Gefälscht oder nur schlechte Qualität? |
Arzneimittelproduktion muss höchste Ansprüche erfüllen. Ziel muss es sein, Arzneimittel in bester Qualität zu produzieren. / Foto: Getty Images/Extreme-Photographer
Arzneimittelfälschungen sind so alt wie die Menschheit. Ganz aktuell bewegen dreiste Ozempic®-Fälschungen und Fluoxetin-Lieferengpässe die Apotheken. Im erstgenannten Fall drohen den Anwendern schwere Nebenwirkungen, im zweiten Fall können depressive Patienten möglicherweise nicht zeitnah medikamentös versorgt werden. Doch dazu später mehr.
Mit Einführung einer Malariatherapie wurde im 16. Jahrhundert von Fälschungen in Bezug auf Chinarinde (Cinchona officinalis) und im 18. Jahrhundert von gefälschtem Chinin berichtet (1). 1937 ereignete sich die Sulfanilamid-Katastrophe: Mehr als 100 Menschen, insbesondere Kinder, starben nach der Einnahme eines »Elixir Sulfanilamid« (Kasten). In den 1930er-Jahren gab es noch keine ausreichenden und verbindlichen Toxizitätsprüfungen vor der Markteinführung von Arzneimitteln. Das Ereignis führte 1938 in den Vereinigten Staaten von Amerika zum Federal Food, Drug and Cosmetic Act, der erstmals Toxizitätsprüfungen vor Einführung eines Arzneimittels vorsah. Die Ursache für die Toxizität des Elixirs wurde erst später von der American Medical Association gefunden.
Obwohl nun schon lange bekannt ist, dass das Frostschutz- und Lösungsmittel Diethylenglykol toxisch ist, wird es immer wieder in betrügerischer Weise Lebens- und Arzneimitteln zugemischt. In den 1980er-Jahren wurde Wein in Österreich damit versüßt und 2007 wurde es in Zahnpasta in Großbritannien gefunden. In den letzten Jahren wurde es manchmal Paracetamol-Säften zugesetzt, da auch das Analgetikum schlecht löslich ist und bitter schmeckt. Zudem findet sich Diethylenglykol auch als Verunreinigung von Glycerin oder Propylenglykol, was ebenfalls zu Nebenwirkungen, gegebenenfalls auch zum Tod der Patienten führt. Aufgrund der immer wiederkehrenden Probleme fordert die FDA nun in einer Richtlinie, dass Glycerin, Propylenglykol und andere Hilfsstoffe auf Diethylenglykol getestet werden müssen und der Gehalt von 0,1 Prozent nicht überschritten werden darf (2).
Foto: U.S. Food and Drug Administration
Die Firma Massengill aus Bristol, Tennessee, hatte nach der Vermarktung von Sulfonamid-Kapseln und Tabletten in den 1930er-Jahren beschlossen, auch einen Sirup herzustellen. Die gesamte Gruppe der Sulfonamide ist bekannt für ihre schlechte Löslichkeit und einen bitteren Geschmack. Harold Watkins, der Chemiker in der neu gegründeten Firma, suchte daher nach einem geeigneten Lösungsmittel für Sulfanilamid und kam zu folgender Rezeptur:
Diethylenglykol schmeckt süßlich und ist ein exzellentes Lösungsmittel, aber leider toxisch. Dies hatten Studien bereits kurz vor der Markteinführung des Elixirs gezeigt, was Watkins aber offensichtlich nicht wusste. Diethylenglykol kann Nierenversagen verursachen und zu Leberschäden führen, besonders bei Kindern unter fünf Jahren.
Als die ersten Todesfälle bekannt wurden, versuchte man, Drogisten, Verkäufer und Ärzte durch Versendung von Telegrammen zu informieren, was aber nicht reibungslos funktionierte. Daher wurden auch noch Angestellte der damaligen FDA ins Land geschickt, um das Elixir schneller einzusammeln. Über die Irrungen und Wirrungen dieser Aktion hat die FDA-Redakteurin Carol Ballentine sehr emotional berichtet.
