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Pharmakogenetik

Warum wirkt das Arzneimittel bei mir anders als bei anderen?

Das ist eine der zentralen Fragen der Pharmakogenetik. Es gibt bereits erste Arzneimittel, die nur verordnet werden dürfen, wenn der Genotyp für bestimmte Stoffwechselenzyme vorab bestimmt wird. Was bringt die Zukunft auf diesem Gebiet?
Daniela Hüttemann
17.10.2022  17:00 Uhr

Gute Adhärenz bei allem vorausgesetzt: Warum wirkt ein Arzneimittel bei vielen Menschen gut, bei einigen jedoch nicht? Warum wirkt es stärker oder schwächer? Warum leiden manche besonders an Nebenwirkungen, andere nicht? Gibt es molekulare Biomarker, die eine Vorhersage für das Ansprechen und die Sicherheit erlauben?

»Das alles sind Fragen, mit denen wir uns in der Pharmakogenetik beschäftigen«, erklärte kürzlich Professor Dr. Ingolf Cascorbi, Direktor des Instituts für experimentelle und klinische Pharmakologie am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel, bei einer Fortbildungsveranstaltung der Apothekerkammer Schleswig-Holstein.

Ein Beispiel ist die Bohnenkrankheit, der sogenannte Favismus. Es sind weltweit schätzungsweise 1,2 Milliarden Menschen betroffen, davon circa 210.000 in Deutschland. Dahinter steckt ein Glucose-6-Phosphat-Dehydrogenase- (G6PD-)Mangel. »Der Körper kann dann bestimmte Naturstoffe aus Bohnen, aber auch viele Medikamente nicht richtig abbauen«, erklärte Cascorbi. Essen die Betroffenen Bohnen oder nehmen diese Arzneimittel ein, zum Beispiel Chloroquin, Cotrimoxazol und Vitamin-K-Antagonisten, aber auch gängige Schmerzmittel wie Metamizol, Paracetamol oder hochdosiertes ASS, kann es im schlimmsten Fall zu einer hämolytischen Anämie kommen.

Klinische Evidenz für genetische Testung wächst

»Es gibt bereits große Konsortien, die sich mit der klinischen Relevanz solcher Stoffwechselbesonderheiten auseinandersetzen und Leitlinien erstellen«, informierte der Biochemiker und Mediziner, der selbst zur Pharmakogenetik Arzneimittel-metabolisierender Enzyme und Membrantransporter forscht. Beispielsweise in den USA und den Niederlanden seien bereits klinische Pharmazeuten als praktische Pharmakogenetiker tätig. »Der Ansatz ist hier: Der Patient bringt seinen entschlüsselten genetischen Code mit und der Apotheker weiß, was zu tun ist.« 

In der Onkologie ist es längst Standard, dass das Tumorgenom bestimmt wird, bevor bestimmte Medikamente zum Einsatz kommen. Für die Testung der Enzymausstattung des Menschen gibt es vom internationalen  Clinical Pharmacogenetics Implementation Consortium (CPIC) bislang 26 Empfehlungen für einzelne Arzneistoffe oder ganze Wirkstoffklassen mit unterschiedlichen Evidenzgraden. »Die klinische Relevanz ist vor allem sehr hoch beim HIV-Mittel Abacavir, beim Zystische-Fibrose-Mittel Ivacaftor und dem Zytostatikum 5-Fluorouracil (5-FU)«, so Cascorbi.

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