Vericiguat neue Option bei Herzinsuffizienz |
Annette Rößler |
05.10.2021 07:00 Uhr |
Eine verminderte körperliche Leistungsfähigkeit ist ein Leitsymptom der Herzinsuffizienz. / Foto: Adobe Stock/R. Rose
Die lösliche Guanylatcyclase ist ein Enzym im Zytoplasma von glatten Gefäßmuskelzellen, das die Umwandlung von Guanosintriphosphat in zyklisches Guanosinmonophosphat (cGMP) katalysiert. Letzteres wirkt gefäßerweiternd, antiproliferativ, antiinflammatorisch und antifibrotisch. Aktiviert und somit zur Bildung von cGMP angeregt wird die sGC durch Stickstoffmonoxid (NO).
Bei verschiedenen Krankheiten, darunter pulmonale arterielle Hypertonie (PAH) und Herzinsuffizienz (HI), herrscht ein Mangel an NO. In dieser Situation können sGC-Stimulatoren Abhilfe schaffen: Sie aktivieren die sGC unabhängig von und in Synergie mit NO und erhöhen so den intrazellulären cGMP-Spiegel. Bei HI bessert sich daraufhin die myokardiale und die vaskuläre Funktion.
Riociguat (Adempas®) besitzt seit 2014 eine Zulassung unter anderem bei PAH. In der deutlich größeren Indikation HI kam jetzt mit Vericiguat (Verquvo®) von Bayer ein weiterer sGC-Stimulator hinzu. Das neue Präparat kommt als Filmtabletten à 2,5 mg, 5 mg und 10 mg in den Handel und darf eingesetzt werden bei erwachsenen Patienten mit reduzierter Ejektionsfraktion, die nach einem kürzlich aufgetretenen Dekompensationsereignis, das eine intravenöse Therapie erforderte, stabilisiert wurden. Bei diesen schwer betroffenen Patienten wird Vericiguat stets in Kombination mit anderen HI-Therapeutika verwendet.
Begonnen wird die Therapie mit 2,5 mg Vericiguat einmal täglich. Die Dosis sollte etwa alle zwei Wochen vedoppelt werden, bis die angestrebte Erhaltungsdosis von 10 mg einmal täglich erreicht ist. Verträglichkeitsprobleme, insbesondere ein Blutdruckabfall, können eine Reduzierung der Dosis oder ein Absetzen von Vericiguat erforderlich machen.
Die Einnahme erfolgt zu einer Mahlzeit. Kann der Patient nicht die ganze Filmtablette schlucken, darf diese unmittelbar vor der Anwendung zerstoßen und mit Wasser gemischt werden. Eine ausgelassene Dosis sollte am selben Tag baldmöglichst nachgeholt werden, allerdings nicht erst am Folgetag: Patienten sollten nicht zwei Dosen am selben Tag einnehmen.
Vor dem Start der Therapie sind der Volumenstatus und die Diuretikatherapie zu optimieren und der Blutdruck zu kontrollieren. Liegt der systolische Blutdruck unter 100 mmHg, sollte die Einnahme nicht begonnen werden. Nicht empfohlen wird die Therapie bei Patienten mit schwerer Niereninsuffizienz (eGFR < 15 ml/min/1,73 m2), bei dialysepflichtigen Patienten und bei solchen mit schwerer Leberinsuffizienz. Auf eine Anwendung während der Schwangerschaft oder bei nicht verhütenden Frauen im gebärfähigen Alter ist vorsichtshalber zu verzichten. Während der Stillzeit muss eine Entscheidung darüber getroffen werden, ob das Stillen oder die Behandlung mit Vericiguat zu unterbrechen ist beziehungsweise darauf verzichtet werden soll.
