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Bevorstehender Start

Was bringt die E-Patientenakte für Versicherte?

Am 1. Januar 2021 ist es so weit: Die elektronische Patientenakte (EPA) wird eingeführt. Sie ist praktisch das Zuhause für die Gesundheitsdaten eines Patienten. Nach und nach soll die E-Akte immer mehr Funktionen bekommen. Wie der Start des medizinischen Großprojekts abläuft und welche Vorteile Versicherte künftig davon haben, schildert die Gematik gegenüber der PZ.
Jennifer Evans
16.12.2020  11:00 Uhr

Die Krankenkassen müssen ihren Versicherten ab Januar 2021 eine elektronische Patientenakte (EPA) anbieten. Außerdem haben Patienten nun einen gesetzlichen Anspruch darauf, dass ihr Arzt auf Wunsch die E-Akte auch befüllt – zumindest mit Daten aus dem aktuellen Behandlungskontext. Grundlage ist unter anderem das Patientendaten-Schutzgesetz (PDSG). Ziel der E-Akte ist es, die Arbeitsschritte in Arztpraxen und Apotheken zu digitalisieren sowie die Heilberufler sowohl untereinander als auch mit den Patienten zu vernetzen. Zu Informationsverlusten sowie zu Doppel- oder Mehrfachuntersuchungen soll es dank der neuen digitalen Lösung künftig nicht mehr kommen. Im ersten Quartal 2021 wird die digitale Anwendung zunächst mit bis zu 200 Teilnehmern aus medizinischen Einrichtungen in Westfalen-Lippe und Berlin auf Herz und Nieren geprüft, bevor sie dann im zweiten Quartal bundesweit verfügbar ist. Wie die Gematik auf Anfrage der PZ sagte, geht es dabei »maßgeblich um den Test des Konnektors und die Interaktion mit den EPA-Aktensystemen in / aus der Leistungserbringerumgebung heraus«.

Weil es sich bei der EPA-Einführung um das »bislang größte medizinische IT-Infrastrukturprojekt im deutschen Gesundheitswesen« handelt, wie die Bundesregierung kürzlich in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Grünen hervorhob, laufe die Vernetzung der rund 200.000 Leistungserbringer sowie potenziell 73 Millionen Versicherten stufenweise ab. Die Ärzte müssen bis zum 30. Juni 2021 endgültig startklar sein. Anderenfalls droht ein Honorarabzug von 1 Prozent.  Für das erstmalige Befüllen der EPA erhalten Ärzte und Krankenhäuser laut PDSG 10 Euro. Was die Apotheker für ihre Verwaltung erhalten, ist noch nicht abschließend mit den Kassen verhandelt. Klar ist aber: Auch Apotheker sollen auf Wunsch des Patienten arzneimittelbezogene Daten eintragen können. Bis zum 1. Januar 2023 soll die Gematik technisch sicherstellen, dass der elektronische Medikationsplan (EMP) sowie die elektronischen Notfalldaten nur noch in der EPA und nicht mehr auf der elektronischen Gesundheitskarte (EGK) gespeichert sind. Bis dahin – und damit ab Januar 2021 – kann der EMP nur als Kopie auf der E-Akte abgelegt werden, während seine Master-Datei weiterhin auf der EGK liegt. 

Das sind die Vorteile für Patienten

Was haben aber nun die Patienten von der neuen digitalen Akte? Die Gematik gibt darauf eine eindeutige Antwort: Sie werden »Teil des Teams, das sich um ihre Gesundheit kümmert«. Jeder kann künftig also selbst Verantwortung für die eigene Gesundheitsversorgung übernehmen – vorausgesetzt er füttert die EPA mit seinen medizinischen Daten wie Arztbriefe oder Laborberichte. Die kostenlose App, mit der Versicherte dann ihre Akte via Smartphone, Tablet & Co. managen können, müssen die Krankenkassen ab Januar 2021 in ihrem Online-Bereich bereitstellen.  Zum Download der digitalen Anwendung brauchen die Patienten zunächst einen Zugang zum Mitgliederbereich ihrer Kasse. Die App gibt es dann im Google Play beziehungsweise Apple Store. Für die Registrierung selbst ist die Krankenversicherungsnummer, die PIN für die Gesundheitskarte sowie eine E-Mail-Adresse Voraussetzung. Wie der Ablauf im Detail aussieht, darüber informiert laut Gematik jede Kasse selbst. Denn anders als beim E-Rezept gibt es für die E-Akte keine zentrale halbstaatliche App-Lösung. Stattdessen entwickelt jede Kasse ihr eigenes digitales Angebot dafür. 

