nachvollziehen können, sodass genauere Angaben zu den einzelnen Substanzen und Präparaten wünschenswert sind. Finden sich in der Recherche keinerlei Hinweise auf unerwünschte perioperative Effekte, ist eine Einnahme weiter möglich.

Was empfehlen internationale Leitlinien?

Die deutsche Leitlinie zur präoperativen Evaluation erwachsener Patienten vor elektiven, nicht herz- oder thoraxchirurgischen Eingriffen von 2017 erwähnt das Thema Präparate der CAM nicht. Dagegen führt die Leitlinie der European Society of Anaesthesiology von 2018 einen eigenen Absatz dazu auf (9, 30).

Dort weisen die Autoren explizit auf die Notwendigkeit hin, Präparate der CAM präoperativ zu erfassen, und führen zudem die Evidenz für unerwünschte perioperative Effekte für ausgewählte CAM-Vertreter auf. Pauschal wird empfohlen, alle pflanzlichen Präparate zwei Wochen vor Operationen abzusetzen. Allerdings gibt es keine Evidenz dafür, Operationen aufgrund der Einnahme von Präparaten der CAM zu verschieben. In besonderen Fällen, zum Beispiel bei intrakranialen Eingriffen, sollte eine veränderte Hämostase bedacht werden (9).

Die American Society of Anesthesiologists und die American Association of Nurse Anesthetists haben keine offizielle Leitlinie oder ein Statement zum Thema veröffentlicht. Beide Organisationen empfehlen aber in Patienteninformationen, Präparate der CAM eine bis zwei Wochen vor einer Operation abzusetzen (10).

Ebenfalls aus den USA stammt ein Consensus Statement der Society for Perioperative Assessment and Quality Improvement zum präoperativen Umgang mit Präparaten der CAM. Hier werden Empfehlungen für insgesamt 83 verschiedene Supplemente aufgeführt. In vielen Fällen wird ein Absetzen zwei Wochen vor der Operation empfohlen. Grundlage der Überlegungen ist, dass bei fehlender Evidenz für eine positive Wirkung keine gravierenden Nachteile bei einem vorübergehenden Absetzen zu befürchten sind. Wurden entsprechende Präparate nicht präoperativ abgesetzt, wird auch hier ein individuelles Vorgehen nach Risiko empfohlen, zum Beispiel eher Verschiebung von Operationen mit hohem Blutungsrisiko oder intensive Blutzuckerüberwachung bei hypoglykämisch wirksamen Präparaten (8).

► Die pauschalen Empfehlungen zum Absetzen zwei bis drei Wochen präoperativ orientieren sich in der Regel daran, dass dieser Zeitraum eine sichere Ausscheidung garantiert und mögliche Wirkungen oder Nebenwirkungen des Präparats abgeklungen sind (2, 8, 18).

Weitere Quellen

Für die Einschätzung des möglichen perioperativen Risikos sollten Wirkung und Nebenwirkungen, gegebenenfalls Toxizitäten und das Interaktionspotenzial evaluiert werden. Wichtig ist dabei, die verfügbare Evidenz und Informationen von Herstellern und Interessensgruppen kritisch einzuordnen.

Sofern es ein zugelassenes Präparat und eine offizielle Fachinformation gibt, können Apotheker wichtige Informationen dort entnehmen (Tabelle 2). Allerdings sind Qualität und Vollständigkeit der Fachinformationen vor allem bei älteren Präparaten oft eingeschränkt. Bei Pflanzenextrakten und anderen Vielstoffgemischen stellt sich die Frage der Übertragbarkeit von einem Präparat auf das andere.

Weitere Informationsquellen können nationale und internationale Datenbanken der Arzneimittelinformation sein. Spezifische Websites, zum Beispiel des amerikanischen National Center for Complementary and Integrative Health, bieten ebenfalls Informationen. Diverse Übersichtsarbeiten zum Thema können in Literaturdatenbanken wie Medline gefunden werden.

Allerdings erwähnen die meisten Arbeiten die gleichen, eher gut untersuchten Präparate. Angaben zu selten eingesetzten Substanzen oder Pflanzen lassen sich kaum finden. Hier bleibt nur die zeitaufwendige Recherche in der Literatur mittels Literaturdatenbanken (Medline, Embase und andere) oder wissenschaftlichen Suchmaschinen, zum Beispiel Google Scholar. Apothekenteams können sich auch an die Regionalen Arzneimittelinformationszentren der Apothekerkammern wenden.

Zum Wechselwirkungspotenzial können zusätzlich Informationen aus Interaktionsdatenbanken entnommen werden. Allerdings sind auch hier meist die eher etablierten und häufig verwendeten Präparate der CAM enthalten. In Tabelle 2 ist eine Auswahl möglicher Recherchequellen zusammengestellt (ohne Anspruch auf Vollständigkeit).

