Nikotin-Ersatzpräparate als Schutz vor dem Coronavirus? |
Daniela Hüttemann |
27.04.2020 15:14 Uhr |
Mit dem Rauchen anzufangen, ist immer eine schlechte Idee. Ob Nikotin vor einer Coronavirus-Infektion schützt, ist bislang reine Spekulation. / Foto: Getty Images/Fahroni
Am 21. April veröffentlichten Forscher um Makoto Miyara vom Pariser Krankenhausverbund Assistance Publique Hôpitaux de Pariseine Studie auf einem Preprint-Server, nach der Raucher entgegen der gängigen Annahme ein geringeres Erkrankungsrisiko für Covid-19 haben als Nichtraucher. Sie befragten dazu jeweils 139 ambulante und 343 stationäre Covid-19-Patienten eines französischen Universitätskrankenhauses, ob sie täglich rauchen.
Das Ergebnis: Bei den ambulanten Patienten lag bei 4,4 Prozent, bei den stationär behandelten Patienten bei 5,3 Prozent. Der Anteil liegt deutlich unter dem Raucheranteil der Gesamtbevölkerung (25,4 Prozent). Die Forscher lassen sich in ihrem Paper zu der Aussage hinreißen, dass Rauchen einen Schutz vor einer symptomatischen Covid-19-Infektion bieten könnte. Sie vermuten, dass dies nicht mit dem Zigarettenrauch, sondern dem Nikotin zusammenhängen könnte. Nikotin moduliere demnach die Expression des ACE2-Rezeptors, den Coronaviren zum Eintritt in die menschliche Zelle benötigen. Die Forscher schlagen sogar vor, Nikotinpräparate, zum Beispiel transdermal auf einen potenziellen Schutz vor einer Coronavirus-Infektion zu testen.
Die Veröffentlichung der Studienergebnisse schlug zunächst in Frankreich und nun auch bei uns große Wellen. Im Nachbarland erlebten die Apotheken vergangene Woche einen Run auf Nikotin-Ersatzpräparate, dem die französische Arzneimittelbehörde jedoch direkt Einhalt gebot. Sie begrenzte am 23. April den Verkauf dieser Präparate auf Personen, die sie im Rahmen der Raucherentwöhnung tatsächlich benötigen. Apotheken dürfen vorerst nur den Bedarf für einen Monat abgeben und müssen dies in der Patientenakte vermerken, unabhängig davon, ob der Patient ein ärztliches Rezept vorgelegt hat oder nicht. Über das Internet dürfen Nikotin-Ersatzpräparate nicht mehr vertrieben werden.
Die Behörde betont: »Nikotinersatz sollte nicht zur Vorbeugung oder Behandlung einer Coronavirus-Infektion eingenommen werden.« Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ließen die Studienergebnisse der Pariser Forscher keinen Schluss zu, dass Nikotin eine schützende Wirkung gegen die Covid-19 habe. Nikotin-Ersatzpräparate seien bei Nichtrauchern kontraindiziert. Die Präparate hätten Nebenwirkungen, insbesondere bei Nichtrauchern, und könnten süchtig machen. Es sei aber bereits eine klinische Studie geplant, um den Einfluss von Nikotin auf Covid-19 zu untersuchen.
Die Hypothese steht auf wackligen Füßen. Denn die Schlussfolgerungen der Forscher beruhen auf den nicht weiter überprüften Aussagen von 22 Rauchern, die angegeben hatten, dass sie täglich rauchen. Das ist statistisch nicht besonders aussagekräftig. In einer am 22. April im Fachjournal »JAMA« veröffentlichten Studie mit 5.700 hospitalisierten New Yorker Covid-19-Patienten hatten 84,4 Prozent angegeben, noch nie geraucht zu haben. Der Anteil der täglichen Raucher wird nicht angegeben. In den USA lag der Anteil der Raucher in der Bevölkerung bei 10,5 Prozent, in Deutschland bei 18,8 Prozent. Eventuell könnten Raucher auch bei den Covid-19-Fällen unterrepräsentiert sein, weil sie das Symptom Husten bei einer Infektion als Raucherhusten abtun und sich gar nicht erst auf SARS-CoV-2 testen lassen.
