Juristen warnen vor E-Rezept-Belieferung |
Ev Tebroke |
17.12.2021 12:30 Uhr |
Ab 1. Januar 2022 sollen Patienten ihre E-Rezepte unter anderem über die eigens dafür konzipierte Gematik-App in die Apotheken schicken können. / Foto: picture alliance/dpa
Die fristgerechte Umsetzung des E-Rezepts zum 1. Januar 2022 steht seit einiger Zeit in der Kritik. Zu wenige echte elektronische Verordnungen haben derzeit die Testdurchläufe im realen Verordnungsalltag durchlaufen – im Modellprojekt waren es gerade mal rund 50 Rezepte. Zu wenige Arztpraxen verfügen bislang über die entsprechenden Praxisverwaltungssysteme (PVS), für die Apotheken ist das Abrechnungsprozedere mit den Kassen noch nicht in trockenen Tüchern. Die Sorge vor einem Verordnungschaos zu Beginn des neuen Jahres ist groß unter den Leistungserbringern. Mehrfach haben sie deshalb auf eine Verlängerung der bundesweiten Testphase gedrängt. Ohne Erfolg: Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) beendet die Tests zum 31. Dezember – nach gerade mal vier Wochen. Am 1. Januar 2022 startet bundesweit das E-Rezept – so will es das Patientendaten-Schutzgesetz. Ein Gutachten im Auftrag des Bundesverbands Deutscher Apothekenrechenzentren (VDARZ) könnte der Apothekerschaft nun neue Argumente liefern, um das BMG von den Risiken einer voreiligen E-Rezept-Einführung zu überzeugen.
Laut Gutachten der Rechtsanwälte Morton Douglas und Lukas Kalkbrenner von der Anwaltskanzlei Friedrich Graf von Westphalen können derzeit beim E-Rezept bestehende technische Mängel schwerwiegende rechtlich Konsequenzen nach sich ziehen. Nach Einschätzung der Juristen bedarf es unbedingt einer gesetzlichen Klarstellung, ab wann ein E-Rezept als »ordnungsgemäß« anzusehen ist. Ansonsten könnten die Kassen die Abrechnung der Verordnungen womöglich aufgrund technischer Spezifikationen verweigern. Leidtragende wären damit vor allem die Apotheken. Unter den aktuellen Gegebenheiten sollten Apotheken und Rechenzentren daher vorerst von einer Bearbeitung des E-Rezepts absehen, so das juristische Fazit.
Nach Angabe des VDARZ bestehen derzeit gravierende technische Defizite beim E-Rezept. So basieren etwa die von der Gematik genutzten für die Datensicherheit relevanten »Trust-Service-Listen« auf veralteten Standards. Während die neuesten Praxisverwaltungssysteme auf dem Zertifikat 6.0 basieren, arbeite die Gematik noch mit der Version 2.0, so ein Sprecher des VDARZ gegenüber der PZ. Dadurch seien Manipulationen am E-Rezept nicht auszuschließen. Zudem ist die Echtheit der Signaturen nicht verifizierbar. Die von der Gematik angebotene proprietäre Signaturprüfung könne nicht erfolgen, da die dafür notwendigen Konnektoren fehlten. Die Zertifikate und damit die Signaturen seien daher für die Rechenzentren nicht vollständig prüfbar, es könne nicht ermittelt werden, ob die Signaturen zum Zeitpunkt ihrer Nutzung noch gültig waren. Auch würden keine qualifizierten Zeitstempel genutzt, was Fälschungsoptionen biete und keine Prüfsumme auf der elektronischen Quittung ermögliche. Diese Defizite könnten die Krankenkassen zum Anlass nehmen, die Abrechnung der Rezepte zu verweigern, so die Einschätzung der Juristen.
»Die vorgenannten Punkte können möglicherweise dazu führen, dass die Annahme eines E-Rezeptes aktuell, bis die Defizite behoben sind oder eine verbindliche Vorgabe des Bundesministeriums für Gesundheit vorliegt, eine individuelle Entscheidung der jeweiligen Krankenkasse ist«, heißt es in dem Gutachten hinsichtlich besagter Mängelliste des VDARZ. Gleichzeitig betonen die Juristen, Apotheker, Ärzte und Apothekenrechenzentren hätten ihrerseits dabei keinerlei Einfluss auf die technischen Komponenten, sie könnten nur mit der von der Gematik bereitgestellten Technik arbeiten.
Das Papier-Rezept ist ein Auslaufmodell. Mit dem E-Rezept sollen alle Arzneimittel-Verordnungen über die Telematikinfrastruktur abgewickelt werden. Wir berichten über alle Entwicklungen bei der Einführung des E-Rezeptes. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite E-Rezept.