Indikation kritisch hinterfragen |
Unbestritten gehören PPI zu den wirksamsten Medikamenten bei der Therapie säureassoziierter Erkrankungen. Ohne eindeutige Diagnose sollten sie jedoch nicht langfristig eingenommen werden. / Foto: Adobe Stock/Olga
Das Risiko für eine SARS-CoV-2-Infektion könnte durch die Einnahme von Protonenpumpeninhibitoren (PPI) steigen. Darauf deuten Ergebnisse einer Online-Veröffentlichung des renommierten »American Journal of Gastroenterology« hin. Danach waren US-Amerikaner in einer Umfrage zu gastrointestinalen Beschwerden doppelt so häufig mit dem Coronavirus infiziert, wenn sie PPI angewendet hatten. Bei zweimal täglicher Einnahme war eine Infektion sogar viermal häufiger. Mehr als 53.000 Erwachsene hatten an der Umfrage im Frühsommer 2020 teilgenommen, 3386 von ihnen waren nach eigenen Angaben positiv auf Covid-19 getestet worden. 71,9 Prozent der Positiv-Getesteten hatten PPI eingenommen, in der Gruppe der Nicht-Infizierten waren es dagegen nur 28 Prozent.
Zu bedenken: Die Studie ist methodisch nicht ganz einwandfrei. Vor allem wird kritisiert, dass der Anteil von Personen mit niedrigem Bildungsniveau in der Gruppe der angeblich Infizierten weit höher war als in der Gruppe der Nicht-Infizierten. Auch passen deren Angaben nicht mit den offiziellen Infektionsraten in den USA zusammen. Allerdings ist die gefundene Dosisabhängigkeit ein ernst zu nehmendes Argument, das für einen kausalen Zusammenhang zwischen einem Covid-19-Infektionsrisiko und der PPI-Einnahme spricht. Für die Einnahme von H2-Blockern, die die Säureproduktion weniger stark hemmen, haben die Forscher keinen Einfluss auf die Infektionsrate festgestellt.
Auch wegen anderer möglicher Risiken sind Omeprazol und Co. seit Längerem Gegenstand von Diskussionen. Bei einwandfreier Indikationsstellung sind die Säureblocker ohne Zweifel wertvolle Arzneistoffe gegen Säure-assoziierte Erkrankungen. Doch offenbar wird mit der Indikation häufig eher lax umgegangen. Über viele Jahre hinweg sind die Verordnungszahlen immer weiter gestiegen, ohne dass sich die Indikationen in diesem Zeitraum ausgeweitet hätten. Während 2007 insgesamt 667 Millionen Tagesdosen verschrieben wurden, waren es 2016 ganze 3,8 Milliarden. Damit war ein vorläufiger Höhepunkt erreicht. 2017 vermeldete das Zentralinstitut für kassenärztliche Versorgung erstmals einen Rückgang der Verordnungszahlen auf 3,6 Millionen Tagesdosen.
Experten sehen diese Entwicklung kritisch. Der inflationäre Einsatz betrifft vor allem Dauerverordnungen. Bei Sodbrennen werden PPI fast automatisch eingesetzt, nicht selten über längere Zeiträume. Ebenso als Magenschutz während einer Langzeittherapie mit nicht steroidalen Antirheumatika (NSAR), und zwar nicht nur bei Patienten mit nachgewiesenem Risiko für eine duodenale Ulkusblutung. Doch nur dann ist die dauerhafte Gabe von PPI gerechtfertigt.
Als Risikofaktoren gelten höheres Lebensalter jenseits der 64, Magen-Darm-Ulzera in der Vorgeschichte sowie schwer verlaufende Allgemeinerkrankungen. Medikamente, die das Blutungsrisiko erhöhen, sind neben NSAR gerinnungsaktive Wirkstoffe und selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer. Eine Dauerprophylaxe mit PPI wird empfohlen, wenn mindestens zwei der genannten Risikofaktoren zusammentreffen. Also zum Beispiel bei älteren Patienten, die über einen längeren Zeitraum ein NSAR erhalten. Oder auch bei Patienten, die mit zwei Risikomedikamenten gleichzeitig behandelt werden. COX-2-Inhibitoren wie Celecoxib oder Etoricoxib zählen nicht dazu, sodass auf eine begleitende PPI-Prophylaxe verzichtet werden kann.
Bei typischen Refluxsymptomen ohne Hinweis auf eine Tumorerkrankung empfiehlt die AWMF-Leitlinie zur gastroösophagealen Refluxkrankheit eine versuchsweise Behandlung mit PPI über vier Wochen. Patienten, die so beschwerdefrei werden, erhalten PPI anschließend nur noch bei Bedarf, und zwar möglichst in reduzierter Dosis. Zuvor sollten jedoch nicht medikamentöse Maßnahmen, also Ernährungsumstellung, Gewichtsabnahme und Hochlagerung des Oberkörpers beim Schlafen, ausgeschöpft werden. Auch seien weniger potente Medikamente wie H2-Blocker und Antazida langfristig oft die bessere Alternative. Patienten, die nach vierwöchiger PPI-Behandlung immer noch Beschwerden haben, müssen leitliniengemäß erst einmal genau untersucht werden, bevor weitere Behandlungsschritte erfolgen.
