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Pro und Kontra

Homöopathie in der Apotheke

In den vergangenen Wochen wurde vehement um die Homöopathie gestritten. Dabei ging es auch um den Status von Globuli & Co. als apothekenpflichtige Arzneimittel. Die Pharmazeutische Zeitung hat zwei Experten um ein Statement gebeten. Diese geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.
PZ
25.06.2019  17:00 Uhr
Pro: »Die Zukunft der Medizin ist undogmatisch und integrativ.«
Dr. Jens Behnke, Kommunikationswissenschaftler und Programmleiter für Integrative Medizin bei der Karl und Veronica Carstens ­Stiftung

Die Homöopathie gehört zu den beliebtesten komplementärmedizinischen Verfahren. In Deutschland haben laut einer repräsentativen Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach 60 Prozent der Bevölkerung schon einmal selbst homöopathische Arzneimittel eingenommen, Tendenz steigend (1). In einer Erhebung aus dem Jahr 2018 des Instituts Kantar TNS votierten 75 Prozent der Befragten für eine Integrative Medizin unter Einschluss der Homöopathie (2).

Laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung berichten 80 Prozent der Patienten, die homöopathisch behandelt werden, von einer Verbesserung der körperlichen Beschwerden, der seelischen Verfassung und des Allgemeinbefindens (3). Bei schwerwiegenden Erkrankungen wie Krebs nutzen die meisten Patienten eine homöopathische Behandlung eher zusätzlich zur konventionellen als alternativ zu dieser (4). Beobachtungsstudien (5) zu diversen Erkrankungen von Infektionen, über Rheuma bis hin zu Depressionen und Angststörungen belegen relativ einheitlich: Patienten, die sich homöopathisch behandeln lassen, erleben klinisch relevante Verbesserungen ihrer Symptome sowie einen Zugewinn an Lebensqualität. Die Effekte sind im Vergleich zur konventionellen Therapie regelmäßig mindestens genauso groß. Es treten jedoch signifikant weniger Nebenwirkungen auf. Ärzte mit homöopathischer Zusatzausbildung verordnen bei vergleichbaren Therapie erfolgen circa 50 Prozent weniger synthetische Arzneimittel, zum Beispiel Antibiotika (6), nicht steroidale Antirheumatika (7) und Psychopharmaka (8).

Vier von fünf indikationsunabhängigen Metaanalysen randomisierter, placebokontrollierter Doppelblindstudien zur Homöopathie beobachten eine spezifische Wirksamkeit potenzierter Arzneimittel über Placebo. Dies gilt auch für Subgruppenanalysen der jeweils gefundenen methodisch hochwertigen Studien (9). Das Gesamtergebnis fällt jeweils nur dann negativ aus (Homöopathie = Placebo), wenn mindestens 90 Prozent der Daten aus wissenschaftlich nicht nachvollziehbaren Gründen von der Auswertung ausgeschlossen werden und/ oder fragwürdige statistische Methoden angewandt werden  (10). Indikationsspezifische Metaanalysen, die auf eine Wirkung der Homöopathie über Placebo hinweisen, liegen vor für Fibromyalgie (11), allergische Rhinitis (12) sowie kindliche Diarrhö (13). Nach neusten Cochrane ­Standards gibt es jedoch zu keiner Erkrankung mehr als eine zuverlässige Homöopathie-­Studie, sodass hier mehr hochwertige Forschung vonnöten ist.

Das Wirkprinzip potenzierter Arzneimittel konnte bislang nicht abschließend aufgeklärt werden. Es existieren aber mehr als 1000 fachwissenschaftliche Publikationen zur Grundlagenforschung in der Homöopathie. In den zugrundeliegenden Experimenten kommen physikalische Untersuchungsmethoden (UV­Spektroskopie, NMR), Mikroorganismen, pflanzliche Bioassays (Wasserlinsen, Weizenkeimlinge) sowie unterschiedliche Tierspezies zum Einsatz. Eine große Anzahl von methodisch hochwertigen Studien beobachtet Effekte von Hochpotenzen jenseits der Avogadro­-Grenze (14). Für mehrere experimentelle Modelle konnten in unabhängigen Replikationen signifikante Effekte potenzierter Präparate festgestellt werden (15).

Angesichts der Gesamterkenntnislage lässt sich konstatieren: Die Homöopathie ist ein weit verbreitetes und beliebtes Therapieverfahren, das sich seit nunmehr mehr als 200 Jahren in der Anwendung bewährt hat. Die vorliegenden Daten aus der klinischen Forschung belegen die Wirksamkeit des Verfahrens unter Alltagsbedingungen und deuten mehrheitlich auf eine spezifische Wirkung potenzierter Arzneimittel über Placebo.

Dieser Befund wird durch Experimente aus der Grundlagenforschung gestützt. Wenngleich auch mehr hochwertige Forschung wünschenswert wäre, um zu abschließenden Schlussfolgerungen zu gelangen, rechtfertigt bereits die vorliegende Evidenz die weitere Integration der Homöopathie in das deutsche Gesundheitssystem. Die Zukunft der Medizin ist undogmatisch, integrativ und bedient sich aller Verfahren, die im individuellen Fall die beste Aussicht auf Heilung bieten.

