Frau, Migränepatientin – und schwanger | 
| Annette Rößler | 
| 06.09.2024 13:30 Uhr | 
				
		
	
		Frauen, insbesondere junge Frauen, leiden um ein Vielfaches häufiger an Migräne als Männer. Wenn sie schwanger werden (wollen), stellt sich die Frage nach der sicheren Anwendung von Migränemitteln in der Schwangerschaft. / Foto: Adobe Stock/Oleksii
Welche Medikamente sind für Frauen mit Migräne auch in der Schwangerschaft und Stillzeit sicher? Antworten auf diese Frage gab es bei einer Online-Pressekonferenz der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) anlässlich des Deutschen und Europäischen Kopfschmerztags am 5. September.
Dr. Wolfgang Paulus vom Universitätsklinikum Ulm machte zunächst anhand einiger Zahlen die Dimension des Problems deutlich. »Frauen sind etwa dreimal häufiger von Migräne betroffen als Männer; dabei ist die Prävalenz bei den 18- bis 29-jährigen Frauen mit 25 Prozent am höchsten«, informierte der Leiter von Reprotox, neben Embryotox an der Berliner Charité die zweite große Beratungsstelle für Reproduktionstoxizität in Deutschland. Bei mehr als 700.000 Schwangerschaften pro Jahr seien schätzungsweise 150.000 Schwangere von Migräne betroffen.
Meistens wirkt sich die hormonelle Umstellung in der Schwangerschaft positiv auf die Migräne aus: 50 bis 80 Prozent der Patientinnen berichteten über einen Rückgang der Attacken in der Schwangerschaft, so Paulus. Etliche bräuchten aber auch in der Schwangerschaft Medikamente zur Linderung von Migräneattacken und auch zu deren Prophylaxe.
»Schmerzmittel der Wahl in allen Phasen der Schwangerschaft und auch in der Stillzeit ist nach wie vor Paracetamol«, sagte der Gynäkologe. Bei diesem Wirkstoff »haben wir in den vergangenen Jahren viel Unruhe erlebt«, so Paulus mit Blick auf epidemiologische Studien, die eine Paracetamol-Anwendung in der Schwangerschaft mit diversen kindlichen Störungen wie Hodenhochstand, Asthma, Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) und Autismus-Spektrum-Störungen in Zusammenhang gebracht hatten. Selbstverständlich sollte Paracetamol wie jedes andere Medikament in der Schwangerschaft nur mit klarer Indikation und zeitlich begrenzt eingesetzt werden. Unter diesen Voraussetzungen könne der Wirkstoff aber bei leichten bis mäßigen Migräneattacken während der gesamten Schwangerschaft gegeben werden.
Eine Studie mit Daten von Geschwisterkindern, von denen eines im Mutterleib Paracetamol oder einem anderen Schmerzmittel ausgesetzt war und das andere nicht, habe nämlich gezeigt, dass die Assoziation etwa mit kindlichem Asthma nicht spezifisch für Paracetamol ist, sondern alle Analgetika betrifft (»European Respiratory Journal« 2019, DOI: 10.1183/13993003.01090-2018). »Daraus lässt sich folgern, dass wohl eher die Stresshormone der Mutter, die infolge von Schmerzen und Ängstlichkeit ausgeschüttet werden, das Asthmarisiko beim Kind erhöhen und nicht ein bestimmtes Schmerzmittel«, erklärte Paulus. Eine Migräneattacke in der Schwangerschaft nicht zu behandeln, sei somit wohl auch nicht risikolos.
Ebenso vergleichsweise unkritisch sei auch Ibuprofen in der Schwangerschaft und Stillzeit, mit der Einschränkung, dass es im dritten Schwangerschaftstrimenon wegen der Gefahr eines vorzeitigen Verschlusses des Ateriosus botalli wie alle nicht steroidalen Antirheumatika (NSAR) nicht gegeben werden darf. Eine ausreichende Datenlage sei mittlerweile auch für Sumatriptan vorhanden: »Dieses Triptan ist in allen Phasen der Schwangerschaft und auch in der Stillzeit akzeptabel«, sagte Paulus.
Übelkeit ist nicht nur ein häufiger Begleiter einer Frühschwangerschaft, sondern auch einer Migräneattacke. »Als altbewährtes Antiemetikum lässt sich Metoclopramid in allen Phasen der Schwangerschaft sowie in der Stillzeit mit ausreichend Sicherheitsdaten belegen«, lautete die Einschätzung des Experten hierzu. Bei stärkerer Übelkeit könne auch Ondansetron gegeben werden. Zwar habe vor einigen Jahren ein Rote-Hand-Brief vor einem erhöhten Risiko für orofaziale Fehlbildungen oder Herzfehlbildungen bei der Anwendung von Ondansetron im ersten Schwangerschaftsdrittel gewarnt, »doch das hat sich nach neueren Untersuchungen weitgehend in Wohlgefallen aufgelöst«, so Paulus.
Zu den Wirkstoffen, die vorbeugend zur Verhinderung von Migräneanfällen eingesetzt werden, zählen Betablocker wie Metoprolol und Propranolol sowie Antidepressiva wie Amitriptylin. Diese können laut Paulus bei Bedarf während der gesamten Schwangerschaft und in der Stillzeit weiter gegeben werden. Allerdings dürften rund um die Geburt »keine Maximaldosen« eingesetzt werden, da es sonst zu Anpassungsstörungen beim Neugeborenen kommen könne.
Die Antikonvulsiva Topiramat und Valproat seien wegen ihres teratogenen Potenzials in der Schwangerschaft kontraindiziert – auch als Migräneprophylaxe. Im vergangenen Jahr kam der Verdacht auf, dass Valproat auch das Risiko für neurologische Entwicklungsstörungen erhöhen könnte, und zwar wenn der Vater des Kindes damit behandelt wird. Die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) hat deshalb beschlossen, dass dieser Wirkstoff Männern nur noch von spezialisierten Ärzten verordnet werden darf. Hierzu sagte Paulus: »Das können wir von der Pathophysiologie her nicht wirklich nachvollziehen. Deshalb glauben wir eigentlich nicht an einen kausalen Zusammenhang zwischen Valproat-Einnahme bei Männern und kindlichen Entwicklungsstörungen.«
				
