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Hypothese

Melatonin wirksam bei Covid-19?

Auf der Suche nach bereits zugelassenen Wirkstoffen, die auch zur Behandlung von Covid-19 eingesetzt werden könnten, sind Forscher des Lerner-Forschungsinstituts der Cleveland Clinic in Cleveland, Ohio, auf einen Überraschungskandidaten gestoßen. Das Hormon Melatonin, das den zirkadianen Rhythmus und den Schlaf-Wach-Zyklus des Körpers reguliert, könnte sich als eine mögliche Behandlungsoption für Covid-19 erweisen.
Theo Dingermann
16.11.2020  17:00 Uhr

Forscher der Cleveland Clinic in Cleveland, Ohio, haben in dem renommierten Journal »PLOS Biology« eine Studie veröffentlicht, aus der sich ableiten lässt, dass das Hormon Melatonin eine Therapieoption zur Behandlung von Covid-19 darstellen könnte. Auf diese überraschende Entdeckung stießen die Forscher um Yadi Zhou und Yuan Hou bei der Suche nach potenziellen Covid-19-Wirkstoffen unter bereits zugelassenen Arzneimitteln. Für ihre Suche verwendeten die Wissenschaftler eine von ihnen entwickelte hochkomplexe neuartige Plattform unter Einbeziehung künstlicher Intelligenz.

Ein primäres Ziel der Arbeit lag nicht auf der Wirkstoffsuche. Vielmehr wollten die Wissenschaftler die pathologischen Konsequenzen einer SARS-CoV-2-Infektion mit den Pathologien anderer Krankheiten vergleichen. Dies sollte dazu beitragen, die Auswirkungen der Virusinfektion auf Systeme und Organe neben dem primären Zielorgan, der Lunge, besser verstehen zu lernen. So verglich das Forscherteam Covid-19 systematisch mit dem klinischen Bild von 64 anderen Krankheiten in sechs Kategorien. Basis dieses Vergleichs waren neben klinischen Parametern auch verschiedene molekulare Krankheitscharakteristika, die aus Transkriptom-, Proteom- und Interaktom-Analysen abgeleitet wurden.

Mittels modernster Netzwerk-Techniken identifizierte das Team dann breite Überlappungen von Covid-19-Charakteristika mit den Eigenschaften von Autoimmunerkrankungen, neurologischen Erkrankungen und pulmonalen Manifestationen. Mittels retrospektiver Metaanalysen anhand der klinischen Daten von 4973 Patienten aus 34 Studien ließen sich die netzwerkbasierten Ergebnisse sehr gut verifizieren.

Suche nach möglichen Therapeutika

Ein wichtiger Unteraspekt der Arbeit bildete die Analyse von fast 3000 von der FDA zugelassenen oder in der Prüfung befindlichen Wirkstoffen hinsichtlich ihrer potenziellen Anti-SARS-CoV-2-Wirkung. Auch hier wurde wieder das Netzwerk-System eingesetzt, das die Gruppe entwickelt hatte. Das Ergebnis dieser Analyse bildete schließlich eine Liste von 34 Arzneistoffen, die sich eventuell zur Behandlung von Covid-19 eignen könnten. Das Hormon Melatonin fiel als ein Spitzenkandidat unter diesen Substanzen auf.

Dieses Ergebnis resultierte aus der Analyse des Covid-19-Registers der Cleveland Clinic, in dem klinische Daten von 26.779 Patienten gespeichert waren. Diese Daten wurden insbesondere hinsichtlich der Häufigkeit typischer Symptome und der Todesursachen für schweres Covid-19 und andere Krankheiten wie Sepsis und Atemnotsyndrom analysiert. Zusätzlich sollte dann geschaut werden, ob Medikamente auffallen würden, die derzeit bereits auf dem Markt erhältlich sind und die bei der Behandlung von Covid-19 eine potenzielle Wirkung zeigen könnten.

Nachdem man eine Anpassung an Alter, Ethnie, Rauchergeschichte und verschiedene Krankheitskomorbiditäten vorgenommen hatte, war bei der systematischen Analyse dieser Patientendaten aufgefallen, dass die Verwendung von Melatonin mit einer verringerten Wahrscheinlichkeit eines positiven Testergebnisses für SARS-CoV-2 um nahezu 30 Prozent verbunden war. Bemerkenswert war dabei auch, dass die verringerte Wahrscheinlichkeit für ein positives Testergebnis für Afroamerikaner sogar bei 52 Prozent lag.

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