Mit der vierten Impfung noch warten – oder nicht? |
Annette Rößler |
22.07.2022 09:00 Uhr |
Ältere und Immungeschwächte sollten sich ein zweites Mal boostern lassen. Ob dies momentan auch für Immunkompetente sinnvoll ist, ist aber umstritten. / Foto: Adobe Stock/Fokussiert
Wer sich durch Impfung bestmöglich vor Covid-19 schützen möchte, sieht sich dieser Tage mit widersprüchlichen Empfehlungen konfrontiert. Die Ständige Impfkommission (STIKO), in Deutschland eigentlich das für diese Fragen zuständige Gremium, rät zurzeit Menschen ab 70 Jahren, Betreuten und Betreuern in Pflegeeinrichtungen sowie Menschen mit Immunschwäche ab fünf Jahren, sich ein zweites Mal boostern zu lassen. Kürzlich sprachen sich die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) und die Seuchenschutzbehörde ECDC gemeinsam für einen zweiten Booster für alle ab 60 Jahren sowie Vorerkrankte aus. Und Bundesgesundheitsminister Professor Karl Lauterbach (SPD) ließ zuletzt verlauten, er würde auch Jüngeren, die den Sommer genießen und kein Risiko eingehen wollten, zu erkranken, die vierte Impfung empfehlen – allerdings nur in Absprache mit dem Hausarzt.
STIKO-Vorsitzender Professor Dr. Thomas Mertens wies Lauterbachs Einlassung in der »Welt am Sonntag« umgehend zurück. Er kenne keine Daten, die einen solchen Ratschlag rechtfertigten, sagte er und fügte hinzu: »Ich halte es für schlecht, medizinische Empfehlungen unter dem Motto ›viel hilft viel‹ auszusprechen.«
Wer hat recht? Diese Frage ist schwierig zu beantworten und die Antwort hängt auch von der Perspektive ab. Die STIKO zielt mit ihrer Empfehlung auf den Schutz des Einzelnen ab: Die vulnerablen Gruppen, also Ältere und Immungeschwächte, lassen sich aus ihrer Sicht bestmöglich schützen, wenn genau diese Personen und die, die sie betreuen, nochmals geimpft werden. EMA und ECDC begründen ihre Empfehlung des zweiten Boosters für jedermann ab 60 Jahren aber anders, nämlich mit den hohen Infektions- und Hospitalisierungsraten in Europa und einer in der Folge drohenden Überlastung des Gesundheitswesens. Sie nehmen also eine epidemiologische Perspektive ein – anders als der Bundesgesundheitsminister, der seine Empfehlung wiederum mit dem möglichen Nutzen für den Einzelnen rechtfertigt.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.