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Viele offene Fragen

Was bisher zu Omikron bekannt ist

Die neue Omikron-Variante von SARS-CoV-2 wird von Experten aufgrund ihres Mutationsmusters als sehr gefährlich eingeschätzt. Viele konkrete Fragen sind aber noch offen. Wir haben den aktuellen Stand zusammengefasst.
Theo Dingermann
03.12.2021  17:00 Uhr

Die zunächst in Botswana und Südafrika identifizierte Variante B.1.1.529 des Coronavirus wurde von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) am vergangenen Freitag als »besorgniserregend« eingestuft und erhielt den systematischen Namen Omikron. Sie zeichnet sich durch eine bisher noch nicht beobachtete Zahl bekannter, aber vor allem auch neuer Mutationen aus, die unter anderem das Spike-Protein betreffen. Zwischenzeitlich ist die Variante in mehr als 20 Ländern nachgewiesen worden, auch in Deutschland.

Wie schnell breitet sich Omikron aus?

Vor allem die enorme Geschwindigkeit, mit der sich Omikron derzeit ausbreitet, sei besorgniserregend, heißt es in einem Beitrag auf der Nachrichtenseite des Fachjournals »Nature«. Am 1. Dezember, also nicht einmal eine Woche nach der erstmaligen Entdeckung der Variante, wurden in Südafrika bereits 8561 Fälle gemeldet. Fünf Tage zuvor, am 26. November, hatte man 3402 gezählt. Die Mehrzahl dieser Fälle wurden in der Provinz Gauteng registriert, in der Johannesburg liegt.

Dieser rasante Anstieg an Fallzahlen entspricht einer Basisreproduktionszahl (R) von > 2, nachdem der R-Wert in Gauteng im September noch deutlich unter 1 gelegen hatte. Damals diktierte die Delta-Variante das Infektionsgeschehen. Das lässt nichts Gutes ahnen. Wenn sich diese Dynamik an anderen Orten bestätigen sollte, dann muss man zu dem Schluss kommen, dass sich Omikron viel schneller ausbreiten und wahrscheinlich auch wesentlich mehr Menschen infizieren wird als die Delta-Variante. Tom Wenseleers, ein Evolutionsbiologe an der KU-Leuven in Belgien, schätzt auf Basis der bisher beobachteten Infektionsdynamik und von Sequenzierungsdaten, dass Omikron im gleichen Zeitraum drei- bis sechsmal so viele Menschen infizieren könnte wie Delta.

Kann Omikron einen bestehenden Immunschutz unterlaufen?

Offen ist die Frage, ob sich das in Südafrika beobachtete Infektionsgeschehen auf andere Länder übertragen lässt. Es ist durchaus denkbar, dass die schnelle Ausbreitung von Omikron überschätzt wird. Zum einen ist die Impfquote in Südafrika wesentlich niedriger als in vielen anderen, vor allem westlichen, Ländern. Andererseits haben dort deutlich mehr Menschen eine Infektion durchgemacht. Vor allem aber beobachtet man derzeit in Südafrika kaum Delta-Infektionen.

Darauf wies auch Professor Dr. Sandra Ciesek vom Universitätsklinikum Frankfurt im letzten Podcast der Reihe »Coronavirus Update« des NDR hin. Sie ergänzte allerdings, dass die schnelle Ausbreitung von Omikron in Südafrika möglicherweise auch daran liegen könnte, dass die Variante aufgrund des Unterlaufens einer induzierten Immunität vor allem auch Geimpfte und Genesene infizieren kann.

Dies legen Studien nahe, die in Südafrika vom Nationalen Institut für übertragbare Krankheiten (NICD) durchgeführt wurden. Danach deutet sich an, dass Omikron die Immunität gegen frühere Varianten umgehen kann, sodass um den Faktor 3 höhere Reinfektionsraten möglich wären. »Wir glauben, dass eine frühere Infektion keinen Schutz vor Omikron bietet«, sagte Anne von Gottberg, eine Expertin des NICD, der britischen Zeitung »The Guardian«.

