Stärker ist nicht unbedingt besser |
Christina Hohmann-Jeddi |
03.04.2020 12:58 Uhr |
Die primäre Immunantwort auf das neue Coronavirus SARS-CoV-2 scheint vorteilhaft zu sein. Ob das für die sekundäre Immunantwort auch zutrifft, ist zweifelhaft. / Foto: Getty Images/koto_feja
Das Coronavirus SARS-CoV-2 ist erst vor wenigen Monaten entstanden. Entsprechend lückenhaft ist bislang das Wissen über die Reaktion des menschlichen Immunsystems auf den Erreger. Ersten Untersuchungen zufolge löst eine Infektion mit SARS-CoV-2 eine frühe Antikörperbildung und eine zelluläre Immunantwort aus und hinterlässt zumindest eine kurzfristige Immunität. Auf Letzteres weist ein Tierversuch von Forschern um Linlin Bao von der chinesischen Academy of Medical Sciences in Peking hin, über den die Gruppe online vorab auf »BioRxiv« berichtet (DOI: 10.1101/2020.03.13.990226).
Einige Fallberichte von Patienten aus China und Japan hatten die Frage aufgeworfen, ob Mehrfachinfektionen möglich sind. Dies untersuchten die Forscher an Rhesusaffen, die sie im Abstand von einigen Wochen zweimal mit dem Erreger infizierten. Beim ersten Mal replizierte das Virus in Nase, Pharynx, Lunge und Darm, beim zweiten Mal konnte in keinem der untersuchten Gewebe eine Replikation des Virus nachgewiesen werden. Ihr Fazit: Eine Infektion scheint vor weiteren Infektionen zu schützen.
Wie lange der Schutz anhält, ist allerdings nicht klar. Ebenfalls unklar ist, ob die Ergebnisse auf den Menschen übertragbar sind. Das müsste noch in Beobachtungsstudien mit genesenen Covid-19-Patienten untersucht werden. Experten gehen inzwischen davon aus, dass der Schutz ein bis zwei Jahre anhält.
Erste klinische Studien deuten darauf hin, dass es bereits recht früh nach einer Infektion eine Antikörperantwort gegen den Erreger gibt. Das zeigte zum Beispiel die Untersuchung der in München betreuten ersten deutschen Covid-19-Patienten von Forschern um Professor Dr. Christian Drosten von der Berliner Charité. Bei den neun Patienten mit lediglich milder Symptomatik hatte die Serokonversion (das Auftreten von Antikörpern) bereits in der zweiten Woche nach Symptombeginn eingesetzt und damit etwas früher als bei SARS-CoV-1. Das berichten die Forscher ebenfalls online vorab auf »MedRxiv« (DOI: 10.1101/2020.03.05.20030502).
Die Analyse der viralen Last zeigte keine plötzliche Viruselimination zum Zeitpunkt der Serokonversion. Vielmehr war parallel zur Antikörperbildung ein langsamer, stetiger Rückgang der Viruslast im Sputum zu beobachten. Eine Korrelation zwischen Antikörpertiter und klinischem Verlauf war in dieser Patientengruppe nicht zu erkennen. »Auf jeden Fall sollten Impfstoffe, die hauptsächlich auf die Induktion einer Antikörperantwort abzielen, eine möglichst hohe Antikörperantwort auslösen, um effektiv zu sein«, heißt es in der Publikation.
Zu etwas anderen Ergebnissen kamen Forscher um Juanjuan Zhao von der Universität Zhengzhou in China in einem online vorab veröffentlichten Artikel im Fachjournal »The Lancet« (DOI: 10.2139/ssrn.3546052). Sie hatten 173 Covid-19-Patienten untersucht, bei denen die Serokonversion der verschiedenen Antikörperfraktionen in folgender Reihenfolge nach Symptombeginn stattfand: Antikörper insgesamt im Mittel nach elf Tagen, IgM nach zwölf Tagen und IgG nach 14 Tagen. Bereits in den ersten sieben Tagen nach Krankheitsbeginn waren bei fast 40 Prozent der Patienten Antikörper zu finden, die Rate stieg dann bis zu Tag 15 auf 100 Prozent an.
Der Antikörpertiter könnte den Autoren zufolge auch Hinweise auf den klinischen Verlauf geben. In ihrer Studie korrelierte er nämlich stark mit der Schwere der Erkrankung. Ein hoher Titer könne daher unabhängig von Alter, Geschlecht und Komorbiditäten ein Risikofaktor für schwere Verläufe sein. Wie dieser Zusammenhang zustande komme, sei noch nicht klar und müsse genauer untersucht werden.
Auch beim Ausbruch von SARS in den Jahren 2002 und 2003 war beobachtet worden, dass die Antikörperantwort die Erkrankung, vor allem die akute Lungenschädigung, verstärkte. So zeigte der Vergleich von Patienten, die mit dem ersten SARS-Erreger infiziert und genesen waren, mit verstorbenen Infizierten, dass bei Letzteren die Bildung von Antikörpern gegen das Spike-Protein des Virus früher eingesetzt hatte und auch stärker ausgefallen war («JCI Insight« 2019, DOI: 10.1172/jci.insight.123158).
