Phytotherapie bei Stoffwechselstörungen |
Für Knoblauchpulver gibt es eine zu heterogene Datenlage und daher nur den Status »traditional use« als Adjuvanz zur Vorbeugung von Atherosklerose. / Foto: Getty Images/Westend61
Die pharmazeutische Versorgung und Beratung sollten stets auf der gegenwärtig besten externen, wissenschaftlichen Evidenz beruhen (1). Diese Devise der evidenzbasierten Pharmazie gilt natürlich uneingeschränkt auch für die rationale Phytotherapie. Doch weisen klinische Studien – als Basis wissenschaftlicher Evidenz – zu pflanzlichen Drogen und Extrakten bei Stoffwechselstörungen häufig Qualitätsmängel auf: Zu wenige Probanden, zu kurze Studiendauer und vor allem die Verwendung verschiedener, teilweise schlecht oder gar nicht charakterisierter Zubereitungen aus pflanzlichen Drogen, noch dazu in unterschiedlichen Dosierungen, schwächen die Aussagekraft zum Teil stark.
Der Ausschuss für pflanzliche Arzneimittel (HMPC) der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) sichtet und bewertet wissenschaftliche Daten zu Drogen oder Drogenextrakten und ordnet sie der Kategorie »well-established use« oder »traditional use« zu (Kasten).
Das Committee on Herbal Medicinal Products (HMPC) der European Medicines Agency (EMA) erstellt Monographien zu pflanzlichen Drogen und deren Zubereitungen und teilt sie in die Kategorien »well-established use« (WEU) und »traditional use« (TU) ein.
Die Monographien werden neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen regelmäßig angepasst, sodass sich eine Zuordnung auch ändern kann.
Neben qualitativ guten randomisierten, kontrollierten Studien (RCT) ist auch die Größe des Therapieeffekts ein wichtiges Kriterium, um den Nutzen gerade im Bereich der Phytotherapie von Stoffwechselstörungen zu beurteilen. Schließlich stehen etwa bei Hyperlipidämie als wesentlicher Risikofaktor für Atherosklerose oder Typ-II-Diabetes etablierte Arzneistoffe zur Verfügung, die die Morbidität und Mortalität nachweislich verringern können. Arzneipflanzen und ihre Zubereitungen können die leitliniengerechte Pharmakotherapie nicht ersetzen, aber – bei entsprechender Evidenz – unterstützend wirken. Ein Paradebeispiel dafür sind Flohsamenschalen.
Die Droge indische Flohsamenschalen, gewonnen aus Plantago ovata Forssk. (Plantaginaceae), enthält zu etwa 85 Prozent wasserlösliche Schleim- und Ballaststoffe, die überwiegend aus stark verzweigten Arabinoxylanen bestehen. In Tagesdosen von 7 bis 20 g, aufgeteilt in bis zu drei Einzeldosen (2), binden sie im Darm Gallensäuren und verhindern deren Wiederaufnahme im Rahmen des enterohepatischen Kreislaufs. Dem entstehenden Mangel an Gallensäuren wirkt die Leber durch Neusynthese entgegen, wofür sie Cholesterol aus der Peripherie benutzt. Auf diese Weise wird der Cholesterolspiegel im Blut leicht gesenkt.
Flohsamenschalen / Foto: Adobe Stock/dima_pics
Laut Assessment Report der EMA (3) ergibt sich aus zahlreichen RCT, dass die Gesamtcholesterol-Konzentration im Blut durch die Anwendung von indischen Flohsamenschalen durchschnittlich um 4 bis 5 Prozent und das LDL-Cholesterol sogar um etwa 7 Prozent sinkt, wohingegen HDL nicht beeinflusst wird. Die Studienlage ist so eindeutig, dass der HMPC den Status »well-established use« vergibt. Der Ausschuss weist aber explizit darauf hin, dass es sich nur um schwache Effekte handelt. Zum Vergleich: Mit einer moderaten Statintherapie lässt sich die LDL-Konzentration um etwa 30 Prozent senken, mit einer intensiven Therapie um 50 Prozent und in Kombination mit PCSK9-Inhibitoren und Ezetimib sogar um gut 85 Prozent. In der HMPC-Monographie heißt es daher bewusst vorsichtig, indiziert »bei Patienten, bei denen eine erhöhte Ballaststoffzufuhr ratsam sein kann, beispielsweise adjuvant zur Diät bei Hypercholesterinämie«.