Mitte April kam eine Übersichtsarbeit aus China zu dem Schluss, dass Rauchen wahrscheinlich das Risiko für einen schweren Verlauf von Covid-19 sowie die Mortalität erhöht. Ein Grund könnten erhöhte ACE2-Spiegel bei Rauchern und die mit dem Rauchen zusammenhängenden Grunderkrankungen wie COPD und Herz-Kreislauf-Probleme sein. Auch wenn die Datenlage noch nicht eindeutig ist: »Ein Rauchstopp lohnt sich immer«, teilte das Deutsche Krebsforschungszentrum kürzlich im Hinblick auf die Coronavirus-Pandemie mit.
Die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie (DGP) teilte der PZ auf Nachfrage mit: »Aufgrund der schweren Krankheitsverläufe bei Rauchern, sollten jetzt Präventionsmaßnahmen intensiviert werden. Dabei können auch die nicht ausgeschöpften Mittel aus dem Präventionsbudget der Krankenkassen für die Finanzierung der Tabakentwöhnung genutzt werden.«
In der Tat zeigen einzelne Studien, die Covid-19-Fälle beschreiben, eine niedrigere Raucherquote, als auf Basis von Daten der Allgemeinbevölkerung zu erwarten wäre. Allerdings gibt es auch plausible Erklärungen für diese Beobachtung:
- insbesondere, wenn hospitalisierte Patienten beschrieben werden, sind die Daten oft unvollständig, weil die Patienten nur begrenzt auskunftsfähig sind und/oder eine vollständige Anamnese inmitten einer Pandemie-Situation eher geringe Priorität hat
- Patienten könnten wegen ihrer Erkrankung das Rauchen bereits beendet haben
- Patienten könnten wegen ihrer Erkrankung ihr Rauchverhalten nicht wahrheitsgemäß berichten.
In einigen Studien sind auch die Prävalenzen tabakbedingter Erkrankungen wie COPD oft höher, als man auf Basis der berichteten Raucherquoten erwarten würde, was ebenfalls dafür spricht, dass die niedrigen Raucherquoten vielmehr ein statistisches Artefakt sind.
Gerade in der französischen Studie sind zwar die Raucherquoten sehr niedrig, aber die Exraucherquoten eher hoch, was dafür spricht, dass Patienten wegen der Erkrankung oder als Schutzmaßnahme das Rauchen zuvor aufgegeben haben könnten.
Aus unterdurchschnittlich niedrigen Raucherquoten abzuleiten, dass Rauchen bzw. Nikotin protektiv wirkt und vor Covid-19 schützt, ist eine mehr als steile These. Die französische Studie lässt einen solchen Schluss aufgrund ihres querschnittlichen Designs und möglicher Datenmängel nicht zu und die Schlussfolgerung (»Our cross sectional study in both COVID-19 out- and inpatients strongly suggests that daily smokers have a very much lower probability of developing symptomatic or severe SARS-CoV-2 infection as compared to the general population«) ist aus meiner Perspektive völlig überzogen, da es plausible alternative Erklärungen für die Beobachtungen gibt.
Den Autoren bleibt es natürlich unbenommen, eine klinische Studie durchzuführen, um ihre Hypothese wissenschaftlich zu überprüfen. Aber angesichts der zunehmenden Hinweise darauf, dass Rauchen ein Risikofaktor für einen schwereren Covid-19-Verlauf ist und angesichts der sonstigen Erkrankungsrisiken, die mit dem Rauchen zusammenhängen, halte ich die zum jetzigen Zeitpunkt unbegründete Schlussfolgerung einer protektiven Wirkung des Rauchens für sehr gefährlich, wenn sie dazu führt, dass Raucher einen Rauchstopp aufschieben oder gar nicht erst versuchen oder Nichtraucher aus diesem Grund das Rauchen beginnen.
Auch ist es natürlich problematisch, wenn Nichtraucher aus diesem Grund Nikotinersatzprodukte aufkaufen und diese Produkte dann Rauchern nicht mehr zur Verfügung stehen, die diese zur Unterstützung eines Rauchstopps benötigen.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.