SARS-CoV-2-Infektion lässt das Hirn schrumpfen |
Annette Rößler |
10.03.2022 16:00 Uhr |
Auf MRT-Bildern des Gehirns von ehemals SARS-CoV-2-Infizierten konnten Forscher spezifische Veränderungen feststellen. / Foto: Getty Images/Andrew Brookes (Symbolbild)
Neurologische Beschwerden wie Fatigue oder der sogenannte Brain Fog, aber auch anhaltende Einschränkungen des Geruchs- und Geschmackssinns gehören zu den Symptomen bei Long Covid. Sie könnten auf anatomische Veränderungen in der Struktur des Gehirns zurückzuführen sein, die Forscher um Professor Dr. Gwenaëlle Douaud von der Universität Oxford in Großbritannien jetzt im Fachjournal »Nature« beschreiben.
Die Wissenschaftler berichten über die Ergebnisse ihrer Untersuchung von 785 Personen, deren Daten in der biomedizinischen Datenbank UK Biobank gespeichert waren. Von den Probanden lagen jeweils zwei MRT-Aufnahmen des Gehirns vor, die im Abstand von 38 Monaten gemacht worden waren. 401 Teilnehmer hatten sich in der Zwischenzeit mit SARS-CoV-2 infiziert, und zwar durchschnittlich 141 Tage vor dem zweiten Hirnscan. Somit war sowohl bei diesen Probanden als auch bei den Kontrollen ein Vorher-Nachher-Vergleich möglich – eine Stärke der Studie, da Auffälligkeiten im Gehirn, die zuvor bereits da waren, nicht fälschlicherweise als Folgen der Infektion gedeutet werden konnten.
Die Forscher identifizierten signifikante Unterschiede zwischen den beiden Gruppen. So nahm etwa die Dicke der grauen Substanz im orbitofrontalen Cortex und im Gyrus parahippocampalis bei ehemals Infizierten stärker ab als bei den Kontrollen. Diese beiden Hirnregionen sind an der Verarbeitung der Geruchswahrnehmung und am Gedächtnis beteiligt. Zudem waren infolge einer SARS-CoV-2-Infektion bei den Teilnehmern größere Schäden im zum Riechhirn gehörenden olfaktorischen Cortex zu sehen und generell eine stärkere Abnahme des Hirnvolumens als bei Probanden ohne zurückliegende SARS-CoV-2-Infektion. Diese Veränderungen gingen bei den Genesenen durchschnittlich mit einer größeren Einbuße kognitiver Fähigkeiten einher als bei den Kontrollen. Auch eine aktuelle Studie im Fachjournal »JAMA Neurology« zeigt, dass schwere, aber auch milde Formen von Covid-19 das Risiko für kognitive Beeinträchtigungen erhöhen.
Die Auswirkungen der durchgemachten Infektion sowohl auf die Hirnanatomie als auch auf die Kognition waren in der Oxford-Studie auch dann noch vorhanden, als die Forscher die 15 Patienten ausschlossen, die so schwer an Covid-19 erkrankt gewesen waren, dass sie stationär behandelt werden mussten. Das bestätigt die Beobachtung, dass auch Patienten, die nicht schwer akut erkrankt waren, neurologische Long-Covid-Symptome entwickeln können.
Dazu, wie die von ihnen dokumentierten Veränderungen vor allem im limbischen System des Gehirns zustande kommen könnten, haben die Forscher verschiedene Theorien. Eine davon ist, dass das Virus über die Riechbahnen ins Gehirn gelangen und dort entweder selbst eine Degeneration verursachen könnte oder indirekt über Entzündungsprozesse. Denkbar wäre auch, dass die betroffenen Hirnareale schrumpfen, weil sie zu wenig gebraucht werden, wenn infolge der Infektion der Geruchssinn verloren geht. Die Covid-19-bedingte Anosmie, deren Ursprung andere Forscher erst kürzlich auf eine Infektion der Stützzellen und nicht der Riechneuronen zurückführten, wäre in diesem Fall also eher die Ursache der hirnanatomischen Veränderungen als die Folge.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.