Der insgesamt schwache Effekt kann gerade bei Personen mit grenzwertig erhöhten Lipidspiegeln wertvoll sein, vor allem wenn es darum geht, ärztlich begleitet die Ernährungs- und Lebensweise als Basismaßnahme umzustellen. Laut einer Metaanalyse aus dem Jahr 2009 (4) baut sich der cholesterolsenkende Effekt erst im Verlauf vieler Wochen auf. Eine Kurzzeittherapie über wenige Wochen ist also nicht sinnvoll. Zudem sind Tagesdosen von 20 g empfehlenswert.
Ein wichtiger Hinweis bei der Abgabe in der Apotheke: Flohsamenschalen sind unbedingt mit ausreichend Flüssigkeit einzunehmen. Die Monographie gibt als Richtwert 30 ml Wasser pro Gramm Droge an. Die Einnahme soll nicht im Zeitraum von 30 bis 60 Minuten vor und nach der Einnahme weiterer Arzneimittel erfolgen, da Resorptionsveränderungen des Arzneistoffs möglich sind, wobei Schilddrüsenhormone, orale Antidiabetika oder Phenprocoumon besonders kritisch sind. Eine Umstellung auf eine erhöhte Ballaststoffzufuhr kann anfangs mit Blähungen einhergehen, die jedoch mit längerer Einnahmedauer verschwinden.
Knoblauch, Allium sativum L. (Amaryllidaceae), gilt als Klassiker zur phytotherapeutischen Prävention von Atherosklerose. Die Droge Knoblauchpulver enthält charakteristisch riechende Organoschwefel-Verbindungen; das Europäische Arzneibuch (EuAB) fordert einen Mindestgehalt von 0,45 Prozent Allicin. Als Wirkmechanismus wird angenommen, dass diese Verbindungen die Cholesterolbiosynthese in der Leber hemmen.
Eine Metaanalyse aus dem Jahr 2013 (5), in die 39 RCT mit insgesamt 2298 Personen eingeflossen sind, zeigt auf, was von Knoblauchpräparationen bestenfalls zu erwarten ist: Bei Personen mit einem Ausgangs-Cholesterolwert von mehr als 200 mg/dl und einer Therapiedauer von mindestens acht Wochen nahm die Konzentration an Gesamtcholesterol durchschnittlich um 15 mg/dl ab, LDL sank um gerade einmal 6,4 mg/dl und HDL stieg um unbedeutende 1,5 mg/dl an. Das größte Manko der Metaanalyse war die enorme Bandbreite an unterschiedlichen Knoblauchzubereitungen, die in den RCT verwendet wurden. Knoblauchpulver, gealterter Knoblauchextrakt (aged garlic extract, AGE), Knoblauchöl und frischer Knoblauch unterscheiden sich sehr stark in der Zusammensetzung an Organoschwefel-Verbindungen (6). Roher Knoblauch hatte die größte Effektstärke und senkte das Gesamtcholesterol um 33 mg/dl, wobei die Daten kritisch zu betrachten sind, da sie auf nur zwei RCT beruhen. Knoblauchpulver und AGE lagen bei den oben angegebenen Durchschnittswerten, Knoblauchöl zeigte tendenzielle Effekte, die aber nicht signifikant waren.
