Erst testen lassen, dann impfen |
Prick- und Intrakutan-Tests im allergologischen Zentrum bringen Aufschluss darüber, ob ein Allergiker gegen Covid-19 geimpft werden kann. / Foto: Getty Images/AlexRaths
Seit anaphylaktische Reaktionen in Zusammenhang mit den Coronavakzinen aufgetreten sind, sind Allergiker verunsichert, ob sie sich überhaupt impfen lassen können. Die Erfahrung des vergangenen Jahres zeige jedoch, dass diese Sorge meist unbegründet ist. »Für die allerwenigsten Allergiker gibt es eine Kontraindikation«, sagte Klimek, der auch Leiter des Allergiezentrums in Wiesbaden ist, bei einem Webinar von pharma4u. »In den kniffligen Fällen empfehle ich die Zusammenarbeit mit einem Allergiezentrum. Verweisen Sie Ihre Impfwilligen zuvor an ein Testzentrum, das auf Covid-19-Allergietests spezialisiert ist, um eine exakte Diagnose durchzuführen«, sagte Klimek. Dann sei meist doch eine Impfung möglich, eventuell mit einer anderen Vakzine beziehungsweise unter bestimmten Vorsichtsmaßnahmen.
Für eine bevorstehende Covid-19-Impfung empfiehlt Klimek ein pragmatisches Vorgehen nach einem Ampelschema auch in der Apotheke. Dieses Flussdiagramm, das der AeDA zusammen mit dem Paul-Ehrlich-Institut und dem Robert Koch-Institut entwickelt hat, fasst die Vorgehensweise nach aufgetretenen Anaphylaxien infolge Covid-19-Impfung und bei Personen mit jeglicher Allergie in der Anamnese zusammen. »Die Ampel steht auf grün und Sie können regulär mit einer 15-minütigen Nachbeobachtungszeit impfen, wenn es sich um eine Allergie in der Anamnese auf Tierhaare oder Nahrungsmittelbestandteile handelt oder auch wenn eine Neurodermitis, Insektengiftallergien oder Unverträglichkeiten oraler Medikamente vorliegen«, sagte Klimek
Laut Flussdiagramm können Personen, bei denen in der Vergangenheit eine Mastozytose oder Anaphylaxien nach Gabe von Medikamenten oder anderen Impfstoffen aufgetreten sind, die auf andere, nicht in Covid-19-Impfstoffen enthaltene Bestandteile zurückzuführen sind, geimpft werden. Es sollte jedoch die Nachbeobachtungszeit von 15 auf 30 Minuten verlängert werden. »Gibt der Patient allerdings im Vorgespräch an, dass er schon mal auf ein Röntgenkontrastmittel, ein Darmentleerungsmittel zur Koloskopie oder Narkosemittel reagiert hat, ist das ein Warnsignal aufgrund der enthaltenen Polyethylenglycole (PEG). Auch wenn Patienten ihren Allergiepass nicht dabeihaben oder das auslösende Agens nicht diagnostiziert wurde, sollten Sie die Betroffenen in ein Allergiezentrum schicken«, so Klimek. Das gilt freilich auch für Patienten mit einer Allergie auf einen Bestandteil der Covid-19-Impfstoffe oder nach einer Anaphylaxie auf die Erst-, Zweit- oder Booster-Impfung.
Die Abklärung im allergologischen Zentrum ist deshalb so wichtig, weil eruiert werden muss, ob die allergische Reaktion in der Vergangenheit eine IgE-vermittelte Genese hatte oder eher pseudoallergischer Natur war. Die Abklärung der IgE-Beteiligung ist anhand von Pricktest und Intrakutan-Tests möglich. »Das ist entscheidend, ob ein Patient geimpft werden kann oder nicht. Besteht kein Anhalt für eine IgE-Beteiligung, ist die Impfung unter erhöhter Notfallbereitschaft im Klinikum dennoch möglich. Anderenfalls nicht.« Klimek berichtete von rund 1200 Covid-19-Allergietestungen, die im vergangenen Jahr in seiner Wiesbadener Klinik gemacht wurden, »davon waren die wenigsten IgE-vermittelte Mastzellreaktionen«.
