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Männer und Frauen

Unterschiede in der Immunantwort

Das weibliche und das männliche Abwehrsystem reagiert unterschiedlich auf Fremd- und Selbstantigene. Während Männer anfälliger für verschiedene virale Infektionen sind, erkranken Frauen häufiger an Autoimmunerkrankungen und reagieren stärker auf Impfstoffe.
Nicole Schuster
30.07.2020  09:00 Uhr

Bei Covid-19 war bald klar, dass Männer schwerer erkranken als Frauen und öfter auf Intensivstationen behandelt werden müssen. Auch unter den Covid-19-Toten sind Männer eindeutig in der Mehrheit: Laut den Zahlen des Robert-Koch-Instituts sind in Deutschland zwei Drittel der Verstorbenen männlich. Die Daten aus anderen Ländern sehen ähnlich aus.

Schwerere Verläufe von Infektionskrankheiten wie Hepatitis B oder Tuberkulose beim männlichen Geschlecht sind schon länger bekannt. Auch zeigen Untersuchungen, dass Männer, die beim berüchtigten »Männerschnupfen« besonders wehleidig reagieren, tatsächlich mehr leiden als Frauen. Zudem weisen sie bei verschiedenen Erkrankungen eine höhere Mortalität auf (»The Journal of Immunology« 2017, DOI: 10.4049/jimmunol.1601166).

Eine Vermutung ist, dass das Immunsystem beim vermeintlich schwächeren Geschlecht bis zu den Wechseljahren aktiver und stärker ist. Aus Sicht der Evolution ergibt das Sinn, sollen doch Frauen das ungeborene und neugeborene Leben schützen. Doch für die Frauen hat dieses aktivere Immunsystem auch eine Schattenseite: Sie sind öfter von Autoimmunerkrankungen wie Hashimoto Thyreoiditis, rheumatischen Erkrankungen, Multipler Sklerose oder Typ-1-Diabetes betroffen als Männer.

Gene, Hormone und Verhalten

Geschlechtsspezifische Unterschiede bei der Krankheitsabwehr haben Wissenschaftler sowohl hinsichtlich der angeborenen als auch der adaptiven Immunantworten festgestellt. Einige dieser Unterschiede sind von Beginn an vorhanden, andere entwickeln sich erst in der Pubertät. Das lässt annehmen, dass nicht nur genetische, sondern auch epigenetische Faktoren und Sexualhormone daran beteiligt sind, wie stark oder schwach eine Immunantwort ausfällt.

Wenn es um genetische Unterschiede bei Männern und Frauen geht, ist in der Regel von den X- und Y-Chromosomen die Rede. Frauen haben zwei X-Chromosomen, Männer ein X- und ein Y-Chromosom. Viele Gene, die das Immunsystem regulieren, liegen ausschließlich auf dem X-Chromosom. Der alte Glaube, dass das zweite X-Chromosom bei Frauen komplett inaktiv ist, ist mittlerweile widerlegt. Heute weiß man, dass Immunzellen bei Frauen Gene auf beiden X-Chromosomen ablesen können. Dadurch steht ihnen ein vielfältigeres Spektrum an Abwehrmechanismen zur Verfügung, was die effektivere Reaktion des weiblichen Immunsystems erklären könnte. Zudem kann bei Frauen der Ausfall von einem Gen auf einem der beiden X-Chromosomen kompensiert werden, indem die Information vom anderen herangezogen wird.

Bei dem deutlich kleineren Y-Chromosom des Mannes ist vor allem die Sex determining Region of Y-Gen (SRY), also die das Geschlecht bestimmende Region, relevant. Sie ist unter anderem für die verstärkte Produktion von Testosteron verantwortlich. Frauen verfügen über weniger Testosteron, dafür über mehr Estrogen. Die männlichen und weiblichen Geschlechtshormone wirken sich unterschiedlich auf das Abwehrsystem aus. Estrogen stimuliert die Immunantwort und regt die Vermehrung von spezifischen Abwehrzellen an. Dieser Effekt ist allerdings abhängig von der Konzentration von Estrogen im Körper und unterliegt zyklusbedingten Schwankungen. Testosteron wirkt supprimierend auf das Immunsystem. Der Effekt des zweiten wichtigen weiblichen Geschlechtshormons Progesteron auf das Immunsystem ist bislang noch unklar. Das Hormon wirkt wie Testosteron eher antientzündlich und supprimiert bestimmte Reaktionen der körpereigenen Abwehr.

Das im Allgemeinen reaktivere weibliche Immunsystem sollte auch bei Impfungen berücksichtigt werden. Frauen leiden öfter unter unerwünschten Impfreaktionen. Untersuchungen zeigen auch, dass bei ihnen oft niedrigere Impfdosen ausreichen, um einen Schutz hervorzurufen. Die Immunität hält vermutlich auch länger an als bei Männern. Die Intervalle bis zur Auffrischung könnten bei Frauen folglich größer sein.

Nicht zu vernachlässigen sind aber auch die unterschiedlichen Verhaltensweisen von Männern und Frauen, die neben den biologischen Unterschieden einen Einfluss auf das Immunsystem haben. Testosteron verleitet zu riskanterem Verhalten. Zudem neigen Männer eher dazu, zu viel Alkohol zu trinken, zu rauchen, sich ungesund zu ernähren und wenig zu bewegen. Viele Männer halten sich darüber hinaus seltener an Gesundheitsratschläge, nehmen ungern Vorsorgeuntersuchungen wahr und suchen zurückhaltender medizinische Hilfe.

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