Die Abgabe von Phytopharmaka ist beratungsintensiv. So gibt es etwa bei Knoblauchpräparaten wichtige Wechselwirkungen zu beachten. / Foto: Getty Images/Tom Werner
Die EMA weist in ihrem Assessment Report (7) darauf hin, dass es zwar viele RCT gibt, die Ergebnisse aber aufgrund der großen qualitativen und quantitativen Unterschiede der Zubereitungen zu inkonsistent sind, um eine evidenzbasierte Wirksamkeit im Sinne des »well-established use« bescheinigen zu können. Somit konnte nur der Status »traditional use« mit der Indikation »Adjuvans für die Vorbeugung von Atherosklerose« vergeben werden (8). Erfasst sind von der HMPC-Monographie nur die Zubereitungen Knoblauchpulver und Knoblauchöl (Droge-Extrakt-Verhältnis 2–3:1, Rapsöl), wobei eine Tagesdosis von 900 bis 1380 mg Pulver in drei bis fünf Einzeldosen beziehungsweise 440 bis 880 mg Flüssigextrakt in vier Einzeldosen angegeben ist.
Als Vorsichtsmaßnahme sind Knoblauchpräparate sieben Tage vor einer Operation aufgrund eines möglicherweise erhöhten Blutungsrisikos abzusetzen. Aus diesem Grund sollte pharmazeutisches Personal auch vor einer Kombination mit Antikoagulanzien oder Thrombozytenaggregationshemmern warnen. Die Kombination insbesondere hoch dosierter Knoblauchpräparate mit Saquinavir oder Ritonavir kann aufgrund der Induktion von CYP-Enzymen die Wirkspiegel der HIV-Proteaseinhibitoren reduzieren.
Vielen weiteren Drogen oder deren Zubereitungen wird ein Einfluss auf erhöhte Blutfettwerte zugesprochen. Für grünen Tee, Sojalecithin, Perillaöl, Ölbaumblätter und die Zwiebel existiert allerdings keine ausreichende klinische Evidenz.
Zur Droge Artischockenblätter, die von der Stammpflanze Cynara cardunculus L. (Asteraceae) stammt, gibt es zwar nur eine Traditional-use-Monographie(9) für die Indikation »symptomatische Linderung von Verdauungsbeschwerden wie Dyspepsie mit Völlegefühl, Blähungen und Flatulenz«, allerdings existieren kleinere Studien, die einen gewissen Effekt wässriger Artischockenblätter-Trockenextrakte auf erhöhte Blutfettwerte nahelegen. Es kam zu einer Verringerung des Gesamtcholesterols von bis zu 10 Prozent (10, 11). Hierfür könnte der choleretische Effekt der Droge durch die enthaltenen Caffeoylchinasäuren und Flavonoide verantwortlich sein.
Auch für Curcumin, das im Curcumawurzelstock (Curcuma longa L., Zingiberaceae) und in der Javanischen Gelbwurz (Curcuma zanthorrhiza Roxb., Zingiberaceae) enthalten ist, wird ein choleretischer Effekt angenommen. In einer Metaanalyse aus dem Jahr 2019 (12) ergaben sich aber keine Hinweise darauf, dass Curcumin die Blutkonzentrationen an Gesamt-, LDL- oder HDL-Cholesterol verändert. Allerdings wurde ein Effekt auf die Triglycerid-Spiegel beobachtet: Diese sanken durchschnittlich um 21 mg/dl – die Spannbreite der verwendeten Curcumin-Tagesdosen war allerdings enorm und lag zwischen 45 mg und 4 g. Curcumin als isolierter Reinstoff gehört definitionsgemäß nicht zur Phytotherapie, außerdem stehen keine Arzneimittel mit Curcumin als Wirkstoff zur Verfügung. Beide Drogen haben vom HMPC lediglich den Traditional-use-Status zur symptomatischen Behandlung von Verdauungsstörungen wie Völlegefühl, langsame Verdauung und Blähungen erhalten.
