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Immunseneszenz

Warum vor allem Ältere an Covid-19 sterben

Mit steigendem Alter verändert sich das Immunsystem des Menschen. Die genauen Abläufe dieser sogenannten Immunseneszenz verstehen Forscher mittlerweile immer besser – und können damit auch erklären, warum die Sterblichkeit an Covid-19 bei alten Menschen so viel höher ist als bei jungen.
Annette Mende
14.04.2020  08:00 Uhr

Die Immunseneszenz wird meist pauschal als eine Abschwächung der Immunantwort beim älter werdenden Menschen bezeichnet. Das stimmt zwar im Großen und Ganzen, stellt aber eine grobe Vereinfachung dar. Denn die verschiedenen Teile des Immunsystems büßen nicht im selben Ausmaß ihre Funktionalität ein. Einige sind im Gegenteil im höheren Alter sogar aktiver als im jüngeren. Bei der Reaktion auf einen bislang unbekannten Erreger wie das neue Coronavirus SARS-CoV-2 kann gerade das fatale Konsequenzen haben.

In einem Übersichtsartikel in »Nature Immunology« bezeichnete Professor Dr. Janko Nikolich-Žugich von der University of Arizona in Tucson die mit der Immunseneszenz einhergehenden Veränderungen 2017 als »Abenddämmerung der Abwehrkräfte« (»Twilight of Immunity«, DOI: 10.1038/s41590-017-0006-x). Es handele sich um eine Abfolge von altersabhängigen Veränderungen, die das Immunsystem beträfen und die mit der Zeit die Anfälligkeit für Infektionen erhöhten.

Zwei Abwehrreihen

Der Körper hat zwei Abwehrreihen gegen unerwünschte Eindringlinge: die angeborene oder auch unspezifische Immunabwehr und die adaptive oder auch spezifische Immunabwehr. Die erste Linie besteht unter anderem aus Granulozyten, Makrophagen und natürlichen Killerzellen und reagiert innerhalb von Minuten. Das adaptive Immunsystem braucht länger, ist dafür aber präziser. Es besteht hauptsächlich aus T-Lymphozyten, die körperfremde Antigene nach deren Präsentation durch spezialisierte Zellen erkennen und bekämpfen, und B-Lymphozyten, die nach Kontakt mit einem Antigen zu Plasmazellen werden und dann Antikörper produzieren.

Die Vorläufer der T-Zellen werden im Knochenmark gebildet und wandern von dort in den Thymus, wo sie ausreifen. In dieser hinter dem Brustbein gelegenen Drüse werden all diejenigen T-Zellen aussortiert, die bei Oberflächenmerkmalen nicht zwischen körperfremd und -eigen unterscheiden können. Es entstehen sogenannte naive T-Zellen, die noch nicht durch den Kontakt mit einem unbekannten Eindringling aktiviert wurden.

Die Funktion des Thymus lässt allerdings bereits im Laufe der Kindheit stark nach, sodass zu Beginn der Pubertät im Vergleich zur frühen Kindheit nur noch etwa ein Zehntel der naiven T-Zellen bereitgestellt werden. Im Alter zwischen 40 und 50 Jahren sinkt die Zahl erneut auf ein Zehntel ab. »Wir haben dann weniger Soldaten zur Verfügung, die mit einem Angreifer zurechtkommen, den wir noch nie zuvor gesehen haben, wie das neue Coronavirus einer ist«, stellte Nikolich-Žugich kürzlich gegenüber dem Online-Nachrichtenportal »Stat« den Bezug zur aktuellen Situation her. Nicht betroffen von diesem zahlenmäßigen Rückgang sind sogenannte T-Gedächtniszellen, die bei einer erneuten Konfrontation mit einem bekannten Erreger eine schnelle Reaktion ermöglichen.

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