Der Besitzer der Pharmafirma, Dr. S. E. Massengill, sagte dazu, dass ihm der Fall leidtäte, dass aber keinerlei Verantwortung bei ihm läge, da dies ein unvorhersehbares Ereignis gewesen sei. Er wurde später zu 26.000 US-Dollar Strafe verurteilt, weil er an 112 Fällen der Fälschungen für schuldig befunden wurde. Der Chemiker Watkins hat Suizid begangen.
Literatur
Wax, P. M., Elixir, Diluents, and Passage of the 1938 Federal Food, Drug and Cosmetic Act. Ann. Intern Med. 122, 456–461 (1995).
Ballentine, C., Sulfanilamide Disaster. FDA Consumer Magazine, Juni 1981 US FDA; www.fda.gov/about-fda/histories-product-regulation/sulfanilamide-disaster; abgerufen am 14. August 2023.
Es stellt sich die Frage, ob es sich bei den genannten Fällen um Fälschungen von Arzneimitteln handelt oder schlicht um Arzneimittel schlechter Qualität.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert »Substandard«-Qualität als außerhalb der Spezifikationen, die klassischerweise von Arzneibüchern vorgegeben werden. Unzureichende Qualität ist meist auf eine mangelhafte Herstellung oder Zersetzung in zeitlich abgelaufenen Arzneimitteln zurückzuführen. Zu dieser Kategorie zählen somit beispielsweise die mit Nitrosaminen verunreinigten Sartane. Auslöser war eine veränderte Herstellung, die zu Verunreinigungen, sprich zur Bildung von Nitrosaminen wie N-Nitrosodimethylamin und Analoga, führte (3).
Wie aus den Meldungen der FDA (Tabelle 1) zu entnehmen ist, fand man bei einer ausgiebigen Risikoanalyse nahezu aller Arzneimittel auf dem Markt zusätzlich eine ganze Reihe von nitrosierten Arzneistoffen in Arzneimitteln. Hier reagieren primäre und sekundäre Aminfunktionen von Arzneistoffen mit Nitriten und Nitraten aus Hilfsstoffen (4, 5) zu sogenannten »Nitrosamine drug-substance-related impurities« (NDSRI). Neben N-Nitroso-Orphenadrin und N-Nitroso-Quinapril (Tabelle 1) werden fast monatlich mehr Nitrosamine berichtet, deren Toxizität nicht bekannt ist. Zur Vermeidung der NDSRI-Bildung müssen künftig entweder saubere Hilfsstoffe verwendet oder die Formulierungen angepasst werden.
Datum | Arzneistoff | Arzneiform | Ursache | |
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12/2022 | Quinapril | Tabletten 20 und 40 mg | N-Nitroso-Quinapril | |
10/2022 | Quinapril und Hydrochlorothiazid | Tabletten USP, 12,5 und 20 mg, | N-Nitroso-Quinapril | |
9/2022 | Aciclovir | Injektion intravenös | dunkelrote, braune und schwarze Partikel in der Ampulle | |
8/2022 | Propofol | Injektionslösung USP | sichtbare Partikel in der Ampulle | |
5/2022 | Anagrelide | Kapseln | schlechte Freisetzung | |
4/2022 | Accupril (Quinapril HCl) | Tabletten 10, 20 und 40 mg | N-Nitroso-Quinapril | |
3/2022 | Idarubicin Hydrochlorid | Injektion USP | evtl. Partikel (Kieselgel und Eisenoxid) | |
3/2022 | Orphenadrin Citrat | 100 mg Tabletten mit verzögerter Freisetzung | Nitroso-Orphenadrin | |
3/2022 | Accuretic™ (Quinapril HCl, Hydrochlorothiazid) | Tabletten | N-Nitroso-Quinapril | |
3/2022 | Natriumacetat Injektionslösung, USP, 400 mEq/100 mL (4 mEq/mL) | 100 mL gefüllt in 100 mL Ampullen | Partikel | |
3/2022 | 0,9 % Natriumchlorid zur Injektion USP | 250 mL | lecke und unsterile Ampulllen | |
1/2022 | Polymyxin B zur Injektion USP, 500.000 Units/Vial | Ampullen | Partikel | |
1/2022 | Metformin-Hydrochlorid | Tabletten mit verzögerter Freisetzung | N-Nitrosodimethylamin (NDMA) |
Anfang Oktober dieses Jahres wurde zudem von Fluoxetin-Lieferengpässen berichtet, da Chargen aufgrund von Verunreinigungen mit Nitroso-Fluoxetin der Sandoz-Töchter Hexal und 1A-Pharma nicht freigegeben werden konnten. Die Lage soll sich aber in Kürze wieder entspannen.