Curcumin wurde in einer Metaanalyse aus dem Jahr 2021 außerdem hinsichtlich seiner Effekte auf den HbA1c-Wert untersucht. (13) Daten aus sieben RCT ergaben eine signifikante Verringerung um durchschnittlich 0,4 Prozentpunkte. Aber auch hier lagen extrem heterogene Parameter zugrunde, die an der Aussagekraft der Studie zweifeln lassen. Die Tagesdosis an Curcumin lag im Bereich von 80 mg bis 2,1 g, die Interventionszeit betrug acht Wochen bis drei Monate.
Dass Zimt den Blutzucker senken soll, ist durch Berichte in der Boulevardpresse sicher vielen bekannt. Die arzneilich verwendete Zimtrinde stammt von Cinnamomum verum J. Presl, dem echten Zimt, aus der Familie der Lauraceae. Das EuAB fordert einen Mindestgehalt von 12 ml ätherischem Öl pro Kilogramm Droge. Hauptbestandteil des Öls ist das Phenylpropanoid trans-Zimtaldehyd. Als Gewürz und für die meisten klinischen Studien wird vor allem die Cassia-Zimtrinde verwendet, die von Cinnamomum cassia (L.) J. Presl stammt. Neben Geruch und Geschmack unterscheiden sich die beiden Drogen vor allem im Gehalt an Cumarin: Der echte Zimt weist nur Spuren dieser Substanz auf, die Cassia-Zimtrinde hat deutlich nachweisbare Mengen.
Ein Cochrane-Review aus dem Jahr 2012 (14), in das zwölf RCT mit 577 Typ-2-Diabetes-Patienten eingeflossen sind, ergab, dass Zimt keinen signifikanten Einfluss auf den HbA1c-Wert und die Nüchternblutglucose hat. In den Studien wurden sowohl echter als auch Cassia-Zimt verwendet, die Tagesdosis lag zwischen 0,5 und 6 g, der Behandlungszeitraum zwischen vier und 16 Wochen – wieder einmal wurden Äpfel mit Birnen verglichen.
Unten der echte Zimt, oben der Cassia-Zimt / Foto: Getty Images/svehlik
Betrachtet man einzelne RCT, wie beispielswiese von Zare et al. aus dem Jahr 2019 (15), kann man durchaus positive Effekte beobachten: Bei 140 Typ-2-Diabetikern mit einem Body-Mass-Index (BMI) größer 27 kg/m2 sank der Nüchternblutglucose-Wert in der Verumgruppe, die zweimal täglich 500 mg echten Zimt über drei Monate erhielt, gegenüber der Placebogruppe um 19 mg/dl. Der HbA1c-Wert verbesserte sich um etwa 0,4 Prozentpunkte. Auch der BMI und die Insulinresistenz verbesserten sich signifikant. An »Zimt gegen Zucker« könnte also durchaus etwas dran sein.
Postulierte Wirkmechanismen basieren vor allem auf In-vitro-Untersuchungen: Zimtinhaltsstoffe könnten durch eine Inhibition der intestinalen α-Glucosidase, durch eine verstärkte Expression von GLUT4 und durch eine Aktivierung des Insulinrezeptors zur Senkung einer erhöhten Blutglucose-Konzentration beitragen.
Als Arzneimittel steht Zimtrinde für diese Indikation aber nicht zur Verfügung, der HMPC hat lediglich den »traditional use« zur »symptomatischen Behandlung von leichten, krampfartigen Magen-Darm-Beschwerden einschließlich Blähungen und Völlegefühl« vergeben (16). Der Ruf nach gut charakterisierten und standardisierten Zubereitungen und größeren, hochwertigen RCT ist bei Zimt also besonders berechtigt.
Die Bittermelone gehört zur Familie der Kürbisgewächse. / Foto: Getty Images/Eriko Koga
Auch der Bittermelone werden blutzuckersenkende Eigenschaften zugeschrieben. Die Früchte der Pflanze Momordica charantia L. aus der Familie der Cucurbitaceae enthalten unter anderem Triterpen-Bitterstoffe, aber auch Saponine und Polysaccharide. Eine im Jahr 2019 publizierte Metaanalyse (17) von zehn RCT mit 1045 Menschen mit Typ-2-Diabetes kommt zu dem Schluss, dass es schwache Hinweise für eine Senkung des HbA1c-Werts um etwa 0,3 Prozentpunkte und der Nüchternblutglucose um 13 mg/dl gibt. Die Tagesdosis der verwendeten Bittermelonezubereitungen lag im Bereich von 2 bis 6 g, der Behandlungszeitraum zwischen vier Wochen und drei Monaten.
