Pharmazeutische Zeitung online
Atomarer Ernstfall

Förderung für Wirkstoff gegen Strahlenkrankheit

Ein deutsches Unternehmen wird von der EU mit mehreren Millionen Euro gefördert, um einen Wirkstoff gegen das akute Strahlensyndrom in der Entwicklung voranzutreiben. Sein vorläufiger Name lautet myelo001.
Sven Siebenand
08.08.2022  11:00 Uhr

Der Krieg in der Ukraine ist auch mit dem Risiko des Einsatzes von Atomwaffen verbunden. Daher wundert es nicht, dass in letzter Zeit verstärkt über Wirkstoffe zur Behandlung der Strahlenkrankheit beziehungsweise des akuten Strahlensyndroms (ARS) nachgedacht wird.

Ausgelöst wird die Strahlenerkrankung durch ionisierende Strahlung, die bei der Explosion von Nuklearwaffen ausgesendet wird oder auch bei Unfällen von Atomkraftwerken entstehen könnte. In biologischen Geweben wirken die Strahlen mutationsfördernd und erbgutschädigend. Es kommt zu DNA-Schäden und vermehrter Apoptose. Zellen mit hoher Teilungsrate sind besonders betroffen, etwa hämatopoetische Blutstammzellen, Zellen der Magen- und Darmschleimhaut sowie Zellen des zentralen Nervensystems.

Das bei hoher Strahlenbelastung auftretende ARS lässt sich in unterschiedliche Stadien unterteilen – erst das hämatopoetische Syndrom, danach das gastrointestinale Syndrom und bei noch höherer Strahlenbelastung das neurovaskuläre Syndrom. Wie der Name bereits vermuten lässt, sind beim hämatopoetischen Syndrom blutbildende Stammzellen im Knochenmark betroffen und gehen zugrunde. Die möglichen Folgen sind zum Beispiel erhöhtes Infektionsrisiko, innere Blutungen oder Leukämie.

Blutzellenbildung stimulieren

Damit das Blutbild nach der Strahlenbelastung wieder auf die richtige Schiene kommt, sind Medikamente, die etwa den Granulozyten-Kolonie-stimulierenden Faktor (G-CSF), den Granulozyten-Makrophagen-Kolonie-stimulierenden Faktor (GM-CSF) oder auch Thrombopoietin-Rezeptor-Agonisten im Gespräch und etwa in den USA auch beim hämatopoetischen Syndrom im Zusammenhang mit dem ARS zugelassen. In der Entwicklung befinden sich zudem noch deutlich länger wirksame Derivate, die im Falle einer nuklearen Katastrophe sicher dringend benötigt werden.

Wie die Eckert & Ziegler Strahlen- und Medizintechnik AG informiert, hat ihr Tochterunternehmen Myelo Therapeutics vor Kurzem EU-Fördergelder in Höhe von etwa 17 Millionen Euro zugesprochen bekommen, um einen weiteren Arzneistoffkandidaten beim ARS in der Entwicklung voranzutreiben. Laut dem Unternehmen könnte es gelingen, innerhalb der vierjährigen Förderperiode soweit voranzukommen, dass ein Zulassungsantrag gestellt werden kann. Bereits seit 2019 arbeitet das Unternehmen auf diesem Gebiet mit dem US-amerikanischen Forschungszentrum National Institute of Allergy and Infectious Diseases zusammen.

Auf der Website von Myelo Therapeutics findet man weitere Informationen zu dem Wirkstoffkandidaten mit der vorläufigen Abkürzung myelo001. Als niedermolekulare Substanz kann der Wirkstoff oral angewendet werden, was sicher von Vorteil wäre. Er wirkt sich auf die Hämatogenese aus. Laut der Firma induziert er die Differenzierung von unreifen myeloischen Vorläuferzellen. Die Wirkung von myelo001 werde sowohl durch den Schutz unreifer granulozytärer Zellen in ihrem frühen Stadium nach zytostatischer Behandlung und/oder Bestrahlung als auch durch eine aktivere Reifung von Neutrophilen bestimmt.

Untersucht wird die Substanz übrigens nicht nur bei ARS, sondern auch zur Behandlung von Chemotherapie-induzierter Myelosuppression und Strahlentherapie-induzierter Myelosuppression. Im Falle der Chemotherapie-induzierten Neutropenie wird myelo001 bereits klinisch getestet. So muss die Entwicklung nicht erst bei null beginnen.

Mehr von Avoxa