Auch das mit Histamin verunreinigte Gentamicin, das zu allergischen bis anaphylaktischen Reaktionen bei Pferden und Menschen geführt hat (6, 7), gehört in diese Kategorie. Hier wurde im Fermentationsmedium für die Gentamicin-Produktion das Fischpepton ausgetauscht. Da die Fische, aus denen das Pepton isoliert wurde, vom neuen Lieferanten nicht ordnungsgemäß gelagert worden waren, erzeugten Mikroorganismen (M.morgani oder K.pneumoniae) in den Fischen durch enzymatische Decarboxylierung mehr Histamin aus Histidin, sodass in diesem Pepton mehr Histamin enthalten war als im ursprünglich verwendeten Produkt. Mit dem Wechsel zum ursprünglichen Pepton-Hersteller traten keine allergischen Reaktionen mehr auf.
Als gefälscht betrachtet die WHO medizinische Produkte, die vorsätzlich und in betrügerischer Absicht einen falschen, zu viel oder zu wenig oder keinen Wirkstoff enthalten, eine falsche Zusammensetzung haben (falsches Labelling) oder deren Herkunft nicht richtig angegeben ist. Dazu zählt auch die Neuverpackung von nicht zugelassenen Arzneimitteln, die dann zugelassenen Arzneimitteln ähneln und in den Produktkreislauf eingespeist werden. Das Inverkehrbringen von Arzneimittelfälschungen ist kriminell, denn es gefährdet die Volksgesundheit.
Zur Kategorie Fälschungen gehören auch Arzneimittel mit bitter schmeckenden, schlecht wasserlöslichen Arzneistoffen, denen in teilweise großen Mengen Diethylenglykol zugemischt wurde, zum Beispiel die damit versetzten Paracetamol-Hustensäfte (Tabelle 2, Produktwarnungen 6/2022, 7/2022 und 5/2023) sowie Guaifenesin-Säfte (4/2023) und Ambroxol-Sirup (1/2023). Es stellt sich natürlich die Frage, warum Säfte immer wieder mit dem insbesondere für Kinder toxischen Diethylenglykol versetzt werden.
Alert-Nummer | Arzneistoffe (Arzneimittel) | Hersteller (Land) | Land, in dem die Fälschung entdeckt wurde | Befund |
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2/2022 | Remdesivir (Desrem) | Mylan Lab. (Indien) | Guatemala, Indien (2/2022) | kein Arzneistoff |
3/2022 | Immunglobulin (Intratect) | Biotest GmbH (Deutschland) | Brasilien (9/2021),Indien (2/2022),Bolivien (4/2022),Ägypten (4/2022) | unbekannter Hersteller: Biotest produziert nicht das auf dem Label benannte Produkt (Immunoglobulina G Endovenosa Biotest) |
4/2022 | Botulismustoxin A (Dysport) | IPSEN GmbH (weltweit Niederlassungen), Galderma (USA) | Jordanien (5/2022),Türkei (5/2022),UK (6/2022),Polen (7/2022) | Unterschiede in Sprache der Packung und Fläschchen, Druckfehler |
5/2022 | Propofol (Diprivan) | AstraZeneca für Aspen (UK) | Venezuela (7/2022) | Batchnummer falsch und vom Hersteller nicht vergeben |
6/2022 | Promethazin oral-Lsg, Kofexmalin und Makoff Hustensäfte für Babys, Magrip N Erkältungssaft | Maiden Pharmaceuticals (Indien) | Gambia (9/2022) | zu viel Diethylenglykol und Ethylenglykol |
7/2022 | Paracetamol plus andere Wirkstoffe: Termorex-Sirup, Flurin-DMP-Sirup, Unibebi Hustensirup, Unibebi Deman-Paracetamol Drops und Saft, Paracetamol-Sirup/-Drops, Vipcol-Sirup | PT-Konimex, PT Yarindo Farmatama, PT Universal Pharmaceutical Ind. (Indonesien) | Indonesien (10/2022) | zu viel Diethylenglykol und Ethylenglykol |