Zur unterstützenden phytotherapeutischen Behandlung des Typ-2-Diabetes werden noch viele weitere pflanzliche Drogen angepriesen. Dazu gehören beispielsweise Bohnenhülsen, grüner Tee, Hintonia-latiflora-Rinde und Ölbaumblätter, für die allerdings keine belastbaren klinischen Daten vorliegen.
Die Datenlage zur Phytotherapie der Adipositas ist unzureichend. In einzelnen, kleineren klinischen Studien wurden beispielsweise grüner Tee, Curcumin, Bohnenhülsen, ein Salbeiblätterextrakt, Chiasamen, Sojaprodukte (Sojaprotein mit Isoflavonen) und auch das isolierte Alkaloid Yohimbin untersucht. Bestenfalls wurden marginale Effekte auf das Körpergewicht und den BMI berichtet, mit einer relevanten Senkung des Körpergewichts allein aufgrund der Einnahme dieser Drogen beziehungsweise Stoffe ist also nicht zu rechnen.
Die Schilddrüse ist ein zentraler Regulator unserer Stoffwechselprozesse. Gegen die Symptome einer Hyperthyreose wurden früher Phytopharmaka aus Wolfstrappkraut (von Lycopus europaeus L., Lamiaceae) eingesetzt. Eine HMPC-Monographie zu dieser Droge gibt es nicht, die klinische Datenlage ist eher schlecht und die entsprechenden Präparate sind nicht mehr im Handel.
Eine Hyperurikämie, also ein zu hoher Harnsäurespiegel im Blut, kann zu Gicht führen. Colchicin, das Hauptalkaloid der Herbstzeitlosen Colchicum autumnale L. (Colchicaceae), ist für die Behandlung und Prävention des akuten Gichtanfalls ein wichtiger Arzneistoff – vor allem bei Patienten, die nicht steroidale Antirheumatika (NSAR) nicht vertragen oder bei denen diese kontraindiziert sind. Momentan ist neben der Reinsubstanz in Tabletten zu 0,5 mg Colchicin auch ein Phytopharmakon auf dem Markt, das einen Auszug aus frischen Herbstzeitlosenblüten enthält (Droge-Extrakt-Verhältnis 1:15–25, Ethanol 96 Prozent) und auf 0,5 mg/ml Colchicin eingestellt ist. Colchicin beeinflusst das Tubulin-Zytoskelett und führt zur Depolymerisation der Mikrotubuli, was zahlreiche zelluläre Effekte zur Folge hat. Die starken entzündungshemmenden Eigenschaften des Colchicins werden vor allem auf eine verminderte Aktivität von Immunzellen zurückgeführt, wobei eine Inhibition des sogenannten Inflammasoms wohl eine besondere Rolle spielt.
Bereits recht früh nach dem Beginn der SARS-CoV-2-Pandemie wurde in RCT damit begonnen, hospitalisierten Patienten 1 mg Colchicin täglich zu verabreichen, um eine überschießende Entzündungsreaktion zu verringern oder zu verhindern. Eine im Juni 2020 publizierte kleine Studie an 105 Personen zeigte tatsächlich auch einen gewissen Erfolg (18). Im Dezember 2021 erschien eine Studie an 1279 Personen, in der keine Effekte auf die Notwendigkeit einer Beatmung und die Mortalitätsrate festgestellt werden konnten (19). Zum gleichen negativen Ergebnis kam auch eine groß angelegte Studie an 11.340 Patienten, die im Journal »Lancet Respiratory Medicine« ebenfalls im Dezember 2021 publiziert wurde (20). Im Juli 2022 sprach sich die Weltgesundheitsorganisation WHO gegen einen Einsatz von Colchicin bei SARS-CoV-2-Infizierten aus.