		
	
		Jede werdende Mutter wünscht sich ein gesundes Kind. Aus Furcht um das Baby in der Schwangerschaft auf eine Therapie und/oder Prophylaxe der Migräne zu verzichten, ist jedoch nicht ratsam. / Foto: Getty Images/Maskot
Zu den Migräneprophylaktika ohne ausreichende Datenbasis in der Schwangerschaft zählte Paulus Botulinumtoxin sowie die Antikörper Eptinezumab, Erenumab, Galcanezumab und Fremanezumab. In der Stillzeit sei eigentlich nicht davon auszugehen, dass die Antikörper als große Proteinmoleküle in nennenswertem Umfang in die Muttermilch übergehen. Zudem würden sie in diesem Fall vom Säugling weitgehend verdaut. Allerdings fehlten auch für die Anwendung in der Stillzeit Daten, die die Sicherheit belegen würden.
Überhaupt sei der Mangel an Daten ein großes, wenn nicht das zentrale Problem der Embryonaltoxikologie. Da Schwangere und Stillende aus ethischen Gründen von klinischen Studien ausgeschlossen sind, sei man auf Beobachtungsstudien mit sehr inhomogenen Expositionsdaten angewiesen. Reprotox und Embryotox, die beiden großen Institutionen, die sich in Deutschland um diese Fragen kümmen, seien chronisch unterfinanziert. »Um unsere Beratungs- und Forschungsaktivitäten zu intensivieren und somit eine bessere Versorgung der betroffenen Frauen zu gewährleisten, fordert die DMKG schon seit Langem eine finanzielle Stärkung«, betonte der Referent zum Abschluss.