Auch wenn das Einrichten und Nutzen der EPA freiwillig ist, liegen die Vorteile für die Gematik auf der Hand. Die EPA ermögliche dem Patienten jederzeit von überall auf der Welt auf seine Gesundheitsdaten wie den E-Medikationsplan oder den Notfalldatensatz (NFDM) zuzugreifen. Ab 2022 könne er darin auch seinen Impfpass und das Zahn-Bonusheft speichern. Das Gute: Die Gesundheitsinformationen gingen nicht mehr verloren, hebt die Gesellschaft hervor. Und nur der Versicherte selbst bestimmt, welche Dokumente in die Akte kommen und wer wann und wie lange darauf zugreifen darf. »Einmal vergebene Zugriffsrechte können selbstverständlich jederzeit widerrufen werden«, betont die Gematik. Erteilt der Patient zum Beispiel für einen Zeitraum von drei Tagen ein Zugriffsrecht, erlischt dies dann nach Ablauf der Frist automatisch. So weit zur Theorie: Im ersten Jahr sind die Zugriffsrechte aber noch nicht so individuell einstellbar. Das hatten sowohl Datenschützer als auch die Opposition kritisiert. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte daraufhin zwar noch einmal bestätigt, dass der Feinschliff erst 2022 komme. Die Bedenken wies er allerdings zurück. Seiner Ansicht nach gibt es keine Abstriche beim Datenschutz. Schließlich könnten Patienten immer selbst entscheiden, ob ein Arzt überhaupt Einblick in die Akte bekomme und welche Daten darin gespeichert würden. Krankenkassen können übrigens grundsätzlich die EPA-Daten ihrer Versicherten weder einsehen noch auslesen oder bearbeiten. 

Was passiert in der Arztpraxis?

Erlaubt der Patient dem Arzt den Blick in seine EPA, kann dieser sich schnell einen Überblick über dessen Gesundheitszustand verschaffen. Damit bleibt am Ende mehr Zeit für die Sprechstunde, so die Hoffnung des Gesetzgebers. Derzeit kann ein Arzt sich nach Angaben der Gematik im Schnitt lediglich 7,6 Minuten pro Patient Zeit nehmen. Auf Wunsch des Patienten kann künftig auch der Apotheker Medikationspläne oder Unverträglichkeiten auf der E-Akte hinterlegen, wenn ihm der Zugriff gewährt wird. Zur Erinnerung: Das Recht auf einen Medikationsplan in Papierform haben Versicherte seit Oktober 2016, sobald sie dauerhaft mindestens drei verschreibungspflichtige Medikamente gleichzeitig einnehmen. Der Arzt darf den Plan erstellen, der Apotheker nur ergänzen.

Doch was machen demnächst jene Patienten, die kein Smartphone besitzen? Die Gematik gibt Entwarnung: Auch sie können die EPA nutzen, wenn sie wollen. In dem Fall  muss der Versicherte ebenfalls die Serviceleistung EPA bei seiner Kasse beantragen, egal ob mit oder ohne anschließender App-Nutzung auf Smartphone oder Tablet. Aber für Patienten ohne Smartphone richtet die Kasse die E-Akte ein, sofern der Versicherte vorab ebenfalls eine Teilnahmeerklärung unterschrieben hat, zu der etwa die Nutzungsbedingungen, eine Datenschutzerklärung sowie die Einwilligung zur Datenverarbeitung gehört. Wie alle anderen, können auch die Patienten ohne Smartphone beim ersten Befüllen Unterstützung in der Arztpraxis einfordern.