Quelle Zugang Kommentare
Fachinformation www.fachinfo.de kostenfrei, Zugang mit DocCheck-Passwort
ABDA-Datenbank zum Beispiel integriert in das Warenwirtschaftssystem der Apotheke kostenpflichtig
Datenbank UpToDate, Monographien www.wolterskluwer.com kostenpflichtig, englisch
Facts&Comparisons https://online.factsandcomparisons.com kostenpflichtig, englisch. Sehr gute Informationen in der integrierten Natural Product Database
Drugdex IBM Micromedex www.micromedexsolutions.com kostenpflichtig, englisch. Alternative-Medicine-Monographien
Youscript pharmakokinetische Interaktionsdatenbank www.youscript.net kostenpflichtig, englisch. Hilfreiche Informationen zu möglichen pharmakokinetischen Effekten, auch zu ungewöhnlichen Substanzen
National Center for Complementary and Integrative Health www.nccih.nih.gov/health kostenfrei, englisch. Informationen für Verbraucher zu Evidenz und Risiken von auf dem amerikanischen Markt üblichen Produkten
European Medicines Agency, Committee on Herbal Medicinal Products www.ema.europa.eu/en/medicines/herbal kostenfrei, englisch. Wissenschaftliche Beurteilung der EMA
World Health Organization Essential Medicines and Health Products Information Portal http://apps.who.int/medicinedocs/en/d/Js2200e kostenfrei, englisch. Mehr eine Sammlung von Quellen, Monographien in mehreren Volumes veröffentlicht
Tabelle 2: Auswahl von möglichen Recherchequellen zu perioperativen Effekten von Präparaten der CAM

Apotheker bei der perioperativen Erfassung

Bei der Arzneimittelanamnese im Rahmen der stationären Aufnahme und/oder des präoperativen Anästhesiegesprächs muss es Ziel sein, nicht nur die ärztlich verordnete Therapie, sondern auch alle Präparate der Selbstmedikation, inklusive der Präparate der CAM, zu erfassen. Untersuchungen aus Deutschland und anderen Ländern haben gezeigt, dass die Arzneimittelanamnese an der Schnittstelle ambulant-stationär vollständiger ist, wenn Apotheker beteiligt sind (14, 21, 26).

Erfreulicherweise ist es auch in Deutschland zunehmend üblich, dass Apotheker im Krankenhaus in den Prozess eingebunden sind. Zusätzlich geben Apotheker pharmazeutische Hinweise zur Anamnesemedikation. Dies schließt Informationen zum präoperativen Umgang mit Präparaten der CAM und Hinweise auf mögliche operative und anästhesiologische Risiken an den Arzt mit ein.

Allerdings ist der Zeitpunkt ungünstig: Die stationäre Aufnahme erfolgt oft am Tag oder Vortag der Operation, sodass für ein fristgerechtes Absetzen kaum Zeit bleibt. Besser geeignet ist die präoperative Evaluation durch den Anästhesisten, die oft Tage oder Wochen vorher stattfindet. Hier muss die vorstationäre Medikation vollständig erfasst und perioperativ beurteilt werden. Auch in die vorstationäre Betreuung können sich Apotheker mit pharmazeutischem Fachwissen einbringen, indem sie die Arzneimitteltherapie des Patienten vor dem Anästhesiegespräch erfassen und evaluieren.

Optimal ist die rechtzeitige Beratung in der öffentlichen Apotheke. Hier liegen in der Regel umfangreiche Informationen zur Selbstmedikation und zu verschriebenen Präparaten vor. Berichten Patienten von geplanten Operationen, kann das pharmazeutische Personal die Einnahme weiterer Präparate der CAM erfragen und dem Patienten eine Beratung hinsichtlich des perioperativen Umgangs anbieten.

Zusammenfassung

► Entgegen den Erwartungen vieler Patienten bestehen auch bei der Einnahme von Präparaten der CAM klinisch relevante Risiken. Vor Operationen ist es deshalb wichtig, neben der verordneten Medikation auch alle Präparate der Selbstmedikation, inklusive Nahrungsergänzungsmittel, Phytopharmaka und andere Präparate der CAM zu erfassen und hinsichtlich möglicher perioperativer Effekte zu beurteilen.

► Aufgrund einer oft unzureichenden Datenlage und fraglicher Evidenz vieler Präparate wird im Zweifelsfall empfohlen, diese zwei bis drei Wochen vor einer Operation abzusetzen. Dabei ist der Patient ausreichend zu informieren.

► Wurden Präparate präoperativ nicht abgesetzt, obwohl Risiken beschrieben sind, liegt derzeit keine Evidenz für eine Verschiebung von Operationen vor. Allerdings sollten bei vulnerablen Patienten oder kritischen Operationen, zum Beispiel mit hohem Blutungsrisiko, mögliche unerwünschte Effekte aktiv bedacht werden.

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