Gefälscht oder nur schlechte Qualität? |
Arzneimittelproduktion muss höchste Ansprüche erfüllen. Ziel muss es sein, Arzneimittel in bester Qualität zu produzieren. / Foto: Getty Images/Extreme-Photographer
Arzneimittelfälschungen sind so alt wie die Menschheit. Ganz aktuell bewegen dreiste Ozempic®-Fälschungen und Fluoxetin-Lieferengpässe die Apotheken. Im erstgenannten Fall drohen den Anwendern schwere Nebenwirkungen, im zweiten Fall können depressive Patienten möglicherweise nicht zeitnah medikamentös versorgt werden. Doch dazu später mehr.
Mit Einführung einer Malariatherapie wurde im 16. Jahrhundert von Fälschungen in Bezug auf Chinarinde (Cinchona officinalis) und im 18. Jahrhundert von gefälschtem Chinin berichtet (1). 1937 ereignete sich die Sulfanilamid-Katastrophe: Mehr als 100 Menschen, insbesondere Kinder, starben nach der Einnahme eines »Elixir Sulfanilamid« (Kasten). In den 1930er-Jahren gab es noch keine ausreichenden und verbindlichen Toxizitätsprüfungen vor der Markteinführung von Arzneimitteln. Das Ereignis führte 1938 in den Vereinigten Staaten von Amerika zum Federal Food, Drug and Cosmetic Act, der erstmals Toxizitätsprüfungen vor Einführung eines Arzneimittels vorsah. Die Ursache für die Toxizität des Elixirs wurde erst später von der American Medical Association gefunden.
Obwohl nun schon lange bekannt ist, dass das Frostschutz- und Lösungsmittel Diethylenglykol toxisch ist, wird es immer wieder in betrügerischer Weise Lebens- und Arzneimitteln zugemischt. In den 1980er-Jahren wurde Wein in Österreich damit versüßt und 2007 wurde es in Zahnpasta in Großbritannien gefunden. In den letzten Jahren wurde es manchmal Paracetamol-Säften zugesetzt, da auch das Analgetikum schlecht löslich ist und bitter schmeckt. Zudem findet sich Diethylenglykol auch als Verunreinigung von Glycerin oder Propylenglykol, was ebenfalls zu Nebenwirkungen, gegebenenfalls auch zum Tod der Patienten führt. Aufgrund der immer wiederkehrenden Probleme fordert die FDA nun in einer Richtlinie, dass Glycerin, Propylenglykol und andere Hilfsstoffe auf Diethylenglykol getestet werden müssen und der Gehalt von 0,1 Prozent nicht überschritten werden darf (2).
Foto: U.S. Food and Drug Administration
Die Firma Massengill aus Bristol, Tennessee, hatte nach der Vermarktung von Sulfonamid-Kapseln und Tabletten in den 1930er-Jahren beschlossen, auch einen Sirup herzustellen. Die gesamte Gruppe der Sulfonamide ist bekannt für ihre schlechte Löslichkeit und einen bitteren Geschmack. Harold Watkins, der Chemiker in der neu gegründeten Firma, suchte daher nach einem geeigneten Lösungsmittel für Sulfanilamid und kam zu folgender Rezeptur:
Diethylenglykol schmeckt süßlich und ist ein exzellentes Lösungsmittel, aber leider toxisch. Dies hatten Studien bereits kurz vor der Markteinführung des Elixirs gezeigt, was Watkins aber offensichtlich nicht wusste. Diethylenglykol kann Nierenversagen verursachen und zu Leberschäden führen, besonders bei Kindern unter fünf Jahren.
Als die ersten Todesfälle bekannt wurden, versuchte man, Drogisten, Verkäufer und Ärzte durch Versendung von Telegrammen zu informieren, was aber nicht reibungslos funktionierte. Daher wurden auch noch Angestellte der damaligen FDA ins Land geschickt, um das Elixir schneller einzusammeln. Über die Irrungen und Wirrungen dieser Aktion hat die FDA-Redakteurin Carol Ballentine sehr emotional berichtet.
Der Besitzer der Pharmafirma, Dr. S. E. Massengill, sagte dazu, dass ihm der Fall leidtäte, dass aber keinerlei Verantwortung bei ihm läge, da dies ein unvorhersehbares Ereignis gewesen sei. Er wurde später zu 26.000 US-Dollar Strafe verurteilt, weil er an 112 Fällen der Fälschungen für schuldig befunden wurde. Der Chemiker Watkins hat Suizid begangen.
Literatur
Wax, P. M., Elixir, Diluents, and Passage of the 1938 Federal Food, Drug and Cosmetic Act. Ann. Intern Med. 122, 456–461 (1995).
Ballentine, C., Sulfanilamide Disaster. FDA Consumer Magazine, Juni 1981 US FDA; www.fda.gov/about-fda/histories-product-regulation/sulfanilamide-disaster; abgerufen am 14. August 2023.