Ähnlich ist das Vorgehen, wenn per Endoskopie eine leichtergradige Refluxösophagitis gesichert wurde. Und auch bei ausgeprägten Gewebeveränderungen ist kein zeitlich unbegrenzter PPI-Einsatz vorgesehen. Nach der Akutbehandlung soll auch bei diesen Patienten die Dosis reduziert werden, und nach einem Jahr wird ein Auslassversuch empfohlen. Wichtig: PPI sollen immer ausschleichend abgesetzt werden, da es sonst zu einem Rebound mit überschießender Magensäureproduktion kommen könnte.
Zu häufig kämen PPI nicht indikationsgemäß zum Einsatz, wie etwa bei einer funktionellen Dyspepsie. In Studien haben PPI bei funktioneller Dyspepsie keine überzeugende Wirksamkeit gezeigt, allenfalls ausgewählte Patienten scheinen zu profitieren. Die großzügige Verordnungspraxis sei vermutlich dem Mangel an effizienten Reizmagen-Therapien und dem sehr guten Nutzen-Risiko-Verhältnis dieser Arzneistoffgruppe geschuldet, heißt es in einer Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten. Von einer unkritischen Einnahme der PPI gehen die DGVS-Experten auch bei den Präparaten aus, die in der Selbstmedikation abgegeben werden. Denn offenbar kommen sie auch dann zum Einsatz, wenn der Magen ernährungsbedingt schmerzt, also bei Aufstoßen, Völlegefühl oder Übelkeit.
Hintergrund für die Empfehlung, PPI möglichst nur kurz anzuwenden, sind Erkenntnisse zum Risikoprofil der potenten Säureblocker. Bei Kurzzeitgabe über maximal vier Wochen gilt ihre Sicherheit nach wie vor als gut. Gerade weil sie bei der Markteinführung als sehr verträgliche Medikamente gepriesen wurden, dürfte es in den Folgejahren zu dem enormen Boom gekommen sein, ohne dass die Langzeitsicherheit groß infrage gestellt wurde. Meldungen über mögliche Langzeitrisiken sind übrigens nicht ganz so überraschend, denn die Magensäure hat schließlich ihren Sinn. Offenbar wurde gründlich unterschätzt, welche Auswirkungen eine komplette Blockade der Magensäureproduktion auf Dauer haben kann.
In den USA wurden PPI inzwischen in die Beers-Liste der »American Geriatrics Society« (AGS) aufgenommen wurden, in der für ältere Patienten potenziell ungeeignete Arzneistoffe aufgeführt sind. Gut belegt sind der PPI-bedingte Risikoanstieg für Infektionen mit Clostridioides difficile sowie das erhöhte Osteoporoserisiko. Verdachtsmomente bestehen zudem im Hinblick auf kardiovaskuläre Komplikationen, chronische Nierenerkrankungen und Demenz.
PPI erhöhen das Risiko für eine Überwucherung des Darms mit Clostridioides (ehemals Clostridium) difficile (CD) sowie das Risiko schwerer Verläufe, das ist durch diverse Studien gesichert. Neben Veränderungen der physiologischen Darmflora dürfte auch die wegfallende bakterizide Wirkung der Magensäure eine Rolle spielen. Möglicherweise ist deshalb unter PPI auch das Risiko von Lungenentzündungen erhöht. Erreger, die normalerweise durch die Magensäure abgetötet würden, können jetzt in die Speiseröhre gelangen und dann aspiriert werden. Die Studien hierzu sind allerdings widersprüchlich.
Unstrittig ist wiederum, dass PPI das Osteoporoserisiko erhöhen. In Studien ist ein Anstieg von Schenkelhals- und Wirbelkörperfrakturen dokumentiert. Als Ursache wird eine verminderte Resorption von Vitamin D favorisiert. Zur Demenz wurde 2016 eine deutsche prospektive Kohortenstudie publiziert, in der die Daten von 73.000 Personen erfasst wurden. In dieser Studie war unter PPI ein Anstieg von Demenzerkrankungen um 44 Prozent zu verzeichnen. Weitere Studien sind dringend erforderlich, um das Risikopotenzial der PPI genauer auszuloten. Gesicherte Risiken und Verdachtsmomente wiegen aber bereits jetzt schwer genug, um mit diesen hochwirksamen Säureblockern sehr sorgsam umzugehen.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.