8/2022 | Methotrexat (Methotrex) | Celon Lab. (Indien) | Jemen, Libanon | Out-of-Specification |
1/2023 | Ambroxol (Ambronol, Dok-1 Max Sirup) | Marion Biotech (Indien) | Usbekistan (12/2022), Kambodscha (4/2023) | zu viel Diethylenglykol und Ethylenglykol |
2/2023 | Tetracyclin-HCl (Tetracyclin-Augenlösung) | Galentic Pharma (Indien) | verschiedene Länder | Partikel in der Düse und schwarze Flecken auf der Packung |
3/2023 | Defibrotid-Natrium (Defitelio) | Gentium (Italien) | Vereinigte Arabische Emirate (11/2022), Kirgistan (3/2023) | Batchnummern und Verfallsdatum gefälscht, falsche Verpackung (für UK) |
4/2023 | Guaifenesin (Guaifenesin-Saft) | Pharmachem/ Trillium Pharma (Indien) | Marshall-Inseln, Mikronesien (6/2023) | zu viel Diethylenglykol und Ethylenglykol |
5/2023 | Paracetamol/ Phenylephrin/ Chlorpheniramin (Naturgold-Sirup) | Fraken International (England) | Kamerun (6/2023) | zu viel Diethylenglykol (29 Prozent) und Ethylenglykol |
Auch das mit übersulfatiertem Chondroitinsulfat (OSCS) verunreinigte unfraktionierte Heparin, das 2007/8 gefunden wurde (Zusammenfassung siehe (8)), gehört im Prinzip in diese Kategorie. Das OSCS wurde absichtlich zugemischt, um zu verdecken, dass das unfraktionierte Heparin nicht ausreichend gerinnungshemmend war.
Diese beiden Fälle demonstrieren, dass schlechter Qualitätsstandard und Fälschung manchmal ganz nahe beieinander sind.
Wie erwähnt ordnet man als Fälschungen eher Arzneimittel ein, die keinen oder zu wenig oder einen anderen Wirkstoff enthalten. Typisch dafür ist der Herceptin-Fall, der 2014 das erste Mal aufgedeckt wurde. Erst in den Folgejahren wurde das Ausmaß dieses Skandals durch umfangreiche Recherchen offensichtlich. Italienische Großhändler und Krankenhäuser hatten gestohlene Ware, die zu wenig Trastuzumab oder stattdessen Ceftriaxon in einer Flüssigkeit statt eines gelb-weißen Pulvers enthielt, in die europäische Vertriebskette eingeschleust (9).
Fälschungen treten häufig dann auf, wenn ein Arzneimittel besonders begehrt ist und es zu Verknappungen kommt. So kamen nach dem Zweiten Weltkrieg Penicillin-Fälschungen (Injektionslösungen ohne Penicillin) auf den Markt, da es zu wenig davon gab. Dieses Ereignis wurde in dem Buch von Grahame Greene »Der dritte Mann« thematisiert. Als 2006/7 eine Schweinegrippe-Pandemie drohte, wollten sich viele Menschen mit Oseltamivir (Tamiflu®) bevorraten, was schnell zu einem Engpass führte. In dieser Zeit wurden Tamiflu®-Präparate gefunden, die Metronidazol oder Paracetamol anstatt Oseltamivir enthielten.
Das hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) während der Covid-19-Pandemie 2020 dazu veranlasst, nachdrücklich vor gefälschten Arzneimitteln zu warnen (10). Die WHO vermeldete beispielsweise gefälschtes Chloroquin (Produktwarnung 4/2020) und Hydroxychloroquin sowie gefälschte In-vitro-Diagnostika und Laborreagenzien (3/2020).