Kontra: »Die Homöopathie spottet dem Wunsch nach Evidenz.«
Dr. Natalie Grams, Ärztin, Autorin und ehemalige Homöopathin

Die Apotheke als Schnittstelle zwischen Patient und Arzneimittelwesen ist mit dem Thema Homöopathie direkt und täglich konfrontiert. Gerade bei den nicht mit einer Indikationsangabe versehenen registrierten Mitteln setzt der Gesetzgeber ersichtlich auf die Beratung durch Apotheken.

Aber hier haben wir ein Dilemma: Homöopathie verfügt – trotz viel Forschung – weder über belastbare Nachweise spezifischer Wirksamkeit für irgendeine Indikation noch über ein Plausibilitätsmodell ihrer Grundannahmen, das vereinbar mit gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen wäre. Gerade in den letzten 20 Jahren wurde die Homöopathie in einer Reihe von Reviews und Metaanalysen umfassend evaluiert, und zwar nach den Maßstäben der evidenzbasierten Medizin, die völlig pragmatisch nur auf die Frage schaut: Zeigt sich belastbar eine spezifische Wirkung?

Diese Analysen der höchsten Evidenzklasse – auch die von homöopathischen Forschern – verneinen dies. Diese Analysen waren ihrerseits Gegenstand weiterer Evaluierung durch wissenschaftliche Institutionen und staatliche Gremien. Aktuellstes Beispiel ist Frankreich: Dort hat im Laufe der letzten zwölf Monate eine ganze Staffel von nochmaligen Analysen der Erkenntnislage stattgefunden, deren Ergebnisse eindeutig sind und in der vorläufigen zusammenfassenden Begutachtung durch die höchste Gesundheitsbehörde kulminieren: »Keine Studien haben die Überlegenheit des homöopathischen Ansatzes in Bezug auf die Wirksamkeit (...) gegenüber konventionellen Behandlungen oder Placebo nachgewiesen.«

Gleichwohl ist festzustellen, dass in Deutschland aus der nicht mehr bestreitbaren Gesamtevidenzlage bislang keine praktischen Konsequenzen gezogen wurden. Weder revidieren die Vertreter der Homöopathie ihre Ansichten, noch werden bislang die gesetzlichen Sonderrechte der Homöopathie infrage gestellt. Nicht zuletzt das oftmals geringe Wissen in der Bevölkerung zu den wirklichen Grundlagen der Homöopathie – die meist für eine Form von Naturheilkunde gehalten wird – führt zu einer »Beliebtheit«, die zweifellos die Bereitschaft von Entscheidungsträgern zu einer dringend gebotenen Kurskorrektur hemmt. Leider steht diese auch bei Apothekern aus.

Die gesetzliche Privilegierung und das darauf aufbauende Konvolut von Regeln und Verlautbarungen – beispielsweise das Europäische oder das Deutsche Homöopathische Arzneibuch – verführen zu der Anscheinsannahme, hier verberge sich Validität. Dies ist nicht der Fall, es verbirgt sich hier ein Dissens zwischen Regelsetzung und Tatsachen, der einer Revision bedarf. Im Grunde genommen handelt es sich hierbei nur um einen traditionellen Zirkelschluss.

Weder ein zukunftssicheres Gesundheitssystem noch die moderne Medizin können Scheintherapien akzeptieren, von denen nur unspezifische und unkalkulierbare Effekte zu erwarten sind. Dies führt nun aber nicht etwa zum Ruf nach einem »Verbot« von Homöopathie, sie soll und wird jedem nach eigener – informierter – Entscheidung weiterhin zur Verfügung stehen. Sehr wohl führt dies aber zu der Forderung nach einer Neuverortung der Rolle der Homöopathie im Arzneimittelrecht, im öffentlichen Gesundheitswesen und im Sozialrecht und damit auch einer Lösung des »Apothekendilemmas«. Zwar können Homöopathika immer noch in der Apotheke angeboten werden, jedoch nicht hinter dem Tresen bei den Arzneimitteln, sondern vorne bei den Hustenbonbons.

Doch gerade wenn der Beratungsakt zur Homöopathie in der Apotheke angesiedelt bleibt, darf nicht vergessen werden, dass sie Patienten indirekt schaden kann (eben auch durch den Apothekenstatus, der Wirksamkeit vermittelt, und durch das Unterbleiben oder Verzögern einer wirksamen Medikation). Zudem spottet die Homöopathie dem Wunsch nach Evidenz­ und Wissenschaftsbasierung in der Medizin und dem kritischen, aufgeklärten Denken.

Apotheker als Naturwissenschaftler sollten – genauso wenig wie Ärzte – hier nicht dem wohlfeilen Beliebtheitsargument folgen, sondern ihren Kunden mit Aufklärung und Redlichkeit begegnen. Für eine gute und bessere Medizin.

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