Meistens gebe es laut des Referenten die Möglichkeit, doch zu impfen, etwa Patienten mit Mastozytose, also mit überempfindlichen Mastzellen. »Diese Patienten bestellen Sie eine halbe bis eine Stunde vor dem Impftermin ein und versorgen Sie mit H1- und am besten auch mit H2-Antihistaminika, die der Allergologe zuvor verordnet hat. Ebastin 20 mg oder Rupatadin 10 mg sowie Famotidin 40 mg kommen dafür infrage. Nach der Impfung ist eine halbe Stunde Nachbeobachtungszeit nötig.«
Für Betroffene, die auf einen Bestandteil der verfügbaren Vakzinen allergisch reagieren, bestehe die Möglichkeit von Ausweichimpfungen. Das bedeute laut Klimek, dass Personen mit nachgewiesener PEG-Allergie mit einem Vektorimpfstoff und Personen mit Polysorbat-Allergie mit einem mRNA-Impfstoff geimpft werden können. Eine Kreuzreaktion, die zwischen PEG und Polysorbaten möglich wäre, trete so gut wie nie auf.
Die beiden mRNA-Impfstoffe Comirnaty® (Biontech/Pfizer) und Spikevax® (Moderna) enthalten mRNA in Lipidnanopartikeln, welche stellenweise mit dem Allergen PEG vernetzt sind. Bei den beiden Vektorimpfstoffen Vaxzevria® (Astra-Zeneca) und Covid-19 Vaccine Janssen (Johnson & Johnson) sowie bei dem demnächst verfügbaren proteinbasierten Impfstoff Nuvaxovid® (Novavax) sind vor allem die enthaltenen Polysorbate allergieauslösend.
Das Wichtigste für das Impfen in der Offizin ist laut Klimek: »Seien Sie gut vorbereitet und haben Sie einen Notfallplan. Dazu gehört, einschätzen zu können, welche Symptome ein rasches Handeln nötig machen.« Zu anaphylaktischen Reaktionen der geringsten Stufe zählen leichte Allgemeinreaktionen, die nur die Haut betreffen. »Das ist meist ein Hautjucken, vielleicht auch ein Angioödem im Bereich der Lippen und Flush. Darüber hinausgehend sind aber weder der Gastrointestinal- oder der Respirationstrakt noch das Herz-Kreislauf-System betroffen. Diese Hautsymptome zählen zu den Lokalreaktionen, auch wenn sie nicht unmittelbar an der Einstichstelle auftreten.«
Sobald aber eines der anderen Organsysteme mitreagiert, liegt eine Notfallsituation vor. Die Reaktion an der Haut kann dabei identisch sein. »Das sind Patienten, die zum Beispiel spontan Stuhlabgang haben, denen übel wird, die Atemnot bekommen. Ihnen wird schwarz vor Augen, der Blutdruck fällt ab oder sie reagieren mit einer Tachykardie. Diese Situation ist eine akute Gefährdung, die Sie als impfender Apotheker niemals allein beherrschen sollten. Spätestens ab diesen Symptomen sollte ein Notarzt vor Ihrer Apotheke vorfahren und den Patienten mitnehmen und die Ursache abklären.«
Zuvor gilt es freilich, rechtzeitig den Adrenalin-Autoinjektor zu setzen und den Notruf 112 zu wählen. Außerdem sind ein Antihistaminikum wie Cetirizin oder Desloratadin und ein Glucocorticoid wie Betamethason in flüssiger Form zu geben. Sie können auch von Patienten mit Zungenschwellung und Larynxödem geschluckt werden. Im Akutfall sollte etwa die Hälfte der jeweiligen Flasche getrunken werden. »Alle im Notfallkoffer enthaltenen Medikamente gelten als Laienmedikamente. Als impfender Apotheker dürfen Sie diese verabreichen. Als Ersthelfer sind sie rechtlich abgesichert«, stellte Klimek in der anschließenden Fragerunde klar.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.