Colchicin weist bekanntermaßen eine geringe therapeutische Breite auf und ist in seiner Anwendung daher nicht unproblematisch. Im Jahr 2016 wurde in der S2e-Leitlinie »Gichtarthritis« (21) die Gesamtdosis Colchicin, die pro Gichtanfall gegeben werden darf, von 12 auf 6 mg reduziert. Neu erhobene klinische Daten hatten gezeigt, dass bei gleicher Wirksamkeit eine größere Therapiesicherheit gegeben ist. Im Rahmen eines Stufenplanverfahrens wurden außerdem die Packungsgrößen auf 30 ml (Auszug mit 0,5 mg/ml Colchicin) oder 30 Tabletten (zu je 0,5 mg Colchicin) begrenzt. Hintergrund war ein Todesfall, der infolge der Einnahme von 50 ml einer 100-ml-Packung aufgetreten war. Die jetzt verfügbaren Packungsgrößen reichen also zur Therapie von zwei Gichtanfällen aus. Beim Phytopharmakon wurde außerdem die Kennzeichnung »pflanzliches Arzneimittel« entfernt.
Bei einem akuten Gichtanfall soll die Colchicin-Behandlung innerhalb von zwölf Stunden nach dem Auftreten von Beschwerden begonnen werden. Die Initialdosis beträgt 1 mg gefolgt von 0,5 mg nach zwei Stunden. Besteht dann immer noch keine Schmerzfreiheit, dürfen nach weiteren zwei Stunden erneut 0,5 mg Colchicin eingenommen werden. Innerhalb von 24 Stunden beträgt die Maximaldosis 2 mg. Am zweiten und dritten Tag dürfen bis zum Abklingen der Schmerzen jeweils zwei- bis dreimal, gleichmäßig über den Tag verteilt, 0,5 mg Colchicin eingenommen werden. Am vierten Tag können maximal noch zweimal 0,5 mg zugeführt werden, dann ist die Gesamtdosis von 6 mg pro Gichtanfall erreicht. Nach dieser Therapie gilt für mindestens drei Tage eine Colchicin-Karenz.
Sollten während der Behandlung Magen-Darm-Beschwerden wie Übelkeit, Erbrechen oder Durchfall auftreten, muss die Therapie sofort abgebrochen werden, da diese Beschwerden ein frühes Intoxikationszeichen sein können. Bei Blutbildveränderungen, beispielsweise Anämien, Lebererkrankungen und schweren Nierenfunktionsstörungen (GFR < 30 ml/min) ist Colchicin kontraindiziert, außerdem darf es nicht zusammen mit P-Glykoprotein- und CYP3A4-Hemmern eingenommen werden.
Bei Frauen mit Kinderwunsch sowie in der Schwangerschaft und Stillzeit sollte vorsichtig abgewogen werden, ob die Colchicin-Einnahme gerechtfertigt ist. Aufgrund der potenziell mutagenen und genotoxischen Eigenschaften des Alkaloids ist eine sichere Verhütung für mindestens drei Monate nach Behandlungsende empfehlenswert. Analoge Vorsichtsmaßnahmen gelten auch bei Männern mit Kinderwunsch. Sie sollten innerhalb von sechs Monaten nach der Beendigung einer Colchicin-Therapie kein Kind zeugen. Auf embryotox.de, der Webseite des Pharmakovigilanz- und Beratungszentrums für Embryonaltoxikologie, findet sich allerdings der Hinweis, dass aus der Pharmakotherapie des familiären Mittelmeerfiebers – einer zweiten Indikation von Colchicin – ein großer Erfahrungsumfang mit Schwangeren besteht. Demnach ist kein Anstieg chromosomaler Anomalien nach einer Colchicin-Therapie zu beobachten, unabhängig davon, ob der Mann oder die Frau behandelt wurde.
