MEK-Inhibitor im Test gegen Covid-19 |
Sven Siebenand |
02.06.2020 15:40 Uhr |
Immer mehr Substanzen werden auf ihre Eignung als Covid-19-Medikament getestet. So ist es auch bei dem Arzneistoffkandidaten ATR-002. Er soll die Vermehrung von SARS-CoV-2 hemmen und zugleich überschießende Entzündungsreaktionen unterdrücken. / Foto: Adobe Stock/Rawf8
Der RAS/RAF/MEK/ERK-Signalweg besteht aus den hintereinander geschalteten Enzymen RAS, RAF, MEK und ERK, die Stoffwechselvorgänge der Zelle regulieren. Die Hemmung dieses Signalweges ist vor allem aus der Onkologie, zum Beispiel bei Haut- und Lungenkrebs, bekannt. Einige BRAF- und MEK-Hemmer befinden sich im Handel, oft werden sie kombiniert, um den genannten Signalweg auf zwei Stufen gleichzeitig zu hemmen.
Für ihre Vermehrung aktivieren offenbar auch einige RNA-Viren diesen Signalweg in Wirtszellen. Daraus wurde die Idee geboren, zum Beispiel MEK-Inhibitoren als antivirale Substanzen einzusetzen. Auch der zugelassene Wirkstoff Trametinib wurde schon in seiner Wirksamkeit gegen Grippeviren untersucht. Einen anderen, noch nicht zugelassen MEK-Inhibitor, ATR-002, will das Unternehmen Atriva Therapeutics ab Juli 2020 in einer Phase-II-Studie zur Behandlung von Covid-19 testen. Die Studie soll die Wirksamkeit von ATR-002 bei stationär behandelten Patienten mit mittelschwerem Covid-19 im Vergleich zu Placebo nachweisen. Eine Phase-I-Studie bei gesunden Freiwilligen wurde im Jahr 2019 erfolgreich abgeschlossen. In dieser konnten Sicherheit und Verträglichkeit des Wirkstoffs nachgewiesen werden.
ATR-002 wurde für die Behandlung von Krankheiten entwickelt, die durch RNA-Viren hervorgerufen werden, etwa Influenzaviren oder eben auch Coronaviren. Bei Influenzavirus-infizierten Zellen unterbindet ATR-002 über die Inhibition des Enzyms MEK den Export der viralen Genom-Protein-Komplexe vom Zellkern ins Zytoplasma und verhindert so die Bildung neuer funktionaler Viruspartikel. Dadurch wird die Viruslast im Körper reduziert. Da auch SARS-CoV-2 zu den RNA-Viren zählt, gibt es Anlass zur Hoffnung, dass dieser Wirkmechanismus auch bei Covid-19 funktionieren kann. Präklinische Studien konnten bereits zeigen, dass die MEK-Inhibition durch ATR-002 eine Vermehrung von SARS-CoV-2 verhindert.
ATR-002 hat zudem eine zweite positive Eigenschaft. Es hat das Potenzial, das Immunsystem zu modulieren und kann eine unkontrollierte überschießende Entzündungsreaktion durch Zytokine, den sogenannten Zytokinsturm, bremsen. Bei Patienten, die schwer an Influenza oder Covid-19 erkrankt sind, soll der Wirkstoffkandidat die Genexpression einiger beteiligter Zytokine, etwa TNF-α und Interleukin-8, verringern und so die überschießende Immunantwort abmildern. Positiv ist ferner der einfache Applikationsweg. ATR-002 ist eine niedermolekulare Verbindung, die sich peroral verabreichen lässt.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.