Die internationale kriminalpolizeiliche Organisation (Interpol) berichtete im März 2020 über 34.000 gefälschte medizinische Waren:
Auch die Covid-Impfstoffe wurden in großem Maßstab gefälscht (12). Für Fälscher war »the liquid gold in 2021 the vaccine«. Viele Fälschungen wurden im »Darknet« gehandelt (13).
Ozempic®-Original (oben) und die Fälschung (unten) / Foto: Österreichisches Bundeskriminalamt
Noch aktueller: Semaglutid (Ozempic® von Novo Nordisk), ein GLP-1-Agonist zur Behandlung von Typ-2-Diabetes, führt zur Gewichtsreduktion, was eine breite Off-Label-Nutzung ausgelöst hat. Die Ozempic-Pens werden im Internet als Schlankheitsmittel gehandelt, was zu einer massiven Verknappung des für Diabetespatienten wichtigen Arzneimittels geführt hat. Im Juli 2023 wurden Fälschungen bekannt, die Glargin-Insulin statt Semaglutid enthielten. Dies löste massive und lebensgefährliche Unterzuckerungen aus.
Solche Fälschungen wurden im Sommer nur in der Schweiz und Australien sowie im Kosovo, der Türkei und in Südafrika, aber noch nicht in Deutschland beobachtet. Die Fälschungen stammen aus illegalen Lieferketten (14, 15).
Und es geht noch weiter: Mitte Oktober teilte das Regierungspräsidium Freiburg mit, dass gefälschtes Ozempic von einem Zwischenhändler aus Lörrach in Umlauf gebracht worden sei. Die Packungen stammen ursprünglich von einem österreichischen Großhändler, der sie aus Großbritannien bezogen hat. Die Sekundärpackungen sind dem Originalpräparat ähnlich, allerdings unterscheiden sich die Pens deutlich. Welche Gefahr von den Fälschungen ausgeht, ist derzeit noch unklar, ebenso ob es Securpharm-Alarm gibt. Nach Angaben der Netzgesellschaft Deutscher Apotheker (NGDA) wurde bislang noch keine gefälschte Ware auf dem deutschen legalen Apothekenmarkt gefunden (Stand 12. Oktober 2023). Die beschlagnahmten Chargen werden zurzeit untersucht.
Wer im Internet Medikamente kauft, kann sich vielleicht über günstigere Preise freuen, bekommt aber möglicherweise Produkte mit unklarer Qualität. / Foto: Adobe Stock/auremar
Ende Oktober wurde der Fall einer nur leicht übergewichtigen, aber nicht diabetischen Kundin – von Patientin kann man wohl nicht sprechen – aus Österreich gemeldet, die von einem Arzt, einem Schönheitschirurgen, dreimal Ozempic® erhalten hatte. Bei Kauf der vierten Packung muss sie wohl eine Fälschung, das heißt Insulin, bekommen haben, was aufgrund von starken »Nebenwirkungen« zu einer Krankenhauseinweisung geführt hat. Nach einer Nacht konnte die Frau wieder entlassen werden. Mutmaßlich sind weitere Fälschungen in Österreich in Umlauf.
Inzwischen warnt auch die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) vor gefälschtem Ozempic® in der EU und in Großbritannien, denn Fälschungen wurden bereits in mindestens 14 Ländern gefunden. Tirzepatid (Mounjaro®), ein weiterer GLP-1-Agonist der Firma Eli Lilly, ist ebenfalls von Produktpiraterie betroffen. Das bedeutet, dass das Ausmaß dieses Fälschungsskandals noch gar nicht abgesehen werden kann.
Diese beispielhaft beschriebenen Arzneimittelfälschungen stammen fast alle aus der westlichen Welt mit hohem Einkommen. Hier schätzt man 1 Prozent Fälschungen in der legalen Vertriebskette, wobei die Zahlen jährlich deutlich steigen (16).