Tatsächlich weisen Studien zu den Spike-Mutationen von Omikron, vor allem von Mutationen in der Rezeptorbindedomäne (RBD), darauf hin, dass die Variante die Wirksamkeit von neutralisierenden Antikörpern abschwächen kann. So hat ein Team unter der Leitung von Paul Bieniasz, Virologe an der Rockefeller University in New York City, stark mutierte Spike-Versionen entwickelt, die auch zahlreiche Mutationen tragen, die bei Omikron identifiziert wurden. Dabei erwies sich das »polymutante Spike-Protein« als völlig resistent gegen neutralisierende Antikörper der meisten Seren, die von Personen gewonnen wurden, die entweder zwei Dosen eines mRNA-Impfstoffs erhalten hatten oder die von Covid-19 genesen waren. Die Daten sind kürzlich in »Nature« erschienen.

Wie werden die Impfstoffe gegen Omikron abschneiden?

Sollte Omikron in der Lage sein, neutralisierenden Antikörpern zu entkommen, so bedeutet das nicht, dass die durch Impfung und frühere Infektionen ausgelösten Immunreaktionen keinen Schutz gegen die Variante bieten. Denn offensichtlich braucht es zum Schutz vor schweren Covid-19-Verläufen nur relativ geringe Mengen neutralisierender Antikörper. Das sagte Miles Davenport, Immunologe an der University of New South Wales in Sydney, Australien, »Nature News«.

Nicht außer Acht lassen sollte man natürlich auch die T-Zell-Immunität. Diese könnte möglicherweise weniger von den Omikron-Mutationen betroffen sein.

Experten in Südafrika hoffen, nicht ähnliche Erfahrungen machen zu müssen wie Ende 2020 mit dem Astra-Zeneca-Impfstoff und der damals in dem Land dominanten Beta-Variante. Damals musste man feststellen, dass der Impfstoff bei relativ jungen Menschen nur einen geringen Schutz gegen leichte und mittelschwere Fälle bot, woraufhin Südafrika sein ganzes Kontingent an Astra-Zeneca-Impfstoff anderen Ländern zur Verfügung stellte.

Werden Booster-Impfungen den Schutz gegen Omikron verbessern?

Die dritte Dosis der Covid-19-Schutzimpfung erhöht die Konzentration an neutralisierenden Antikörpern signifikant. Nicht zuletzt deshalb empfiehlt die Ständige Impfkommission (STIKO) Booster-Impfungen für alle Über-18-Jährigen. Laut Bieniasz ist daher auch zumindest ein gewisser Schutz vor durch Omikron verursachten schweren Covid-19-Verläufen zu erwarten.

Wie schwer verlaufen Krankheiten nach einer Infektion mit Omikron?

Erste Berichte deuteten darauf hin, dass Covid-19 nach Infektion mit Omikron milder verläuft. Allerdings sind diese Beobachtungen noch mit Vorsicht zu genießen.

Eine große Herausforderung bei der Bewertung des Schweregrades einer Variante besteht darin, die vielen Störvariablen zu berücksichtigen, die den Krankheitsverlauf beeinflussen können, vor allem, wenn die Ausbrüche geografisch begrenzt sind. So könnten die Berichte über milde Krankheitsverläufe bei Omikron-Infektionen in Südafrika darauf zurückzuführen sein, dass das Land eine relativ junge Bevölkerung hat und viele Menschen bereits mit SARS-CoV-2 in Berührung gekommen sind.

Bevor einigermaßen zuverlässige Schlüsse gezogen werden können, müssen Krankheitsverläufe in verschiedenen globalen Regionen ausgewertet werden. Das benötigt Zeit.

Gibt es Erkenntnisse zu Omikron-Infektionen bei Kindern?

Erste Daten weisen darauf hin, dass die Verbreitung von Omikron die Rate der Krankenhauseinweisungen bei kleinen Kindern erhöhen könnte. Laut der Nachrichtenagentur dpa teilte Dr. Michelle Groome vom Nationalen Institut für übertragbare Krankheiten NICD in Südafrika am Freitag mit, dass nach der Altersgruppe der Über-60-Jährigen Kinder unter fünf Jahren dort nun die zweitgrößte Gruppe der hospitalisierten Covid-19-Erkrankten stellten. Das unterscheide die in Südafrika beginnende vierte Infektionswellen von früheren derartigen Phasen. Es sei aber noch zu früh, aus den bisher vorhandenen Daten wissenschaftlich fundierte Schlüsse zu ziehen.

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