Leitlinien für das Absetzen von Medikamenten fehlen |
Daniela Hüttemann |
11.06.2020 17:00 Uhr |
Ist wirklich jedes dieser Medikamente nötig? Das sollten die verordnenden Ärzte regelmäßig hinterfragen. / Foto: Adobe Stock/mrmohock
Angaben der University of South Australia zufolge nimmt rund eine Million Australier über 70 Jahre mindestens ein Medikament, das ihnen mehr schadet als nutzt. Es handele sich um ein weltweites Problem, denn nicht umsonst habe die Weltgesundheitsorganisation WHO die Polymedikation als eine der größten Bedrohungen für die Gesundheit benannt.
Klinische Pharmazeuten der Universität mit Sitz in Adelaide wollen nun untersuchen, wie sich solch ungeeignete Medikamente am sichersten absetzen lassen. Denn es gebe bislang kaum Empfehlungen, wie eine Medikamentengabe bei Senioren gestoppt werden sollte. »Ein typischer älterer Australier hat vier chronische Erkrankungen und nimmt dauerhaft sechs Medikamente ein, von denen eines ungeeignet ist«, sagt die Apothekerin Dr. Emily Reeve. Das Absetzen erscheine leicht, sei jedoch ein komplexer Prozess. Klinisch tätige Ärzte hätten ihr das Feedback gegeben, dass fehlende Leitlinien das sogenannte Deprescribing behinderten. Zudem sei es in den Köpfen verankert, dass ein Absetzen weniger wichtig als das Ansetzen sei. Das sieht die Pharmazeutin jedoch anders.
Die australischen Forscher wollen in den kommenden fünf Jahren nun entsprechende Empfehlungen entwickeln, in Zentren für die Betreuung von Senioren etablieren und den Effekt auswerten. Ein Fokus soll dabei auf den Antipsychotika liegen. Dafür erhielten sie kürzlich eine staatliche Finanzierung von umgerechnet knapp einer Million Euro. Gut investiertes Geld: »In Seniorenheimen in Australien schlagen ungeeignete Medikamente mit 20 Prozent der Verordnungskosten zu Buche«, so Reeve. Dieses Geld solle besser für eine angemessene Therapie inklusive nicht-medikamentöser Maßnahmen eingesetzt werden.
Auch in Deutschland sind unnötig verschriebene beziehungsweise weiter verordnete Medikamente ein großes Problem, zum Beispiel bei Anticholinergika, Protonenpumpeninhibitoren oder Benzodiazepinen.