Für Länder mit mittlerem und kleinem Einkommen gab die WHO 2022 etwa 10 Prozent Fälle von Fälschungen und schlechter Qualität an, was sich in den Produktwarnungen der WHO (»Medical Product Alert«) widerspiegelt (Tabelle 2). Afrika und Südamerika sind am meisten betroffen. Zwischen 70.000 und 170.000 Tote stehen jährlich mit gefälschten Antibiotika im Zusammenhang, wobei insbesondere Kinder unter fünf Jahren sterben (17). In den 39 afrikanischen Ländern südlich der Sahara sterben mehr als 120.000 Kinder pro Jahr an und wegen Antimalariamitteln, wobei nicht zwischen schlechter Qualität und Fälschungen unterschieden wird (18). In der Literatur werden noch höhere Werte diskutiert (19). Das bedeutet: Das Ausmaß ist nicht wirklich bekannt.
In Ländern mit niedrigem Einkommen ist der Anteil gefälschter oder minderwertiger Arzneimittel auf dem Markt oft besonders hoch. Gesundheitseinrichtungen achten daher sehr genau auf die Qualität ihrer Medikamente. / Foto: Imago/photothek
Zudem muss berücksichtigt werden, dass die unzulängliche Behandlung von Infektionen mit Antibiotika schlechter Qualität oder in zu geringen Dosen der Entwicklung von Resistenzen Vorschub leistet. Diese können sich dann über die ganze Welt ausbreiten.
Der neueste Bericht der »Organisation for Economic Cooperation and Development« (OECD) über den Handel mit gefälschten pharmazeutischen Produkten aus dem Jahr 2020 (20) benennt Indien (mit klarem Vorsprung) vor Singapur, China und Hongkong als Ursprungsländer für gefälschte Arzneimittel. Dagegen sind die Vereinigten Emirate, Singapur, Hongkong, der Jemen und der Iran Transitländer auf dem Weg in die USA, nach Europa, Japan und einige Länder in Südamerika und Afrika.
Grob gesagt werden alle Arzneimittel gefälscht – wenn es sich »lohnt«. Großen Anteil haben Lifestyle-Wirkstoffe, sprich Hormone, Steroide, Anorektika und Mittel gegen erektile Dysfunktion, aber auch Antidiabetika (siehe Semaglutid), Schmerzmittel, antivirale und antibakterielle Substanzen, Onkologika und andere. Die meisten Fälschungen werden im Internet oder in unseriösen Apotheken und im Darknet ver- und gekauft.
Da Arzneimittel weltweit verteilt und verkauft werden, hat die WHO 2012 eine Initiative »WHO Member State Mechanism on Substandard and Falsified Medical Products« gegründet. Diese wird von der FDA unterstützt. Der Europarat hat 2010/11 die »Medicrime Convention« (Vertrag 211 über Fälschungen von medizinischen Produkten und ähnliche Verbrechen, die die öffentliche Gesundheit bedrohen) ins Leben gerufen (21). Daran sind inzwischen fast alle europäischen Länder, Russland, Ukraine, Weißrussland, Türkei und eine ganze Reihe afrikanischer Länder beteiligt. Das Ziel ist, folgende Straftaten zu verfolgen, da sie Menschenleben gefährden:
Unterstützt wird die Konvention durch die europäischen »Official Medicines Control Laboratories« (OMCL) beziehungsweise das »General European OMCL Network« (GEON, geleitet vom EDQM). Die OMCL untersuchen verdächtige Proben nach allen Regeln der analytischen Kunst (22) und zwar nicht nur Arzneimittel, sondern auch Medizinprodukte, Nahrungsergänzungsmittel und Kosmetika. Dies geschieht in Zusammenarbeit mit den nationalen regulatorischen Behörden sowie dem Zoll (Zusammenstellung der bisherigen Berichte siehe (22)). Es sei angemerkt, dass die Analytiker in den OMCL kontinuierlich fortgebildet werden (23).
Trotz all dieser Bemühungen finden jedes Jahr eine Menge Fälschungen und Arzneimittel schlechter Qualität ihren Weg in die pharmazeutische Vertriebskette – auch in Europa. Deshalb beobachten große Firmen sorgsam ihre Lieferketten und informieren die Bevölkerung, wie man Fälschungen ihrer Produkte erkennt. So hat etwa die Firma Bayer eine Initiative »Vorsicht Arzneimittelfälschung« (24) gestartet und Pfizer widmet dem Problem eine ganze Webseite, auf der man erfährt, wie man mit Fälschungen umgeht und diese melden kann (25). Dies sind nur ausgewählte Beispiele.