Das läuft so ab, dass der Mediziner über sein Praxisverwaltungssystem (PVS) die gespeicherten Daten zur Patientengeschichte in die EPA lädt. Nötig dafür ist lediglich die EGK sowie die persönliche PIN. Mit Letzterer kann der Patient am Kartenterminal der Praxis die Zugriffsberechtigung erteilen. Die Gematik hebt noch einmal den entscheidenden Nachteil hervor, wenn man sich gegen die App-Nutzung entscheidet. Das Zugreifen, Verwalten, Einsehen und Pflegen der E-Akte sei dann nämlich nur in Zusammenarbeit mit der Praxis möglich. Jedoch seien die »Aufwände für die Praxis oder Apotheke unabhängig vom (Nicht-)App-Nutzer grundsätzlich die gleichen«.

Deutschland wird digitaler

Für alle Versicherten gilt: Auf Wunsch können Angaben zur Therapie oder Medikation auch regelmäßig in der Arztpraxis aktualisiert werden. Das umfasst auch Notfall-Daten wie zum Beispiel Vorerkrankungen, Allergien, Unverträglichkeiten, Implantate oder Medikamente, die ein Patient regelmäßig einnimmt. Auch kann dieser Datensatz die Patientenverfügung oder Kontaktdaten von Hausarzt und Angehörigen umfassen. Unabhängig davon ist es jedem Versicherten möglich, die persönliche EPA auch schriftlich bei der Kasse anzufordern. Im Prinzip ist die Gematik aber zuversichtlich, dass die Deutschen immer digitaler werden: »Die Zahl derer, die keine mobilen Zugänge nutzen, nimmt täglich ab«, heißt es.

Generell sind die EPA-Daten in der Telematik-Infrastruktur (TI) abgelegt. Die Server dafür stehen allesamt in Deutschland und unterliegen den europäischen Datenschutzbestimmungen. Und auch die EPA-Anbieter hätten zuvor »umfangreiche Zertifizierungsprozesse« durchlaufen, so die Gematik. Die Inhalte sind so verschlüsselt, dass sie von außen niemand unberechtigt lesen kann. Verantwortlich für Datenverarbeitung und den Datenschutz ist grundsätzlich der Anbieter, sprich die Krankenkasse. Zusätzlich kann noch ein Unternehmen für den Betrieb eingebunden werden. Aber: »Weder der Anbieter noch der Betreiber können die Inhalte der Akte lesen«, versichert die Gesellschaft. Sollte es Fragen zum Datenschutz geben, stellen die Kassen den Versicherten künftig einen Ansprechpartner zur Verfügung. Auch die Gesellschaft selbst richtet eine koordinierende Stelle ein, die unter anderem Auskünfte zum Datenschutz gibt. Ob diese Stelle gleich ab Januar 2021 einsatzbereit ist, bleibt fraglich. Die Gematik antwortete auf PZ-Nachfrage nur vage: »Aktivitäten zur Inbetriebnahme der koordinierenden Stelle sind auf dem Weg.«

Die EPA lässt sich also künftig via App steuern. So hatten es sich nach Angaben der Gematik die Krankenkassen gewünscht. Um sich nun also bei seiner EPA anzumelden, gibt es zwei verschiedene Möglichkeiten: Entweder hält man die EGK an das Smartphone und gibt die auf der Karte aufgedruckte sogenannte Card Access Nummer (CAN) ein, damit wird unbefugten Mitlesern gleich ein Riegel vorgeschoben. Über den Chip zur Near Field Communication (NFC) wird der Versicherte dann authentifiziert und gibt im Anschluss seine Karten-PIN ein. Ob das jeweilige Smartphone beziehungsweise dessen Betriebssystem mit einer NFC-fähigen EGK kompatibel sei, hänge von der EPA-App der Krankenkasse ab, betont die Gematik. »Welche iOS- oder Android-Version eine NFC-fähige EGK unterstützt, muss dann individuell bewertet werden«, heißt es. Die andere Möglichkeit: Der Patient nutzt die sogenannte Alternative Versichertenidentität (al.vi), die ohne Gesundheitskarte funktioniert. In diesem Fall stellt die Krankenkasse anhand einer Zwei-Faktor-Authentisierung die Identität des Nutzers selbst sicher.

