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Schwierige Evidenzlage

Phytotherapie bei Stoffwechselstörungen

Zimt gegen Diabetes, Flohsamen gegen Hyperlipidämie oder Herbstzeitlose gegen Gicht: Welche Bedeutung haben Arzneipflanzen bei Stoffwechselstörungen? Klinische Studien dazu gibt es zahlreich, doch nicht immer stimmt die Qualität. Was sich aus den verfügbaren Daten für die pharmazeutische Praxis ableiten lässt.
AutorKontaktRobert Fürst
AutorKontaktIlse Zündorf
Datum 21.08.2022  08:00 Uhr

Bittermelone bei Diabetes?

Auch der Bittermelone werden blutzuckersenkende Eigenschaften zugeschrieben. Die Früchte der Pflanze Momordica charantia L. aus der Familie der Cucurbitaceae enthalten unter anderem Triterpen-Bitterstoffe, aber auch Saponine und Polysaccharide. Eine im Jahr 2019 publizierte Metaanalyse (17) von zehn RCT mit 1045 Menschen mit Typ-2-Diabetes kommt zu dem Schluss, dass es schwache Hinweise für eine Senkung des HbA1c-Werts um etwa 0,3 Prozentpunkte und der Nüchternblutglucose um 13 mg/dl gibt. Die Tagesdosis der verwendeten Bittermelonezubereitungen lag im Bereich von 2 bis 6 g, der Behandlungszeitraum zwischen vier Wochen und drei Monaten.

Zur unterstützenden phytotherapeutischen Behandlung des Typ-2-Diabetes werden noch viele weitere pflanzliche Drogen angepriesen. Dazu gehören beispielsweise Bohnenhülsen, grüner Tee, Hintonia-latiflora-Rinde und Ölbaumblätter, für die allerdings keine belastbaren klinischen Daten vorliegen.

Neue Befunde für Herbstzeitlose gegen Gicht

Eine Hyperurikämie, also ein zu hoher Harnsäurespiegel im Blut, kann zu Gicht führen. Colchicin, das Hauptalkaloid der Herbstzeitlosen Colchicum autumnale L. (Colchicaceae), ist für die Behandlung und Prävention des akuten Gichtanfalls ein wichtiger Arzneistoff – vor allem bei Patienten, die nicht steroidale Antirheumatika (NSAR) nicht vertragen oder bei denen diese kontraindiziert sind. Momentan ist neben der Reinsubstanz in Tabletten zu 0,5 mg Colchicin auch ein Phytopharmakon auf dem Markt, das einen Auszug aus frischen Herbstzeitlosenblüten enthält (Droge-Extrakt-Verhältnis 1:15–25, Ethanol 96 Prozent) und auf 0,5 mg/ml Colchicin eingestellt ist. Colchicin beeinflusst das Tubulin-Zytoskelett und führt zur Depolymerisation der Mikrotubuli, was zahlreiche zelluläre Effekte zur Folge hat. Die starken entzündungshemmenden Eigenschaften des Colchicins werden vor allem auf eine verminderte Aktivität von Immunzellen zurückgeführt, wobei eine Inhibition des sogenannten Inflammasoms wohl eine besondere Rolle spielt.

Colchicin weist bekanntermaßen eine geringe therapeutische Breite auf und ist in seiner Anwendung daher nicht unproblematisch. Im Jahr 2016 wurde in der S2e-Leitlinie »Gichtarthritis« (21) die Gesamtdosis Colchicin, die pro Gichtanfall gegeben werden darf, von 12 auf 6 mg reduziert. Neu erhobene klinische Daten hatten gezeigt, dass bei gleicher Wirksamkeit eine größere Therapiesicherheit gegeben ist. Im Rahmen eines Stufenplanverfahrens wurden außerdem die Packungsgrößen auf 30 ml (Auszug mit 0,5 mg/ml Colchicin) oder 30 Tabletten (zu je 0,5 mg Colchicin) begrenzt. Hintergrund war ein Todesfall, der infolge der Einnahme von 50 ml einer 100-ml-Packung aufgetreten war. Die jetzt verfügbaren Packungsgrößen reichen also zur Therapie von zwei Gichtanfällen aus. Beim Phytopharmakon wurde außerdem die Kennzeichnung »pflanzliches Arzneimittel« entfernt.

Bei einem akuten Gichtanfall soll die Colchicin-Behandlung innerhalb von zwölf Stunden nach dem Auftreten von Beschwerden begonnen werden. Die Initialdosis beträgt 1 mg gefolgt von 0,5 mg nach zwei Stunden. Besteht dann immer noch keine Schmerzfreiheit, dürfen nach weiteren zwei Stunden erneut 0,5 mg Colchicin eingenommen werden. Innerhalb von 24 Stunden beträgt die Maximaldosis 2 mg. Am zweiten und dritten Tag dürfen bis zum Abklingen der Schmerzen jeweils zwei- bis dreimal, gleichmäßig über den Tag verteilt, 0,5 mg Colchicin eingenommen werden. Am vierten Tag können maximal noch zweimal 0,5 mg zugeführt werden, dann ist die Gesamtdosis von 6 mg pro Gichtanfall erreicht. Nach dieser Therapie gilt für mindestens drei Tage eine Colchicin-Karenz.

Sollten während der Behandlung Magen-Darm-Beschwerden wie Übelkeit, Erbrechen oder Durchfall auftreten, muss die Therapie sofort abgebrochen werden, da diese Beschwerden ein frühes Intoxikationszeichen sein können. Bei Blutbildveränderungen, beispielsweise Anämien, Lebererkrankungen und schweren Nierenfunktionsstörungen (GFR < 30 ml/min) ist Colchicin kontraindiziert, außerdem darf es nicht zusammen mit P-Glykoprotein- und CYP3A4-Hemmern eingenommen werden.

Bei Frauen mit Kinderwunsch sowie in der Schwangerschaft und Stillzeit sollte vorsichtig abgewogen werden, ob die Colchicin-Einnahme gerechtfertigt ist. Aufgrund der potenziell mutagenen und genotoxischen Eigenschaften des Alkaloids ist eine sichere Verhütung für mindestens drei Monate nach Behandlungsende empfehlenswert. Analoge Vorsichtsmaßnahmen gelten auch bei Männern mit Kinderwunsch. Sie sollten innerhalb von sechs Monaten nach der Beendigung einer Colchicin-Therapie kein Kind zeugen. Auf embryotox.de, der Webseite des Pharmakovigilanz- und Beratungszentrums für Embryonaltoxikologie, findet sich allerdings der Hinweis, dass aus der Pharmakotherapie des familiären Mittelmeerfiebers – einer zweiten Indikation von Colchicin – ein großer Erfahrungsumfang mit Schwangeren besteht. Demnach ist kein Anstieg chromosomaler Anomalien nach einer Colchicin-Therapie zu beobachten, unabhängig davon, ob der Mann oder die Frau behandelt wurde.

Das Herbstzeitlosen-Alkaloid reüssiert momentan auch bei ganz anderen Erkrankungen: Im Jahr 2020 wurde im renommierten »New England Journal of Medicine« eine klinische Studie publiziert, bei der an 5522 Patienten mit chronischem Koronarsyndrom nachgewiesen wurde, dass die Einnahme von 0,5 mg Colchicin pro Tag – zusätzlich zur leitliniengerechten Medikation – das Risiko für das Auftreten eines ischämischen kardiovaskulären Ereignisses um etwa 30 Prozent verringerte (22). Es ist also nicht ausgeschlossen, dass es zukünftig zu einer Indikationserweiterung für Colchicin kommt.

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