Was ist neu bei der Therapie? |
Einige Medikamente können die Symptomatik des Restless-Legs-Syndroms verstärken. / Foto: Getty Images/Science Photo Library
Im Rahmen der Diagnosestellung ist eine Anamnese der eingenommenen Medikamente durchzuführen. Antipsychotika und Metoclopramid (MCP) wirken antidopaminerg und können die RLS-Symptomatik verstärken. Auch Antidepressiva wie Mirtazapin, Citalopram, Paroxetin, Venlafaxin oder andere selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Inhibitoren (SSRI) können die Symptomatik potenziell verschlechtern, werden aber auch teilweise gegen begleitende depressive Beschwerden bei Betroffenen eingesetzt. Bei der Therapieeinführung ist auf eine Veränderung der Symptomatik zu achten. Bupropion, Trazodon, Nefazodon und Doxepin gelten als verträglicher bei RLS.
Ein übermäßiger Bewegungsdrang kann auch durch ein medikamentös ausgelöstes Serotonin-Überstimulationssyndrom ausgelöst sein. Dies tritt bei Überdosierungen von serotonergen Medikamenten wie SSRI, selektiven Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmern (SSNRI), Monoaminooxidase-Hemmern, Tramadol oder Linezolid auf.
Nur ein kleiner Teil der Menschen mit RLS braucht eine medikamentöse Therapie; laut der Deutschen Gesellschaft für Neurologie sind es 1 bis 2 Prozent. Der Leitlinie zufolge ist das entscheidende Kriterium für die Behandlung, ob die Lebens- und Schlafqualität aufgrund von imperativem Bewegungsdrang, Schmerz, Insomnie und Tagesmüdigkeit beeinträchtigt sind. Komorbide Erkrankungen sollten vorab identifiziert und behandelt sowie Komedikationen, die RLS-Beschwerden verstärken können, möglichst umgestellt werden. Eine medikamentöse Therapie des RLS sollte dann zunächst intermittierend oder kontinuierlich mit einer niedrigen Dosis erfolgen. Entsprechend der Intensität der Beschwerden wird die Therapie intensiviert. Maßgabe dabei ist, möglichst niedrige Dosierungen einzusetzen und so spät wie möglich zu eskalieren.
Mittel der ersten Wahl bei leichten Beschwerden und niedrigen Eisenspiegeln (Serumferritin ≤ 75 µg/l) ist die orale Supplementation von 325 mg Eisen-II-Sulfat zweimal täglich zusammen mit 100 mg Vitamin C, was die Resorption verbessert. Bei der Abgabe sollte Apothekenpersonal auf potenzielle gastrointestinale Nebenwirkungen wie Obstipation, Übelkeit oder Sodbrennen hinweisen. Es stehen Filmtabletten, Tropfen oder retardierte Darreichungsformen, die sich zum Schutz der Magenschleimhaut erst im Dünndarm auflösen, zur Verfügung. Letztere sollten nüchtern eingenommen werden, also etwa eine Stunde vor oder mindestens zwei Stunden nach einer Mahlzeit. Außerdem sollte ein zeitlicher Abstand von etwa einer Stunde zu Tee, gerbstoffhaltigen Nahrungsmitteln und von zwei Stunden zu Chelatbildnern eingehalten werden. Nicht retardierte Zubereitungen werden besser resorbiert, sind aber tendenziell schlechter verträglich.
Falls der Serumferritinwert durch die orale Eisensupplementation nicht steigt oder diese wegen gastrointestinaler Beschwerden nicht vertragen wird, sollte frühzeitig eine intravenöse Behandlung mit Ferrocarboxymaltose erfolgen.
Eine 72-jährige Patientin mit RLS-Diagnose seit vier Jahren leidet aktuell unter Übelkeit, Benommenheit und Unwohlsein. Sie führt dies auf ihre Medikamente zurück. Sie nimmt dreimal täglich 100 mg Pregabalin ein, dazu am Abend eine Tablette mit 100 mg Levodopa und 25 mg Benserazid. Die Missempfindungen in der Nacht sind weiterhin vorhanden, aber erträglich. Die letzte neurologische Untersuchung liegt drei Jahre zurück. Abweichend von der aktuellen Leitlinienempfehlung nimmt sie Levodopa regelmäßig ein. Im Gespräch informiert die Apothekerin die Patientin über die neuen Empfehlungen zur Überprüfung des Eisenstatus und die Neuerungen in der Therapie des RLS. Die Patientin will daraufhin einen Facharzt aufsuchen, um die Therapie überprüfen zu lassen, und vorher eine Blutuntersuchung beim Hausarzt anfragen. Nach dem Hausarztbesuch wird ihr eine Eisensupplementierung empfohlen und eine temporäre Dosisreduktion von Pregabalin auf 200 mg am Abend mit Aussetzen von Levodopa vorgenommen, um die Verträglichkeit zu verbessern. Durch die Anpassung der Therapie besserten sich die Beschwerden.
