Geruchsverlust als Kollateralschaden |
Theo Dingermann |
04.03.2022 16:30 Uhr |
Nicht riechen und schmecken zu können, schränkt die Lebensqualität stark ein. Zum Glück für Betroffene bessert sich die Anosmie infolge von Covid-19 meistens wieder. / Foto: Adobe Stock/nenetus
Bereits kurz nach dem Auftreten der ersten Covid-19-Fälle vor zwei Jahren berichteten Kliniker von einem erstaunlichen Leitsymptom der Krankheit: Viele der mit SARS-CoV-2 infizierten Patienten verloren ihren Geschmacks- und Geruchssinn. Da lag es nahe zu spekulieren, dass das Coronavirus die Zellen infiziert, die diese Eigenschaften vermitteln. Jetzt deutet sich an, dass das nicht der Fall ist – es ist deutlich komplizierter.
Im Fachjournal »Cell« berichtet eine Gruppe um Dr. Marianna Zazhytska von der Columbia University in New York über die Ergebnisse ihrer Untersuchungen zum Ursprung der Anosmie bei Covid-19, die sie an isoliertem Riechepithel aus der Nasenhöhle von mit SARS-CoV-2 infizierten Hamstern und Menschen vorgenommen hatte. Demnach setzte bei den Hamstern als Folge der Infektion eine heftige Immunreaktion ein, die zur lokalen Entzündung führte und Geruchsrezeptoren sowie Proteine auf der Oberfläche der Nervenzellen in der Nase zerstörte, die Informationen über Gerüche erkennen und weiterleiten. Etwa zehn Tage nach der Infektion wurde diese massive Störung wieder korrigiert.
Bevorzugt mit SARS-CoV-2 infiziert wurden sustentakuläre Zellen, die auch als Stützzellen bezeichnet werden. Sie sind im Riechepithel an der Phagozytose abgestorbener Neuronen, der Geruchstransformation und dem xenobiotischen Stoffwechsel beteiligt. Nicht nachweisen ließen sich dagegen eine Infektion oder ein Verlust von Geruchssinnesneuronen. Offensichtlich reichte eine Infektion benachbarter Zellen aus, um die Funktion der nahe gelegenen Neuronen zu verändern. Die Effekte entfalteten sich über eine signifikante Herunterregulierung von Geruchsrezeptor-Genen und anderen Schlüsselgenen des Geruchsrezeptor-Signalwegs. Dies bestätigte sich anhand der Analyse der Riechepithelien von 23 Covid-19 Patienten.
In diesen konnten die Forscher zudem nachweisen, dass die Architektur des Zellkerns, also die Anordnung der Chromosomen zueinander, infolge der SARS-CoV-2-Infektion an einigen Stellen massiv gestört war. Bemerkenswert ist dabei, dass die Neuronen selbst gar nicht mit dem Coronavirus infiziert waren. Die strukturellen Störungen der Kernarchitektur passierten somit nicht zellautonom. Unterstützt wird diese überraschende Beobachtung dadurch, dass sich die massiven strukturellen Effekte auch durch ein neutralisiertes Serum von SARS-CoV-2-infizierten Hamstern induzieren ließen.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.