SARS-CoV-2-Superantigen möglicher Hepatitis-Trigger |
Annette Rößler |
19.05.2022 16:30 Uhr |
Eine bestimmte Region des Spike-Proteins von SARS-CoV-2 kann womöglich als Superantigen fungieren und Immunzellen überstimulieren. Forscher sehen darin einen Teil eines möglichen Pathomechanismus der Hepatitisfälle bei Kindern. / Foto: NIH-NIAID
Die weltweit mittlerweile mehreren Hundert Fälle von Kindern, die in den vergangenen Wochen an schwerer Hepatitis erkrankt sind, geben Ärzten und Behörden weiter Rätsel auf. Als erste brachte die britische Gesundheitsbehörde UKHSA einen Zusammenhang mit dem Adenovirus Typ 41F ins Gespräch, das bei einem Großteil der betroffenen Kinder nachgewiesen werden konnte. Weil Infektionen mit diesen Viren aber bei ansonsten gesunden Kindern normalerweise keine schwere Hepatitis auslösen, wird weiter nach der genauen Ursache beziehungsweise dem zugrunde liegenden Pathomechanismus gefahndet.
Nicht ausgeschlossen ist beispielsweise, dass die unklaren Hepatitisfälle doch auch irgendwie mit der Coronavirus-Pandemie zusammenhängen könnten, obwohl SARS-CoV-2 nur bei sehr wenigen betroffenen Kindern nachgewiesen werden konnte. In einem Brief an das Fachjournal »The Lancet Gastroenterology & Hepatology« stellen Professor Dr. Petter Brodin vom Imperial College London und Dr. Moshe Arditi vom Cedars-Sinai Medical Center in Los Angeles nun eine Hypothese vor, die beides zusammenbringt.
Ausgehend von der Erkenntnis, dass nach einer durchgemachten akuten SARS-CoV-2-Infektion ein Virusreservoir im Darm zurückbleiben kann, halten Brodin und Arditi es für möglich, dass die ständige Freisetzung von Virusproteinen aus diesem Reservoir zu einer Immunaktivierung des Darmepithels führt. Diese werde vermutlich durch ein sogenanntes Superantigen ausgelöst. Ein Superantigen ist ein bestimmtes Oberflächenmerkmal eines Erregers, das vor allem die T-Zellen des Immunsystems überaktiviert, sodass diese große Mengen an proinflammatorischen Zytokinen freisetzen.
Für SARS-CoV-2 konnte bereits gezeigt werden, dass eine bestimmte Region des Spike-Proteins, die dem Staphylokokken-Enterotoxin B ähnelt, Superantigen-Eigenschaften hat. Laut Brodin und Arditi könnte die Superantigen-vermittelte Immunaktivierung bei Kindern das multisystemische Entzündungssyndrom PIMS (Pediatric Inflammatory Multisystem Syndrome) auslösen – und zusammen mit dem Adenovirus auch die Hepatitis. Ihrer Ansicht nach könnte nämlich eine Adenovirusinfektion bei Kindern, die zuvor mit SARS-CoV-2 infiziert waren und in deren Darm sich ein Virusreservoir gebildet hat, die schweren Leberentzündungen auslösen. Dafür spreche unter anderem, dass eine Exposition mit dem Staphylokokken-Enterotoxin B bei Mäusen nach einer Adenovirusinfektion Leberversagen und Tod verursache.
Bei den Tieren werde dies durch die überschießende Freisetzung von Interferon-γ vermittelt. Hieraus ergebe sich ein möglicher Behandlungsansatz für betroffene Patienten. Kinder mit akuter Hepatitis sollten daher auf Überbleibsel von SARS-CoV-2 im Stuhl sowie eine Interferon-γ-Überaktivierung untersucht und gegebenenfalls immunmodulatorisch behandelt werden.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.