Ist der Ferritinspiegel nicht erniedrigt oder bessert die Eisensupplementierung die Beschwerden nicht ausreichend, stehen die Non-Ergot-Dopaminagonisten Rotigotin, Ropinirol oder Pramipexol als Therapeutika der ersten Wahl zur Verfügung. Die Dosis soll so niedrig wie möglich sein, um einer Augmentation vorzubeugen. Unter der Augmentation ist ein im Tagesverlauf früheres Auftreten der RLS-Symptome, eine Verstärkung der Symptome und/oder eine Ausweitung der Beschwerden zum Beispiel auf die Arme unter dopaminerger Medikation zu verstehen.
Nicht retardierte Darreichungsformen von Pramipexol und Ropinirol haben den Vorteil eines raschen Wirkungseintritts, sind aber auch kürzer wirksam als Rotigotin, das kontinuierlich über 24 Stunden aus einem transdermalen System freigesetzt wird. Letzteres eignet sich also eher für Patienten, die auch tagsüber und nicht nur abends Beschwerden haben. Die Wirksamkeit retardierter Zubereitungen von Pramipexol und Ropinirol wurde für die Indikation des RLS nicht untersucht, sodass sie off Label verordnet werden. Patienten sollten mögliche Nebenwirkungen bei der Eindosierung wie Schwindel, Ödembildung, Übelkeit und Benommenheit kennen. Im längeren Therapieverlauf können auch Tagesmüdigkeit und Impulskontrollstörungen auftreten.
Eine Alternative zu Dopaminagonisten sind die Gabapentinoide Pregabalin und Gabapentin. Die Anwendung bei RLS erfolgt mangels Zulassung off Label. Die Leitlinie empfiehlt Gabapentin in einer Dosierung von 200 mg mit der Option, auf maximal 1800 mg aufzudosieren. Pregabalin ist bei moderatem bis schwergradigem RLS in Dosierungen zwischen 150 und 450 mg bei jeweils einmaliger Gabe am Abend wirksam. Da die Gabapentinoide renal eliminiert werden, gilt es, die Nierenfunktion zu überwachen und bei Niereninsuffizienz eine Dosisanpassung vorzunehmen. Dosisabhängige Nebenwirkungen sind Schwindel, periphere Ödeme, Gangunsicherheit, Benommenheit und Sehstörungen. Nicht selten sind diese für die hohen Abbruchraten der Arzneistoffe verantwortlich.
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Die Symptomatik des RLS in der Schwangerschaft folgt dem allgemeinen Bild. So gelten auch die Diagnosekriterien gleichermaßen. Krankheitsverstärkende Faktoren wie ein Eisenmangel, der bei Schwangeren häufig auftritt, sind auszuschließen oder zu behandeln. Bei einem Ferritinwert ≤ 75 μg/l soll eine Eisensubstitution vor dem zweiten Trimenon bevorzugt oral erfolgen. Ab dem zweiten Trimenon gilt auch die intravenöse Gabe von Eisen als sicher. Ferrocarboxymaltose ist dann Mittel der ersten Wahl. Levodopa in Kombination mit Carbidopa kann zur Therapie von refraktärem RLS in der Schwangerschaft verwendet werden (100/25 mg bis 200/50 mg Standard oder retardiert zur Nacht oder am Abend). Die Tagesdosis von Levodopa sollte 200 mg nicht überschreiten. Die Kombination mit Benserazid ist wegen embryotoxischer Nebenwirkung nicht empfohlen. Auch Dopaminagonisten sind in der Schwangerschaft nicht geeignet. Niedrig dosiertes Oxycodon/Naloxon (5–20 mg/Tag) kann zur Behandlung bei sehr schwerem, therapierefraktärem RLS in der Schwangerschaft zum Einsatz kommen, allerdings so kurz und so niedrig dosiert wie möglich. Gabapentinoide sollten nicht eingesetzt werden, da Gabapentin in tierexperimentellen Studien toxische Effekte bei der Synaptogenese gezeigt hat.