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Barmer-Arzneimittelreport

Polymedikation muss digital gemanagt werden

Die Arzneimittelversorgung in Deutschland wird immer komplexer. Der durchschnittliche Barmer-Versicherte über 40 Jahre erhält innerhalb von zehn Jahren 20 Arzneistoffe, wie die Autoren des Barmer-Arzneimittelreports 2022 heute in Berlin mitteilten. Drei digitale Projekte sollen zukünftig Arzneimittelrisiken zu minimieren.
PZ
05.10.2022  18:00 Uhr

Dass die Arzneimittelversorgung in Deutschland immer komplexer wird und digitale Unterstützung zukünftig unabdingbar ist, verdeutlicht der aktuelle Arzneimittelreport der Barmer. Die Autoren analysierten dabei die Arzneimitteltherapie von Barmer-Versicherten älter als 40 Jahre über eine ganze Dekade. Demnach erhielt ein durchschnittlicher Versicherter innerhalb von zehn Jahren 37 Diagnosen, ermittelt in 21 Praxen.

Im Schnitt verordneten die Ärztinnen und Ärzte 20 verschiedene Wirkstoffe auf insgesamt 76 Rezepten. »Um bei dieser komplexen Medikation den Überblick zu behalten und Risiken ausreichend abschätzen zu können, ist eine elektronische Unterstützung unabdingbar«, betonte Professor Dr. Christoph Straub, Vorstandsvorsitzender der Barmer.

Etwa 10 Prozent der Versicherten bekamen sogar deutlich mehr Diagnosen und Medikamente als der Durchschnitt: Sie erhielten innerhalb einer Dekade 60 dokumentierte Diagnosen von 35 verschiedenen Ärztinnen und Ärzten – und durchschnittlich 38 Wirkstoffe, verordnet auf 170 Rezepten. Angesichts dieser Zahlen sei es absolut unrealistisch, alle Daten händisch in eine elektronische Patientenakte zu überführen, so Straub.

Eine der Lösungen der Barmer nennt sich »Anwendung für ein digital unterstütztes Arzneimitteltherapie-Management« (AdAM). Im gleichnamigen Projekt erprobte die Barmer diese neue Versorgungsform zusammen mit der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) von Juli 2017 bis Juni 2021 in Zusammenarbeit mit knapp 1000 Hausärzten und mehr als 11.000 Patienten mit Polymedikation. Die Evaluationsergebnisse stellte die Krankenkasse am heutigen Mittwoch im Rahmen einer Pressekonferenz vor.

Sterblichkeit um bis zu 20 Prozent reduziert

Demnach ergab sich ein eindeutiger Nutzen für die Patientensicherheit: AdAM konnte die Sterblichkeit der in das Projekt eingeschlossenen Patienten im Vergleich zur Routineversorgung um 10 bis 20 Prozent senken. »Bei flächendeckender Anwendung durch die niedergelassenen Ärzte kann AdAM jährlich 65.000 bis 70.000 Todesfälle bundesweit vermeiden«, glaubt Straub.

»Wir brauchen Digitalisierungskonzepte, die den Patientennutzen und die Effizienz im Gesundheitswesen steigern – und dabei alle Beteiligten einbindet«, betonte auch Professor Dr. Daniel Grandt, Autor des Arzneimittelreports und Chefarzt der Klinik für Innere Medizin I im Klinikum Saarbrücken, bei der Pressekonferenz.

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