Pharmakokinetische Wechselwirkungen sind keine zu beachten. Kontraindiziert ist die gleichzeitige Anwendung von Vericiguat mit Riociguat oder einem anderen sGC-Stimulator. Um einen zu starken Blutdruckabfall zu vermeiden, wird die gleichzeitige Anwendung mit PDE-5-Hemmern wie Sildenafil nicht empfohlen. Kurzwirksame Nitrate wurden von HI-Patienten unter Vericiguat gut vertragen, mit langwirksamen Nitraten liegen nur begrenzte Erfahrungen vor.
Vericiguat senkt den systolischen Blutdruck ungefähr um 1 bis 2 mmHg stärker als Placebo. Hypotonie war in der Zulassungsstudie mit 16,4 Prozent betroffenen Probanden die häufigste Nebenwirkung (Placebo: 14,9 Prozent). Weitere häufig gemeldete unerwünschte Arzneimittelwirkungen waren Anämie, Schwindel, Kopfschmerzen, Übelkeit, Dyspepsie, Erbrechen und Reflux.
Die Zulassungsstudie hieß VICTORIA und stellte eine randomisierte, doppelblinde Parallelgruppenstudie dar. Teilnehmer waren 5050 erwachsene Patienten mit symptomatischer chronischer HI (NYHA-Klassen II bis IV) und einer linksventrikulären Ejektionsfraktion von unter 45 Prozent, die zuvor aufgrund der HI hospitalisiert oder ambulant intravenös mit Diuretika behandelt worden waren. Sie erhielten zusätzlich zu ihrer bereits bestehenden HI-Medikation entweder Placebo oder Vericiguat. Primärer Endpunkt der Studie war die Zeit bis zum ersten Ereignis aus der Kombination von kardiovaskulärem Tod oder HI-bedingter Hospitalisierung. Die mittlere Nachbeobachtungszeit hierfür betrug elf Monate.
Die jährliche absolute Risikoreduktion unter Verum für den kombinierten primären Endpunkt lag bei 4,2 Prozent. Das bedeutet, dass gemäß dieser Studie durchschnittlich 24 Patienten ein Jahr lang mit Vericiguat behandelt werden müssen, um einen kardiovaskulären Tod oder eine Krankenhausbehandlung aufgrund von HI zu verhindern.
Dank Vericiguat geht es bei der Behandlung der Herzinsuffizienz einen Schritt voran. Folglich gehört der neue Wirkstoff in die Klasse der Schrittinnovationen. Vericiguat ist nicht der erste Vertreter der Stimulatoren der löslichen Guanylatcyclase. Der bei Lungenhochdruck eingesetzte Wirkstoff Riociguat ist schon seit einigen Jahren im Handel. Daher ist der Wirkmechanismus des Neulings nicht innovativ.
Das Einsatzgebiet von Vericiguat macht den Wirkstoff allerdings interessant. Denn leider ist es so, dass sich die Symptome viele Patienten mit Herzinsuffizienz trotz einer leitliniengerechten Therapie kontinuierlich verschlechtern, sie gegebenenfalls ins Krankenhaus eingewiesen werden und dort intravenös Diuretika erhalten. Nach einer Dekompensation versterben rund 20 Prozent der Patienten innerhalb von zwei Jahren.
Die Zulassungsstudie mit Vericiguat war auf Patienten mit fortschreitender Verschlechterung der Herzinsuffizienz ausgerichtet. Die Add-on-Therapie mit dem neuen Arzneistoff konnte überzeugen. Todesfälle aufgrund von Herz- und Kreislaufproblemen sowie Krankenhauseinweisungen aufgrund von Herzinsuffizienz waren im Vergleich zur Placebogruppe reduziert. Riesengroß war der Unterschied zwar nicht. Dennoch sollte man bedenken, wie viele Menschen an Herzinsuffizienz leiden und dass der Wirkstoff gut verträglich ist. Er kann damit durchaus eine Möglichkeit darstellen, die Abwärtsspirale bei der Erkrankung aufzuhalten, und als Therapiefortschritt gewertet werden.
Sven Siebenand, Chefredakteur