Mit Hightech-Analytik Fälschungen auf die Spur kommen: Das ist das Ziel der Analytiker bei den europäischen offiziellen Kontrolllaboren (OMCL). / Foto: Getty Images/Longhua Liao
In Deutschland hilft das 2019 europaweit eingeführte Securpharm-System, Fälschungen auf dem Weg eines Arzneimittels vom Hersteller (in Ausnahmefällen über den Großhandel) bis zur abgebenden Apotheke zu erkennen. Alles, was davor bei der Herstellung des Arzneistoffs und der Arzneiformen passiert, wird durch dieses System nicht erfasst. Arznei- und Hilfsstoffe schlechter Qualität werden also nicht entdeckt. Das liegt daran, dass erst der pharmazeutische Unternehmer die Sekundärverpackung mit dem Datamatrixcode versieht, der die Pharmazentralnummer, die Chargennummer, das Verfallsdatum und die individuelle Seriennummer enthält. Auf diese Weise können gefälschte Packungen, die zum Beispiel im Herceptin-Fall in Umlauf gekommen sind, beim »Auslesen« in der Apotheke erkannt werden (siehe Fragen- und Antworten-Dokument der ABDA (26)).
Es sei aber darauf hingewiesen, dass es sich bei Securpharm nur um ein »Ende-zu-Ende«-System handelt, das heißt dass man den Weg eines Arzneimittels zwischen Hersteller und Apotheke nicht nachverfolgen kann. Bis auf einige Fehlermeldungen wurde bisher von keinen Fälschungen, aufgedeckt über Securpharm, berichtet. Was nicht heißt, dass es keine gab, denn die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK) erhält jährlich Tausende von Verdachtsmeldungen zu Qualitätsmängeln und 10 bis 20 Berichte zu mutmaßlichen Fälschungen beziehungsweise Manipulationen (27).
Da das sehr bürokratische und aufwendige System in ganz Europa benutzt werden muss, bietet es bei Importen aus Europa, die aufgrund von Lieferengpässen derzeit notwendig sind, einen gewissen Schutz vor Fälschungen, die früher ja in Verknappungssituationen häufig auftraten.
Es gibt nichts, was der Patient oder der Apotheker gegen Arzneimittel von schlechter Qualität tun kann. Hier sind die regulatorischen Behörden aufgerufen, konsequente Audits bei den produzierenden Firmen, insbesondere im asiatischen Raum, durchzuführen. Wie das Beispiel der Nitrosamin-verunreinigten Sartane gezeigt hat, reicht die Qualitätssicherung durch die internationalen Arzneibücher heute nicht mehr aus. Die Sartane hatten Arzneibuchqualität, denn die damals beschriebenen analytischen Methoden konnten die Nitrosamine nicht detektieren.
Apotheker sollten ihre Kunden und Patienten darauf hinweisen, Medikamente grundsätzlich nie auf unsicheren Webseiten, geschweige denn im Darknet zu kaufen. Schon ein Online-Kauf birgt die Gefahr, dass eine Webseite nicht vertrauenswürdig oder gar gehackt ist. Gegen Arzneimittelfälschungen kann man sich am besten schützen, indem man seine Arzneimittel aus sicheren Quellen bezieht, und das ist an erster Stelle die Apotheke vor Ort!
Ulrike Holzgrabe studierte Chemie und Pharmazie in Marburg und Kiel. Es folgten die Approbation 1982, Promotion 1983 und Habilitation in Pharmazeutischer Chemie 1989 in Kiel. Nach mehrjähriger Professorentätigkeit in Bonn ist sie seit April 1999 Lehrstuhlinhaberin in Würzburg. Professor Holzgrabe war von 2018 bis 2021 Vizepräsidentin der Universität Würzburg. In vielfältigen Positionen arbeitete sie am Deutschen und Europäischen Arzneibuch am BfArM und EDQM mit. Seit vielen Jahren forscht sie auf dem Gebiet der Antibiotika.