Wie ist die EPA aufgebaut?

Die EPA teilt Dokumente in zwei Kategorien ein: vom Arzt eingestellte Dokumente wie etwa Blutbilder und Arztbriefe und die vom Patient selbst eingestellten Informationen zum Beispiel ein Gesundheits- oder Schmerztagebuch. In der digitalen Ansicht tauchen dann zwei Arten von Dokumenten-Ordnern auf: Einerseits die sogenannten EPA-Dokumente, die auf dem Server der Telematik-Infrastruktur (TI) liegen. Und andererseits die lokalen Dokumente, die bei den Leistungserbringern gespeichert sind, beispielsweise im PVS, in einem Archivsystem oder einem anderen Laufwerk der Praxis. Zu den strukturierten Dokumenten in der EPA – also solche, deren Aufbau und Inhalt fest definiert sind – zählen der Notfalldatensatz, der E-Medikationsplan und Arztbrief sowie der Datensatz persönliche Erklärungen. Um eine Verschlagwortung der Dokumente zu ermöglichen, wird darüber hinaus in der E-Akte technisch festgelegt, welcher Dokumentenklasse wie beispielsweise Labor-Ergebnisse oder Verordnungen sowie zu welchem Dokumententyp wie etwa Arztberichte, Diagnostik- oder Funktionsdiagnostik-Ergebnisse die Informationen zuzuordnen sind. Ob die farbliche Gestaltung der Dokumente in er Akte künftig einer Logik folgen wird, um damit Orientierung zu schaffen, ist derzeit noch unklar: »Unsere Spezifikationen stellen in erster Linie funktionale Anforderungen. Farbelemente sind jedoch Gegenstand nicht-funktionaler Anforderungen zur Usability«, heißt es dazu von der Gematik.

Nicht Teil der EPA wird auf jeden Fall die Organisation und Verwaltung von Arztterminen sein. Die Gesellschaft schließt aber nicht aus, dass »eine Kassen-App eine Terminorganisation als zusätzlichen Service im EPA-Client anbietet. Die Daten davon würden dann lokal im Client gespeichert werden«.

So in etwa wird die Struktur aussehen, wenn ein Patient seine EPA auf einem digitalen Endgerät aufruft:

Datenspende an die Forschung

Jedem EPA-Nutzer steht es darüber hinaus frei, seine Daten in pseudonymisierter Form dem Forschungsdatenzentrum beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zu spenden. Die Absicht des Gesetzgebers, die dahinter steckt, ist es, Krankheiten besser erforschen und damit letztlich allen Menschen helfen zu können. Die Gematik spricht in diesem Zusammenhang von einer »neuen Form der gesellschaftlichen Solidarität«.

Für die Entwicklung und Einführung EPA sind in den vergangenen Jahren gleich mehrere Gesetze entscheidend gewesen. Das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) verpflichtet die Kassen, ihren Versicherten ab Januar 2021 eine EPA anzubieten. Seit dem Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG) müssen Ärzte, Apotheken und Krankenhäuser bei der EPA mitmachen, während die Teilnahme für andere Leistungserbringer noch freiwillig bleibt. Das PDSG regelt schließlich Datenschutz und Zugriffsrechte sowie das gesetzliche Anrecht des Patienten, sich seine Akte befüllen zu lassen. Und schließlich sieht der Entwurf für ein Gesetz zur digitalen Modernisierung von Versorgung und Pflege (DVPMG) derzeit vor, im Jahr 2023 einen modernen Zukunftskonnektor für den sicheren digitalen Austausch der Akteure im Gesundheitswesen einzuführen. Weil das DVPMG-Gesetzgebungsverfahren noch läuft, kann sich der Zeitplan der EPA für die Termine nach dem 1. Januar 2022 noch einmal verändern. Bislang ist aber geplant, dass die Einführung in folgenden Schritten abläuft:

 

Die Gematik stellt unter anderem für Patienten kurze Informationsvideos zur Verfügung:

 

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