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Urogenitaltrakt

Infektionen unterhalb der Gürtellinie

Patienten mit Harnwegsinfektionen suchen häufig Hilfe in der Apotheke. Wo sind die Grenzen der Selbstmedikation und was kann der Apotheker noch auf eigene Verantwortung abgeben? Beim Pharmacon-Kongress in Schladming verriet Dr. Christian Ude, Apotheker aus Darmstadt, seine Empfehlungen an die Kunden.
Sven Siebenand
22.01.2020  14:00 Uhr

Bei Patienten mit Symptomen einer Blasenentzündung sollten immer die Grenzen der Selbstmedikation beachtet werden. Treten zum Beispiel zusätzlich Fieber, Rückenschmerz, vaginaler Ausfluss oder blutiger Urin auf, sollte direkt an den Arzt verwiesen werden. Ude erklärte auch, dass bei Schwangeren, Kindern und Patienten mit Grunderkrankungen wie Diabetes mellitus der Weg in eine Arztpraxis anzuraten sei. Und: »Männer sind immer als kompliziert einzustufen«, sagte der Fachapotheker für Arzneimittelinformation. Bei ihnen könne beispielsweise auch die Prostata mit betroffen sein.

Im Bereich der Selbstmedikation bestehen viele unterschiedliche Präparate zur Verfügung, ein Großteil davon Phytopharmaka. Einige davon sind zugelassen, andere gehören zu den Kategorien »well-established use« oder »traditional use«.  Die Evidenz für die Wirksamkeit nehme in dieser Reihenfolge ab, so Ude. Der Referent verriet seine Favoriten: Dazu gehören sowohl Präparate mit Trockenextrakt aus Bärentraubenblättern (zum Beispiel Arctuvan®, Cystinol® akut oder Uvalysat®) als auch eine Pulverzubereitung aus Kapuzinerkresse und Meerrettich (Angocin®) und ein D-Mannose-haltiges Medizinprodukt (Femannose®). Zu den Präparaten mit Bärentraubenblätter-Extrakten fügte er hinzu, dass das Alkalisieren des Urins heute als überholt und nicht notwendig gilt. Denn intrazellulär gebildetes Hydrochinon sei für die antibakterielle Wirkung verantwortlich und der pH-Wert des Urins sei irrelevant für den Therapieerfolg.  

Der Einsatz von Teezubereitungen erfolgt als »traditional use«.  Als Add-on-Maßnahme befürwortete der Apotheker deren Einsatz bei Harnwegsinfektionen, als alleinige Therapie jedoch nicht. Bei Tees stelle sich immer die Frage der Löslichkeit, der Qualität, der Dosis und des Herstellungsprozesses. En vogue sind auch Cranberry-Präparate. Ude sprach sich jedoch gegen deren Einsatz aus. »Die Wirksamkeit ist umstritten und auf dem deutschen Markt sind keine geeigneten Zubereitungen vorhanden.« Auch für die Anwendung von Probiotika votierte der Apotheker nicht. Bei ihnen fehle derzeit ebenfalls die Evidenz für die Wirksamkeit bei Harnwegsinfektionen.

Dafür liegen umso mehr Belege vor, dass sexuell übertragbare Krankheiten (sexually transmitted Infections / Diseases, STI / STD) in Deutschland auf dem Vormarsch sind. Dazu gehören Syphilis, Gonorrhö, Trichomonaden und Chlamydien. Der Erreger der Syphilis ist das gramnegative Bakterium Treponema pallidum. Man unterscheidet die Früh- und die Spätsyphilis. Häufiges Erkennungsmerkmal einer Infektion sind Flecken und Pusteln auf der Haut, vor allem im Gesicht und an der Hand. Übertragen wird die Krankheit typischerweise durch Sexualkontakte. Laut Therapieleitlinie ist Penicillin G das Mittel der ersten Wahl in der Behandlung. 

Auch bei Neisseria gonorrhoeae, dem Erreger der Gonorrhö (landläufig als Tripper bezeichnet), handelt es sich um ein gramnegatives Bakterium. Wie Ude informierte, werden die Gonokokken beim Geschlechtsverkehr übertragen und führen zu einer Infektion der Schleimhäute der Geschlechtsorgane sowie des Harnapparats und bei Oralverkehr auch des Rachens . Therapiert wird die Erkrankung mit einer Kombination aus Ceftriaxon und Azithromycin als Einmaldosis. Der Erreger ist ein genetisch äußerst variables Bakterium mit der natürlichen Fähigkeit zu DNA-Austausch und Mutationen. Ude: »Die Resistenzlage ist daher außerordentlich unangenehm.«

Abgabehinweis bei HIV-PrEP

Der Referent ging ferner auf eine dritte STI ein, die durch gramnegative Bakterien ausgelöst wird: Chlamydien-Infektionen. Diese können zum Beispiel mit Doxycyclin oder Azithromycin behandelt werden. Dagegen kommt zur Behandlung der Trichomoniasis Metronidazol zum Einsatz. Bei dieser Erkrankung handelt sich nicht um eine Infektion mit einem Bakterium, sondern mit Trichomonas vaginalis, einem Parasiten, der zu den Protozoen zählt.

Für Ude ist es wichtig, dass Apotheker ein fundiertes Hintergrundwissen zu STI haben, damit sie entsprechend aufklären und beraten können, etwa bei der Abgabe von Medikamenten zur HIV-Präexpositionsprophylaxe (HIV-PrEP), die jedoch nicht vor den genannten STI schützt. Offenbar ein wichtiger Beratungshinweis: Der Referent gab das Ergebnis einer Untersuchung wieder, wonach fast drei Viertel derjenigen, die eine HIV-PrEP nutzten, im ersten Jahr der Anwendung die Diagnose Tripper, Syphilis oder Chlamydien-Infektion erhielten.

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