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Arzneimittelversorgung

Mehr Evidenz durch Versorgungsdaten

Um auf immer speziellere und zunehmend individualisierte Arzneimittel zu reagieren, sollen künftig auch Versorgungsdaten den Nutzen eines Medikaments beleuchten. Welchen Beitrag können diese Daten leisten? Und wie sind sie zu erheben? Das war Thema einer Konferenz des Bundesverbands der Arzneimittelhersteller (BAH).
Ev Tebroke
03.12.2020  11:00 Uhr

Im Zuge des medizinischen Fortschritts kommen immer mehr Medikamente in alternativen Zulassungsverfahren auf den Markt. Diese innovativen personalisierten Therapien durchlaufen häufig nicht das klassische Zulassungsprozedere, bei dem der Nutzen durch klinische Studien belegt werden muss. Sondern sie kommen etwa als Orphan Drugs auf den Markt, deren Nutzen bereits durch die Zulassung als belegt gilt. Für solche Produkte gibt es EU-weit noch kein tragfähiges Bewertungsverfahren. Im Zuge der digitalen Transformation soll sich das ändern: Künftig soll ihre Evidenz verstärkt anhand  anwendungsbegleitender Datenerhebung belegt werden können. Das ist auch ein Ziel der Arzneimittelstrategie für Europa, die die EU-Kommission vergangene Woche vorgelegt hat.

Innovationen von Scheininnovationen unterscheiden

Daten aus der Anwendung von Arzneimitteln sind wichtige Informationsquellen: Sie helfen, den Nutzen eines Medikaments besser einordnen und bewerten zu können. Der Einsatz dieser Real World Evidence (RWE) spielt eine zentrale Rolle, um die Entwicklung neuer Medikamente passgenauer und effizienter voranbringen zu können. Und um die Kosten für die nationalen Gesundheitssysteme finanzierbar zu halten. Das betonte auch Florian Schmidt, Experte für pharmazeutische Strategie bei der EU-Kommission, im Rahmen einer Konferenz zur zukünftigen Arzneimittelversorgung in der EU, die der Bundesverband der Arzneimittelhersteller (BAH) am 1. Dezember 2020 ausgerichtet hat. Es brauche funktionierende Rahmenbedingungen, um klinische Studien mittels anwendungsbasierter Datenerhebung zu komplementieren. Um auch künftig allen Patienten Zugang zu Innovationen bieten zu können, gelte es Innovationen von Scheininnovationen unterscheiden zu können.

Das unterstrich auch der Chef des Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA), Josef Hecken. Im Zuge einer zunehmend personalisierten Medizin und immer aufwändigeren Forschungs- und Entwicklungskosten brauche es eine Möglichkeit, sich auf echte Innovationen zu fokussieren. »Wir müssen Handlungsfelder identifizieren, in denen es Fortschritte geben muss. Wir müssen echte Innovationen von Scheininnovationen trennen«, so der unparteiische G-BA-Vorsitzende. Nur das führe dazu, dass neue Arzneimittel bezahlbar bleiben. Und Bezahlbarkeit sei die Voraussetzung dafür, dass neue Wirkstoffe auch für alle Patienten zugänglich bleiben.

Nach wie vor ist die klassische klinische randomisierte Studie RCT (RCT englisch: randomized controlled trial) der Goldstandard. Aber aufgrund des medizinischen Fortschritts gibt es immer mehr neue Therapielinien, in denen vor zehn Jahren noch keinerlei Behandlungsoptionen existierten. Auch werden die Patientenpopulationen immer kleiner, und es gibt oft keine zweckmäßige Vergleichstherapie-Optionen mehr. Es brauche neue Möglichkeiten für die Nutzenbewertung, betonte Hecken, weil ansonsten bei Marktzugang die klassischen Bewertungsstandards diesen neuartigen Therapien womöglich nicht Genüge tun und diese schlecht bewerten. Folge wäre, dass diese Wirkstoffe vom Markt verschwinden und den Patientengruppen damit die Therapiechance genommen wird. Solche objektiven Grenzen der Evidenzgenerierung sieht Hecken etwa bei Orphan Drugs, bei bedingten Zulassungen oder Zulassungen unter besonderen Umständen.

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