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Drogensubstitution

Schmale Gratwanderung

Opioidabhängigkeit ist ein chronisches und komplikationsreiches Leiden, das nach der ICD Klassifizierung unter den Suchterkrankungen gelistet ist. Rezidive nach zunächst erfolgreicher Substitutionstherapie, aber auch Missbrauch und Fehlanwendungen bei gleichzeitig schwierigen Verhaltensmustern von Betroffenen zählen zum Krankheitsbild.
Grit Spading
19.06.2022  08:00 Uhr

Nach dem heutigen Stand der Wissenschaft werden Suchterkrankungen als »disorders of the brain« mit veränderten neuronalen Kommunikationsstrukturen und Funktionsweisen des Gehirns durch regelmäßigen Gebrauch von Suchtstoffen angesehen. Dabei wirken die meisten süchtig machenden Substanzen primär über die Regelkreise zentraler Neurotransmitter, die spezifische Regionen und »Belohnungssysteme« im Hirn steuern und auf diese Weise Emotionen, Motivation und Denken beeinflussen (1, 2, 3).

Die Ursachen und Auslöser von Suchterkrankungen sind auf tiefgreifende Störungen auf der Botenstoffebene neuronaler Systeme, also schwerwiegende Dysbalancen des chemischen Gleichgewichts körpereigener Neurotransmitter zurückzuführen und als solche dringend therapiebedürftig. Keinesfalls können Substanzabhängigkeiten als Verhaltensstörungen im sozialen Kontext oder gar Ausdruck von Willensschwäche des Patienten betrachtet werden.

Unter allen Suchterkrankungen wird die Opioidabhängigkeit als die schwerwiegendste chronische Form eingeordnet, da sie durch ein besonders ausgeprägtes Abhängigkeitssyndrom, schwere Komplikationen, zahlreiche Komorbiditäten und ein großes Mortalitätsrisiko geprägt ist (4).

Die Einstellung zu Suchtkranken wird im Vergleich zu anderen psychischen Erkrankungen häufig dominiert von Schuldvorwürfen, Ablehnung und Ausgrenzung der Betroffenen (5). Die Abstinenzzuversicht der Patienten wird durch die nach wie vor bestehende gesellschaftliche Stigmatisierung gemindert. Diese trägt oftmals durch Selbstverurteilung und Verringerung des Selbstwertgefühls zur weiteren Verfestigung des Suchtverhaltens bei (6, 7).

Richtiger Stoff, richtige Dosis

Die Substitutionstherapie opioidabhängiger Menschen ist suchtmedizinisch qualifizierten Ärzten vorbehalten. Denn es handelt sich um eine sehr differenzierte Therapie, deren Einsatz sich an der individuellen körperlichen und seelischen Situation und den Bedürfnissen des Patienten orientieren muss.

Das ideale Substitutionsmittel sollte nicht nur das sogenannte Craving, also Verlangen, wirksam unterdrücken und bei großer therapeutischer Breite eine ausreichende Wirkdauer besitzen, sondern auch eine einfache und sichere Handhabung ermöglichen. Zudem muss es kreislaufneutral und interaktionsarm sein. Es darf sich selbst nicht als Droge eignen, also kein oder nur ein geringes Suchtpotenzial haben, und sollte per se so wenig Einfluss wie möglich auf das Reaktionsverhalten und die Atmung des Patienten nehmen. Es müssen Arzneiformen eingesetzt werden, die nicht parenteral appliziert werden können (2).

Als Substitutionsmittel darf der Arzt nach Paragraph 5 Absatz 6 Betäubungsmittelverschreibungsverordnung (BtMVV) ein zur Substitution zugelassenes Arzneimittel verschreiben, das nicht den Wirkstoff Diamorphin enthält. Verordnet werden dürfen Zubereitungen von Levomethadon, Methadon oder Buprenorphin oder in begründeten Ausnahmefällen von Codein oder Dihydrocodein.

Diamorphin (Diaphin, Heroin) kommt nur in sogenannten Modellprojektambulanzen zur parenteralen Applikation zum Einsatz (8). Das Heroin wird dabei auf dem Sondervertriebsweg unmittelbar vom pharmazeutischen Unternehmer ohne Zwischenschaltung einer Apotheke direkt in die Einrichtungen geliefert.

Die zugelassenen Substitutionsmittel unterscheiden sich im Wesentlichen nicht nur in ihrem Interaktions- und Nebenwirkungspotenzial, sondern auch im Grad der möglichen Sedierung des Patienten, der bei der Dosisfindung im Rahmen der Therapieeinstellung eine große Rolle spielt (9, 10). Anfängliche lebensbedrohliche Überdosierungen müssen unbedingt ausgeschlossen werden. Gleiches gilt für Unterdosierungen, da diese zu einer Entzugssymptomatik führen können (2).

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