Weitere Studie belegt Zusammenhang mit Demenz |
Daniela Hüttemann |
16.07.2019 08:00 Uhr |
Wer jahrelang Medikamente mit hoher anticholinerger Potenz einnehmen muss, hat ein erhöhtes Demenzrisiko. / Foto: Adobe Stock/Peter Maszlen
Bisherige Studien haben den Zusammenhang zwischen der Einnahme anticholinerger Substanzen und Demenz eher mit kleinen Patientenkohorten und einer kurzfristigen Einnahme untersucht. Für die neue Analyse wurde nun der kumulative Gebrauch dieser Medikamente betrachtet, mit Verordnungen bis zu 20 Jahre vor der Demenzdiagnose. Dazu verglichen Forscher der Universitäten Nottingham, Southampton und Oxford die Verschreibungsdaten von 58.769 Demenz-Patienten mit denen von 225.574 Kontrollpersonen mit ähnlichen Charakteristika wie Alter und Geschlecht, jedoch ohne Demenz-Diagnose. Untersucht wurde der Einfluss von 56 Wirkstoffen mit starker anticholinerger Potenz, darunter Antiparkinsonmittel wie Benzatropin, Antidepressiva wie Amitriptylin und Paroxetin, Antipsychotika wie Clozapin und Perphenazine, Antiepileptika wie Carbamazepin und Muskarin-Rezeptorantagonisten wie Solifenacin zur Behandlung von Harninkontinenz.
Dabei stellten Dr. Carol A.C. Coupland, Trevor Hill und Dr. Tom Dening durchaus einen Zusammenhang zwischen der Einnahme anticholinerger Medikamente und nachlassenden kognitiven Fähigkeiten fest. Je länger ein solches Arzneimittel eingenommen wurde, umso höher lag das Demenzrisiko. So war die Wahrscheinlichkeit für Patienten mit der niedrigsten kumulativen Dosis von 1 bis 90 standardisierter Dosen ein bis elf Jahre vor der Demenzdiagnose um 6 Prozent erhöht (95% CI, 1.03-1.09) gegenüber Vergleichspatienten, die keine anticholinergen Substanzen einnahmen. In der höchsten Kategorie mit mehr als 1.095 Tagesdosen war die Wahrscheinlichkeit an Demenz zu erkranken, fast um die Hälfte erhöht im Vergleich zur Kontrollgruppe (Odds Ratio 1.49, 95% CI, 1.44-1.54).
Die Forscher schauten sich auch die einzelnen Arzneimittelgruppen genauer an. So lag die Odds Ratio für anticholinerge Antidepressiva bei 1,29, für Antiepileptika bei 1,39, für Antiparkinson-Wirkstoffe bei 1,52, für Muskarin-Antagonisten bei 1,65 und für Antipsychotika bei 1,70 bei langfristiger Einnahme (mehr als 1095 standardisierte Tagesdosen). Die Ergebnisse fielen ähnlich aus, wenn ein Zeitraum von 3 bis 13 oder 5 bis 20 Jahren vor der Demenzerkrankung betrachtet wurde. Bei Diagnose vor dem 80. Lebensjahr war die Assoziation stärker.
Die Autoren folgern aus ihrer Analyse, dass die langfristige Einnahme stark anticholinerger Arzneistoffe das Demenzrisiko signifikant erhöhen kann. »Diese Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung einer Verringerung der Exposition gegenüber Anticholinergika bei Menschen mittleren Alters und älteren Menschen«, heißt es in der Veröffentlichung im Fachjournal »JAMA Internal Medicine«.
In einem begleitenden Kommentar betonen Forscher um den Pharmazeuten Noll Campbell von der Universität Indianapolis, dass ein kausaler Zusammenhang zwar schlüssig, aber nicht bewiesen ist. Sie empfehlen, prospektive Studien durchzuführen, bei denen anticholinerge Medikamente abgesetzt (Deprescribing) und die Auswirkungen auf die kognitiven Fähigkeiten untersucht werden. Es müssten sichere Strategien für die Optimierung der Medikation älterer Menschen gefunden werden.