Das Herbstzeitlosen-Alkaloid reüssiert momentan auch bei ganz anderen Erkrankungen: Im Jahr 2020 wurde im renommierten »New England Journal of Medicine« eine klinische Studie publiziert, bei der an 5522 Patienten mit chronischem Koronarsyndrom nachgewiesen wurde, dass die Einnahme von 0,5 mg Colchicin pro Tag – zusätzlich zur leitliniengerechten Medikation – das Risiko für das Auftreten eines ischämischen kardiovaskulären Ereignisses um etwa 30 Prozent verringerte (22). Es ist also nicht ausgeschlossen, dass es zukünftig zu einer Indikationserweiterung für Colchicin kommt.
Nur die Droge Flohsamenschalen hat den Status »well-established use« und damit eine akzeptable Evidenzbasis im Rahmen der unterstützenden Phytotherapie von Stoffwechselstörungen – sie kann bei einer Diät helfen, die Blutfettwerte leicht zu reduzieren. Für Knoblauchpulver gibt es eine zu heterogene Datenlage und daher nur den Status »traditional use« als Adjuvanz zur Vorbeugung von Atherosklerose. Für die Drogen Artischockenblätter und Curcumawurzelstock ist die Evidenzbasis zu gering, um eine Aussage zur Senkung der Blutfettwerte zu treffen. Für die Reinsubstanz Curcumin ergab sich lediglich ein leichter Effekt auf den Triglycerid-Spiegel; hier steht kein Arzneimittel zur Verfügung.
Zimtrinde unterstützend bei Typ-2-Diabetes einzusetzen, ist keine ganz abwegige Idee, denn die Droge zeigt interessante klinische Effekte – es gilt aber das oft gehörte Mantra: Größere und bessere Studien sind nötig, um hier voranzukommen und ein Arzneimittel zu entwickeln. Bittermelone fügt sich hier nahtlos ein, auch wenn die Menge an klinischen Daten geringer ist. Zur Behandlung von Adipositas oder Schilddrüsenstörungen (Hyperthyreose) durch phytotherapeutische Ansätze gibt es keine belastbaren Evidenzen.
Ganz anders sieht es bei der Indikation Gicht aus: Colchicin – als Reinstoff oder in Form eines eingestellten Extrakts – ist bei Unverträglichkeit oder Kontraindikation von NSAR ein bewährter Arzneistoff, für den allerdings seit einigen Jahren aufgrund der geringen therapeutischen Breite ein modifiziertes Dosierungsschema gilt.
Professor Dr. Robert Fürst studierte Pharmazie und erhielt 2001 die Approbation als Apotheker. Anschließend folgten Promotion und Habilitation (2011) im Fach Pharmazeutische Biologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Seit Ende 2012 hat Professor Fürst die W3-Professur für Pharmazeutische Biologie im Institut für Pharmazeutische Biologie der Goethe-Universität Frankfurt am Main inne. Seit 2016 ist er Geschäftsführender Direktor des Instituts für Pharmazeutische Biologie, seit 2017 Prodekan des Fachbereichs Biochemie, Chemie und Pharmazie. Sein Forschungsschwerpunkt sind die molekularen Wirkmechanismen von Naturstoffen.
Dr. Ilse Zündorf studierte Biologie von 1984 bis 1990 an der Universität Erlangen. Nach einem Forschungsaufenthalt an der Universität von Kentucky, Lexington, USA, wurde sie 1995 am Institut für Pharmazeutische Biologie der Universität Frankfurt promoviert. Zunächst als Akademische Rätin, seit 2001 als Akademische Oberrätin, arbeitet sie am Institut für Pharmazeutische Biologie der Goethe-Universität. Ihre Forschungsthemen betreffen Herstellung und Charakterisierung monoklonaler Antikörper, Herstellung und Modifikation rekombinanter Antikörperfragmente sowie die Etablierung von zellulären Testsystemen zur Wirkstoffsuche.