Viel mehr als eine molekulare Schere |
Theo Dingermann |
30.03.2025 08:00 Uhr |
Der erste Nachweis, dass das CRISPR-System Bakterien vor einer Infektion mit Phagen zu schützen vermag, gelang 2007 Forschenden des Unternehmens Danisco, einem der damals weltweit größten Hersteller von Lebensmittelzusatzstoffen. Sie wollten verstehen, wie Streptococcus thermophilus, der in der Milchindustrie häufig zur Herstellung von Joghurt und Käse verwendet wird, sich vor Phagenangriffen, die immer wieder Probleme bei der industriellen Joghurtherstellung bereiten, biologisch schützt.
Für ihre bahnbrechenden Arbeiten zur Nutzung der CRISPR/Cas-Technologie erhielten die Professorinnen Dr. Emmanuelle Charpentier (rechts) und Dr. Jennifer Doudna 2020 den Nobelpreis für Chemie. / © Imago/ZUMA Press
Bei diesen Arbeiten zeigten die Forschenden experimentell, dass CRISPR-Systeme tatsächlich adaptive Immunsysteme sind. Bedrohen neue Phagen eine Bakterienkultur, integrieren die angegriffenen Bakterien einen kleinen Teil der Phagen-DNA in den CRISPR-Cluster in ihrem Genom, wodurch sie die nächste Welle angreifender Phagen abwehren können. Außerdem zeigten sie, dass Cas9 das Protein ist, das die eindringenden Phagen inaktiviert.
Heute ist dieses sehr frühe Immunsystem umfassend verstanden. Der CRISPR-Gen-Cluster, in dem alle Komponenten des bekanntesten und am meisten eingesetzten CRISPR-Cas9-Systems codiert sind, wird in den Bakterien ständig transkribiert (Abbildung 1A). Die große Prä-crRNA wird anschließend in einzelne CRISPR-RNA (crRNA), bestehend aus einer Wiederholungseinheit und einer kurzen Spacer-Sequenz, aus einem Bakteriophagen-Genom zurechtgeschnitten. Eine trans-aktivierende crRNA (tracrRNA), die im Übrigen von Charpentier entdeckt wurde und als letztes fehlendes Puzzleteilchen das System komplettierte, fungiert zusammen mit den crRNA als sogenannte duale RNA-Leitstruktur. Diese wird zum einen von der Cas-Nuklease erkannt und bildet mit dieser den CRISPR/Cas9-Komplex und zum anderen dient sie als molekularer Wegweiser, um eindringende Phagen-Nukleinsäuren zu erkennen und gezielt zu zerstören.
© PZ/Stephan Spitzer
In der obersten Zeile ist die Anordnung zweier essenzieller Komponenten des CRISPR/Cas9-Systems im Genom dargestellt. Nicht gezeigt ist das Gen für die DNase Cas9. Das große CRISPR-Array enthält alle »Gen-Marken«, die von unterschiedlichen Phagen stammen, mit denen die Bakterienzelle in Kontakt gekommen ist. Nach der Transkription wird das große RNA-Transkript in die einzelnen crRNA-Elemente (cr: CRISPR) gespalten, die jeweils aus einem Spacer mit der Sequenz aus einem Phagen-Genom und einem Repeat-Element bestehen.
Das tracrRNA-Gen (tracr: trans-aktivierende crRNA) wird ebenfalls transkribiert, sodass die resultierende tracrRNA mit den Repeat-Elementen der crRNA über Basenpaarungen einen Komplex bilden kann. Dieser crRNA-tracrRNA-Komplex wird von der Cas9-DNase erkannt und exakt an eine Stelle im Genom beispielsweise eines Phagen positioniert, wo sich eine komplementäre Sequenz zu der Spacer-Sequenz befindet. Durch diese Bindung wird die Struktur der Cas-DNase verändert; die aktivierte DNase schneidet dann den Phagen-Doppelstrang durch.
Modifiziert nach: I. Zündorf