Impfstoffe gegen SARS-CoV-2 sollten vor allem die Bildung neutralisierender Antikörper stimulieren. / Foto: Getty Images/simon2579
Drosten gab in einem NDR-Info-Podcast am 2. April eine mögliche Erklärung hierzu: Eine unbalancierte Antikörper-Antwort könne auch »ungute« Immunreaktionen hervorrufen. Neben den neutralisierenden Antikörpern, die Erreger effektiv ausschalteten, gebe es nicht neutralisierende Antikörper, die das Virus nur verklebten. Monozyten, die darauf spezialisiert seien, mit Antikörpern markierte Erreger zu fressen, nähmen die an Antikörper gebundenen Coronaviren auf. Dadurch gelangten diese in die Immunzellen, könnten dort replizieren und die Zellen töten. Letztlich fehlten Immunzellen, die der Körper benötige, um die Infektion zu beseitigen, erklärte der Virologe.
Dieser Effekt müsse auch bei der Entwicklung eines Impfstoffs bedacht werden. Vakzinen, die vor allem die Bildung von neutralisierenden Antikörpern stimulieren, sind laut Drosten zu bevorzugen. Bei Impfstoffen, die eine unbalancierte Antikörper-Antwort hervorriefen, könne es passieren, dass bei einer tatsächlichen Infektion die Erkrankung durch die Immunantwort verschlechtert werde. Dieses Phänomen bezeichnet man auch als Antibody-dependent Enhancement.
»Das ist reine Theorie«, betonte Drosten. Doch diese Unwägbarkeiten machten die klinische Erprobung von Vakzinkandidaten so wichtig. Bisherigen Erkenntnissen zufolge sei die Wahrscheinlichkeit, dass bei Impfstoffen gegen SARS-CoV-2 solche Störeffekte auftreten, nicht sehr groß. »Aber man muss sie ausschließen.«
Während bei der großen Mehrheit der SARS-CoV-2-Infizierten das Immunsystem in der Lage ist, den Erreger zu kontrollieren, kann die Immunreaktion in wenigen Fällen auch eskalieren. Welche Mechanismen dem zugrunde liegen könnten, erörtern Forscher um den Rheumatologen Dr. Piercarlo Sarzi-Puttini von der Universität Mailand in einem Übersichtsartikel zu Covid-19, Zytokinen und Immunsuppression im Fachjournal »Clinical and Experimental Rheumatology«. Den Autoren zufolge ist die primäre Immunreaktion auf das Virus vorteilhaft. Die sekundäre Immunreaktion kann dagegen aus bisher ungeklärten Gründen in Einzelfällen überstark ausfallen und Organe schädigen, zu Multiorganversagen und zum Tod führen.
Zytokine stehen im Verdacht, die Immunreaktionen überschießen zu lassen. Das war schon sowohl bei SARS-CoV-1 als auch beim MERS-Coronavirus beobachtet worden und scheint auch bei dem aktuellen Pandemievirus der Fall zu sein. So berichteten chinesische Forscher im Januar, dass Covid-19-Patienten erhöhte Spiegel von proinflammatorischen Zytokinen aufweisen, was möglicherweise zu einer verstärkten Aktivierung von T-Helferzellen vom Typ 1 führt (»The Lancet«, DOI: 10.1016/S0140-6736(20)30183-5). Intensivpflichtige Patienten hatten dabei bei einigen Zytokinen höhere Titer als Patienten mit weniger schwerem Verlauf.
Aus diesen Gründen wird inzwischen auch der Nutzen von immunsupprimierenden Therapien untersucht. Hierzu zählt neben dem IL-6-Antagonisten Tocilizumab (RoActemra®), der derzeit von Hersteller Roche erprobt wird, auch der IL-1-Rezeptorantagonist Anakinra (Kineret®), mit dem in China eine Studie gestartet ist. Außerdem erproben Sanofi und Regeneron den IL-6-Antagonisten Sarilumab (Kevzara®) in einer Studie mit Covid-19-Patienten.
Sarzi-Puttini und Kollegen zufolge wäre auch der Einsatz des JAK-Inhibitors Baricitinib (Oluminat®) denkbar. Mit dem JAK-Inhibitor Ruxolitinib (Jakavi®) plant Hersteller Novartis jetzt eine Studie mit Covid-19-Patienten mit Zytokinfreisetzungssyndrom. Auch Hydroxychloroquin, das gegen Covid-19 getestet wird, ist ein Immunmodulator. Daher hat es neben der Malariatherapie und -prophylaxe auch eine Zulassung zur Behandlung milder Verläufe der rheumatoiden Arthritis und des systemischen Lupus erythematodes.
Den Autoren zufolge könnten gerade die modernen Antirheumatika wirksam bei schweren Verläufen von Covid-19 sein, da sie Schritte der Immunantwort hemmen, die im Verlauf der Erkrankung außer Kontrolle geraten.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.